West-Kritik an Köhler:"Eine ausgesprochen unglückliche Äußerung"

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Im Osten war die Reaktion einhellig - doch auch in den alten Bundesländern widersprechen nun viele Politiker der Äußerung von Horst Köhler. Der Bundespräsident hatte erklärt, die "großen Unterschiede in den Lebensverhältnissen" in Ost und West sollten nicht eingeebnet werden.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sprach am Sonntagabend im ZDF von einer "ausgesprochen unglücklichen Äußerung" Köhlers. Man dürfe das Ziel gleicher Lebensverhältnisse nicht aufgeben.

Der Wirtschaftsexperte der Grünen, Fritz Kuhn, warf Köhler in der Berliner Zeitung sogar ungewollte Wahlkampfhilfe für die PDS vor.

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker dagegen gab Köhler grundsätzlich recht. "Im Osten wie im Westen gibt es keine wirkliche Gleichheit, das kann es gar nicht geben", sagte er im ZDF.

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sagte laut Bild-Zeitung, die Politik könne nur für Chancengleichheit nicht aber gleiche Ergebnisse sorgen.

Dagegen sprach der stellvertretende Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, in der Berliner Zeitung von einem Aufruf Köhlers zur Resignation: "Man muss dem Bundespräsidenten heftig widersprechen."

Der Vorsitzende des Bundestags- Wirtschaftsausschusses, Rainer Wend (SPD), sagte dem "Kölner Stadt- Anzeiger", wenn man vom Ziel gleicher Lebensverhältnisse abrücke, "stößt man die Bürger vor den Kopf und gibt den Menschen in den neuen Bundesländern das Gefühl, sie seien abgehängt".

Kuhn erklärte: "Die PDS lebt von einem Grundgefühl vieler Ostdeutscher, zweitklassig zu sein. Wenn Köhler sagt, dass es Gleichheit zwischen Ost und West nie geben wird, heizt er genau dieses Gefühl an."

"Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse"

Allerdings sieht auch das Grundgesetz nicht die "Gleichheit der Lebensverhältnisse" vor. Diese Formulierung wurde 1994 gestrichen und stattdessen die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" als Aufgabe des Bundes in den Artikel 72 aufgenommen.

Köhler hatte im Magazin Focus auf "große Unterschiede in den Lebensverhältnissen" hingewiesen und gesagt: "Das geht von Nord nach Süd wie von West nach Ost. Wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf. Wir müssen wegkommen vom Subventionsstaat."

Das für den Aufbau Ost zuständige Bundesverkehrsministerium hatte diese Forderung ebenso zurückgewiesen wie die meisten ostdeutschen Ministerpräsidenten.

Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer hatte in Berlin gesagt: "Er mag abstraktphilosophisch Recht haben, dass es absolute materielle Gleichheit nicht gibt, aber politisch geht es sehr wohl um Gleichheit, nämlich Gleichheit der Chancen, Gleichheit des Zugangs und der Teilhabe."

"Gleichmacherei bringt unser Land nicht weiter"

Wie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatten die Regierungschefs von Brandenburg, Sachsen und Sachsen- Anhalt, Matthias Platzeck (SPD), Georg Milbradt (CDU) und Wolfgang Böhmer (CDU), eingeräumt, dass es weiter regionale Unterschiede geben werde - nur dürfe die bestehende West-Ost-Schere am Arbeitsmarkt nicht akzeptiert werden.

Köhler "grundsätzlich recht" gegeben hatte dagegen Brandenburgs Innenminister und CDU-Spitzenkandidat Jörg Schönbohm: "Identische Lebensbedingungen sind in einem Flächenstaat wie Deutschland gar nicht denkbar."

Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, bekannte sich in Stuttgart zur Solidarität des Westens mit Ostdeutschland, sagte aber auch: "Der Bundespräsident hat mit seinen mutigen Äußerungen deutlich gemacht, dass wir uns endlich von der Nivellierungsideologie verabschieden müssen. Gleichmacherei bringt unser Land nicht weiter."

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