Widerstand gegen Schäuble-Vorstoß:"Frontalangriff auf den Rechtsstaat"

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Welle der Empörung: Der Bundesinnenminister hat unter anderem angeregt, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, um Terroristen töten zu können. Nicht nur die Opposition ist über die Vorschläge entsetzt - sogar Bayerns Innenminister Beckstein geht auf Distanz. Mit Unterstützung kann Schäuble nur aus der CDU-Spitze rechnen.

Schäuble hatte gewarnt, dass die Bekämpfung des Terrorismus mit den klassischen Mitteln der Polizei nicht zu meistern sei. Es sei zu überlegen, was man etwa mit sogenannten Gefährdern mache, die nicht abgeschoben werden könnten. Man könne "beispielsweise einen Straftatbestand der Verschwörung einführen, wie in Amerika".

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) äußerte sich im Südwestrundfunk zurückhaltend zu Schäubles Plänen, besonders zu Schäubles Überlegungen, "gezielte Tötungen" von Terroristen rechtlich abzusichern.

In der Regel, "auch im Regelfall des Terrorismus" dürfe so etwas nicht in Frage kommen, sagte dazu Beckstein. Ob es in Extremfällen Ausnahmen geben könne, müsse verfassungsrechtlich "sorgfältigst" geprüft werden. Beckstein hob hervor, auch bei aller notwendigen Bekämpfung der islamistischen Gewalt dürften "nicht die Grundpfeiler unseres Grundgesetzes" verändert werden.

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, Schäuble reite einen Frontalangriff auf den Rechtsstaat. Der Minister verliere jedes Maß und verfehle seine Aufgabe, als Innenminister die Verfassung zu schützen.

"Befremdliche Überlegungen"

"Schäuble befindet sich mit seinen Ausführungen zur Aufhebung der Trennung von Völkerrecht im Frieden und Krieg auf einem gefährlichen Pfad, an dessen Wegesrand Guantanamo und die gezielte Tötung tatsächlicher oder vermeintlicher Terroristen stehen", sagte sie. Wenn Deutschland in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus seine Grundsätze aufgebe, hätten die Terroristen einen Sieg errungen.

Der FDP-Innenexperte Max Stadler nannte Schäubles Überlegungen zur gezielten Tötung von Verdächtigen äußerst befremdlich. Er sagte: "Schäuble hat das Grundgesetz zu wahren und nicht die Debatte mit rechtsstaatswidrigen Vorschlägen zu belasten."

Selbstverständlich dürfe es keine gezielten Tötungen geben außer in Notwehr oder im Fall der sogenannten Nothilfe etwa bei Geiselbefreiungen. Ebenso wenig sei Schäubles Plan einer Vorbeugehaft auf Verdacht mit dem Rechtsstaat vereinbar. Stadler warf dem Minister vor, durch öffentliche Forderungen den Druck auf das Parlament zu erhöhen.

SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, Schäubles Vorschläge für ein Handyverbot gegen Terrorverdächtige ließen sich nur in einem Überwachungsstaat durchsetzen. Er kritisierte, der Bundesinnenminister wolle die Sozialdemokraten als unsichere Kantonisten hinstellen. "Das gehört sich nicht in einer Koalition", sagte Struck.

Er erteilte auch den Vorstößen der Union für einen breiten Einsatz der Bundeswehr im Innern eine Absage. "Wir werden Bemühungen für eine solche Grundgesetzänderung ein klares Nein entgegen setzen. Die Kanzlerin weiß das", sagte Struck. Er verstehe auch nicht, dass Merkel als CDU-Vorsitzende etwas postuliere, was sie als Kanzlerin mit keiner seriösen Partei im Bundestag durchsetzen könne.

"Völlig neue Bedrohung"

Mit scharfer Kritik hat auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf die jüngsten Vorschläge von Schäuble zur Terrorbekämpfung reagiert. Die Aussagen des Ministers seien "eine politische Ablenkungsstrategie für den Falle eines Anschlages, nach dem Motto: 'Ich habe doch Vorschläge gemacht'", sagte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg im Bayerischen Rundfunk. Schäuble wolle von "eigenen Versäumnissen ablenken", kritisierte Freiberg. Der Minister betreibe "reine Parteipolitik und nicht (...) Terrorbekämpfung."

Schäuble sagte dagegen: "Wir haben heute eine völlig neue Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus." Die Innenminister müssten darüber nachdenken, wie das, was die Menschen an Sicherheit vom Staat erwarteten, in "verfassungsmäßig einwandfreie Formen" gegossen werden könne.

Terroristen verabredeten sich durch neue technische Möglichkeiten der Kommunikation. Um Anschläge zu verhindern, müsse man versuchen vorher zu wissen, was die Terroristen vorhätten. "Wir müssen die Freiheit schützen", sagte Schäuble.

Er wolle Anschläge verhindern, aber er wolle vor allem, wenn etwas passieren sollte, dass alle "das sichere Bewusstsein haben, dass alles Menschenmögliche getan wurde".

Zustimmung erhielt Schäuble indes aus der CDU-Spitze. Hessens Ministerpräsident Roland Koch sagte vor der CDU-Präsidiumssitzung, es könne nicht sein, dass die deutschen Sicherheitsbehörden "deutliche Ermittlungsnachteile" gegenüber ihren Kollegen in anderen europäischen Staaten hätten. Er forderte die SPD auf, Schäubles Vorschläge mitzutragen. Ähnlich äußerten sich auch die Ministerpräsidenten Baden-Württembergs und des Saarlandes, Günther Oettinger und Peter Müller.

Müller sagte: "Der Grundsatz muss lauten: Sicherheit zuerst." Oettinger meinte, unter Umständen müsse das Grundgesetz ergänzt werden.

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