Wehrmachtsausstellung:Am Ort der Rakete

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Die Wehrmachtsausstellung ist nun in Peenemünde zu sehen. Die Stadt, in der das größte Rüstungsprojekt des Dritten Reichs, die V2-Rakete, entwickelt wurde, ist heute eine Hochburg der Neonazis.

Von Arne Boecker

(SZ vom 5. August 2003) Schön ist Peenemünde nicht. Mächtige Mietshäuser rotten vor sich hin, die Fenster blind und die Fassaden blättrig. Der Tourismus hat Usedom mächtig aufgehübscht, vor allem in den "Kaiserbädern" Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. In den äußersten Nordwesten der Insel aber ist der Nachwende-Boom nie geschwappt.

"Kasernen der Vergangenheit"

Den Demonstranten, die am Samstag eine Runde durch das Dorf drehten, präsentierte sich Peenemünde besonders abweisend. Ein Zitat aus Erich Kästners "Marschliedchen" rief ihnen von einer Häuserruine zu: "Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen/in die Kasernen der Vergangenheit." Peenemünde kennt sich aus in den "Kasernen der Vergangenheit".

Hier saß die Heeresversuchsanstalt, wo unter Leitung von Wernher von Braun 1942 das größte Rüstungsprojekt des Dritten Reiches abgeschlossen wurde: die Entwicklung der V2-Rakete. Sie sollte 20000 Zwangsarbeitern den Tod bringen, die sie zusammenbauen mussten, und ungezählten Engländern, Franzosen und Belgiern, auf die sie niederging.

Aus der Heeresversuchsanstalt ist eine Gedenkstätte geworden. Und noch bis zum 7. September gastiert hier die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 bis 1944". Zum ersten Mal zeigt Jan-Philipp Reemtsma die redigierte Ausstellung seines Hamburger Instituts für Sozialforschung an einem historisch so brisanten Ort.

Peenemünde sei "Brennpunkt und Symbol", sagte zur Eröffnung Wolfgang Methling (PDS), stellvertretender Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Weil das so ist, schlägt der Streit um die Ausstellung im äußersten Osten Deutschlands besonders hohe Wellen.

"Opa war in Ordnung"

Wie kompliziert der Umgang mit Geschichte sein kann, zeigt schon die Geburt des Historisch-Technischen Informationszentrums von Peenemünde. Nach der Wende hatte ein Förderverein das Gelände übernommen. Dessen Schau troff jedoch vor Begeisterung über die technische Leistung der von-Braun-Truppe. Reichlich naiv wurde vom "Geburtsort der Raumfahrt" fabuliert, an dem der erste Schritt zum Mond gemacht worden sei.

Als sich die Klagen häuften, wurde der Ulmer Kunsthistoriker Dirk Zache beauftragt, die Schau zu überarbeiten. Seit 2001 haben 300 000 Menschen die erweiterte und verbesserte Ausstellung besucht, deren Herzstück die Turbinenhalle des ehemaligen Kraftwerks ist. "Peenemünde steht für die Entwicklung einer Raketentechnologie, die der Erforschung von Umwelt und Universum neue Dimensionen erschlossen hat", ist heute am Eingang zu lesen. Und dann: "Doch Zielsetzung, Umstände der Produktion und Folgen der Fernwaffen gehören zu den dunkelsten Punkten der deutschen Geschichte." Das Fazit: "Peenemünde arbeitete für den Krieg."

180 Neonazis demonstrierten gegen die Ausstellung

Weil immer, wenn die Wehrmachtsausstellung gezeigt wird, rechtsradikale Gegendemonstranten nicht weit sind, zogen auch diesmal etwa 180 Neonazis durch Peenemünde, die meisten aus Ostvorpommern. Die Hamburger Szenegröße Christian Worch hatte den Aufmarsch organisiert; einige Demonstranten trugen T-Shirts mit dem Aufdruck: "Opa war in Ordnung!" Den Informationen des Landeskriminalamts (LKA) zufolge hatte es im Vorfeld Knatsch zwischen dem Westler Worch und den regionalen Anführern gegeben.

Die ostvorpommerschen Neonazis hätten nur widerstrebend akzeptiert, dass sie kurz nach einer eigenen Ausländer-Raus-Demo von Worch nach Peenemünde dienstverpflichtet wurden. Ein Treffen soll im Juli damit geendet haben, dass Worch wutentbrannt abreiste.

Demonstration und Gegendemonstration verliefen in Peenemünde weitgehend störungsfrei, was auch dem großen Polizeiaufgebot geschuldet war. Die Neonazis ließen unter anderem einen jungen Mann an das Mikrofon, der optisch und rhetorisch eine Goebbels-Kopie ablieferte und gegen "amerikanische Kaugummifresser" hetzte, mit deren Kriegstreiberei "Schluss ist, wenn wir an der Macht sind".

Daran schloss sich der alterswirre Vortrag eines Mannes an, den Christian Worch als Mitglied der "Erlebnisgeneration" angekündigt hatte. Der Veteran hielt den johlenden Linken entgegen: "Marschieren Sie mal wochenlang 35 Kilometer pro Nacht, mit einem Maschinengewehr auf der Schulter!"

"Die Hälfte der Jugendlichen ist anfällig"

Ostvorpommern mit den Städten Anklam und Wolgast sowie der Insel Usedom gilt als eine der Hochburgen der Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern. Die Szene zerfällt in etwa ein halbes Dutzend "Freie Kameradschaften" wie den "Kameradschaftsbund Anklam" oder die "National-Germanische Bruderschaft" aus dem Uecker-Randow-Kreis.

Das LKA geht davon aus, dass in Ostvorpommern etwa 200 Rechte zum harten Kern zählen (landesweit sollen es 1250 sein). Die Zahl der Sympathisanten sei jedoch weit größer. Der SPD-Landtagsabgeordnete Mathias Brodkorb sagt, dass "seit Mitte der 90er Jahre die Bedeutung der 'freien Szene' vor allem im Alltagsleben deutlich gestiegen" sei.

Spektakuläre Gewalttaten sind in der jüngsten Zeit zwar nicht zu verzeichnen gewesen, aber das braune Gedankengut ist vor allem in ländliche Gegenden nachhaltig eingesickert. "Die Hälfte der Jugendlichen ist anfällig", schätzt Günter Hoffmann von der Initiative "Bunt statt Braun"; drei Viertel der Erwachsenen hält er für fremdenfeindlich. "Die Neonazis sind inzwischen fest in den dörflichen Strukturen verwurzelt", sagt der PDS-Landesvorständler Lars Bergemann, der auch im Präventionsrat der Stadt Wolgast sitzt.

Ein Ja mit Vorsicht

Usedom - die braune Insel? Den ultrarechten Marschierern stellte sich ein breites Bündnis von kirchlichen und linken Gruppierungen entgegen. Aus dem Rahmen fiel die Teilnahme des Tourismusverbandes der Insel Usedom, der am Vorabend ein Konzert mit Hannes Wader veranstaltet hatte.

Auch wenn die Initiative mit dem Motto "Erinnern statt Verdrängen" ein Zeichen gesetzt hat, ist die Aussage "Usedom sagt Ja zur Wehrmachtsausstellung" mit Vorsicht zu genießen. "Die verscheuchen nur die Gäste!" heißt es in den Seepromenaden und Fußgängerzonen, oder: "Irgendwann muss mal Schluss sein!". Der in Peenemünde lebende Schriftsteller Klaus Hein sagt seufzend: "Jeder in seinem Dünkel, jeder in seinem Winkel - so ist das bei uns nun mal."

Ursprünglich hatte die Wehrmachtsausstellung in Prora auf Rügen Station machen sollen, wo sich noch kilometerweit die Gebäude der "Kraft-durch-Freude"-Anlage ziehen. Weil dort aber Ende August mehr als 10000 Jugendliche zu einem Festival erwartet werden, unterstützt von der Landesregierung, regte sich vor Ort heftiger Widerstand. Die Hoteliers der Insel Rügen fürchteten Randale und die nachfolgenden Schlagzeilen. Schließlich wurde dem "Institut für Sozialforschung" die Sache zu dumm, und die Macher verlagerten die Ausstellung nach Peenemünde.

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