"Wir hauen ab":Wenn Ärzte abwandern

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Viele Mediziner gehen wegen schlechter Arbeitsbedingungen ins Ausland, gern in die USA und nach Großbritannien.

Tanjev Schultz

Schon während ihres Studiums lernen deutsche Mediziner das Ausland zu schätzen. Fast zwei Drittel seiner Kommilitonen sammeln internationale Erfahrungen, schätzt Patrick Weinmann, Studentensprecher in der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. "Viele kehren begeistert zurück", sagt der 26-Jährige - und wandern irgendwann dauerhaft aus. Mit dem Frust wachse die Mobilität, erklärt Weinmann: "Der Grundtenor bei den Jüngeren ist: Wenn sich in Deutschland nichts tut, hauen wir ab!"

Viele sind schon fort: In den vergangenen Jahren haben immer mehr deutsche Ärzte ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Vor sechs Jahren gingen rund 1000 Mediziner ins Ausland, vor zwei Jahren zählte die Bundesärztekammer bereits mehr als 2700 Standesvertreter. "Der Schwund wird immer größer", sagt Thomas Kopetsch, Autor einer Studie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zum Ärztemangel.

Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben

Insgesamt arbeiteten derzeit etwa 12.100 deutsche Ärzte im Ausland. Besonders beliebt sind Großbritannien, die USA, Schweiz, Österreich, Norwegen und Schweden - Länder, in denen die Bezahlung und die Arbeitszeiten deutlich attraktiver sind als hierzulande.

Das britische Gesundheitssystem zum Beispiel hat zwar einen schlechten Ruf bei den Patienten, ist für Ärzte jedoch reizvoll. Nur wenige Ärzte sind dort selbstständig, die meisten bekommen ihr Geld als Angestellte des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS (National Health Service). "Beim NHS sind geregelte Arbeitszeiten kein Problem", sagt Kopetsch. Ein besserer Verdienst sei für viele Abwanderer gar nicht entscheidend, es komme ihnen auch auf die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben an.

Während die Deutschen vor allem gen Norden und Westen streben, arbeiten viele Ärzte aus Osteuropa in Deutschland, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Etwa 18.000 ausländische Ärzte sind derzeit bundesweit in Kliniken und Praxen tätig, viele von ihnen kommen aus Polen, Russland oder Tschechien und reißen wiederum dort ein Loch in das Gesundheitssystem.

Kopetsch hält die zunehmende Migration gut qualifizierter Ärzte für ein Armutszeugnis der deutschen Gesellschaft. Der massenhafte Export von Medizinern sei ineffizient - "eine große Ressourcenverschwendung". Ein Medizinstudium verursacht im Durchschnitt Kosten in Höhe einer Viertel Million Euro.

Auch Studenten flüchten ins Ausland

Viele Medizin-Studiengänge sind in den vergangenen Jahren gründlich reformiert worden. Die Früchte der Bemühungen, den Nachwuchs noch besser auf die Arbeit am Patienten vorzubereiten, ernten nun aber mehr und mehr andere Staaten.

Der Wunsch, Medizin zu studieren, ist trotz der vielen negativen Schlagzeilen über den Beruf erstaunlicherweise seit Jahren ungebrochen. Weil aber in Deutschland die Zahl der Studienplätze stagniert, flüchten nun auch schon viele Studienanfänger ins Ausland.

© SZ vom 19.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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