Wiedergeburt im Scheinwerferlicht:Der Flirt der Grenzgänger

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Der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer stellt das neue Werk des SPD-Quälgeists Oskar Lafontaine vor.

Von Andreas Hoffmann

Ganz sicher ist sich Horst Seehofer offenbar nicht. Ist das Buch, das er vorstellen soll, nun ein "Knochen, der abgenagt werden" sollte, wie er sagt. Oder ein "ausformuliertes Kontrastprogramm", wie Seehofer zuvor vermutet hat. Oder hat der ältere Mann mit den Silber-Haaren neben ihm gar eine "Planierraupe der Sprache" in Gang gesetzt, wie Seehofer auch mutmaßt.

Auf jeden Fall ist für ihn klar: Dass er, der CSU-Sozialexperte, das neue Werk des SPD-Quälgeists Oskar Lafontaine vorstellt, ist die "natürlichste Sache der Welt."

Was natürlich nicht stimmt. Das hängt damit zusammen, dass sich an diesem Freitagmorgen im Raum II-IV der Bundespressekonferenz zwei Grenzgänger treffen. Der eine hat eine Grenze in der SPD überschritten und bewegt sich im Abseits. Der andere steht in der CSU, was Grenzen betrifft, zumindest am Schlagbaum. Einen solchen Gipfel der Politik-Outlaws will keiner versäumen.

Die Stuhlreihen füllen sich, man entdeckt Journalistengesichter, die sonst in Talkshows auftauchen. Phoenix hat eine Livekamera aufgebaut. Vor dem Tisch für die Politiker müht sich ein Dutzend Fotografen um die richtige Perspektive. Dann erscheint Seehofer. Er geht vor, Lafontaine schlurft hinterher, wie ein Cowboy in der Mittagssonne. Beide stellen sich vor ein Plakat. Seehofer lächelt milde. Lafontaine grinst.

Er dreht den Kopf nach rechts und links, wartet auf die Kameras. Plötzlich wird es still, nur das Klicken der Fotografen ist zu hören. Zwei ältere Herren fühlen sich wiedergeboren, zumindest für eine Stunde. Dank sei dem Scheinwerferlicht.

Auf falschem Kurs

Er will "keine Hymne auf Lafontaine halten", sagt Seehofer und stimmt dann doch eine an. In dem Buch stimmten alle Fakten, sagt er. Er lobt die Idee zur Arbeitslosenversicherung, wonach anfangs vor allem Bedürftige Geld erhalten sollen ("Ich ärgere mich, dass mir das nicht eingefallen ist.")

Er mag die Investitionsförderpläne, und besonders mag er das Kapitel über die "Neusprache der Neoliberalen", die das Denken bestimmen würde. Seine Fingerspitzen hämmern auf den Tisch. Selbst für Kritik an der Praxisgebühr, die Seehofer mit ausgehandelt hat, findet er milde Worte. Lafontaine nickt.

Bei jedem Lob nickt er mehr, als müsse er Seehofers Sätze bekräftigen. Dabei hat er wenig Überraschendes aufgeschrieben. Sein Buch ist ein einziger Aufschrei gegen die vermeintlich Mächtigen: Ökonomen, Regierung, Opposition, Wirtschaftsverbände; alle bringen das Land auf falschen Kurs. Manches ist durchaus richtig analysiert, aber wer will 300 Seiten lang einhämmernde Argumente lesen?

An diesem Tag greift Lafontaine aber kaum zur Polemik. Er redet von der wachsenden Kluft zwischen Reich und Arm, von der Bonner Republik, und irgendwann sind beide in der Vergangenheit, in den Jahren 1997 und 1998, als der eine noch an der Macht war und der andere dorthin wollte. Sie lachen. Lafontaine sagt, dass dies der "Beginn einer Freundschaft werden könne". Seehofer sagt, dass sie gemeinsam essen gehen wollen. Der Flirt der Grenzgänger geht weiter.

© SZ vom 12.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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