Wegen des Putschversuchs:Türkei setzt Menschenrechts-Konvention aus

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Ankara fühlt sich an etliche bürgerliche Freiheiten nicht mehr gebunden. Der Europarat pocht auf eine Erklärung, der Gerichtshof für Menschenrechte will den Schritt prüfen.

Von Mike Szymanski und Stefan Ulrich, Istanbul/München

Die türkische Regierung hat am Donnerstag angekündigt, die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats teilweise auszusetzen. Vize-Regierungschef Numan Kurtulmuş sagte, sein Land berufe sich dabei auf Artikel 15 der Konvention. Diese Vorschrift erlaubt es, bestimmte Garantien wie das Recht auf Freiheit, auf Meinungsfreiheit oder auf ein faires Verfahren vorübergehend einzuschränken, wenn "das Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand bedroht ist". Kurtulmuş sagte, auch Frankreich habe nach den Terroranschlägen vom November die Geltung der Konvention zum Teil suspendiert.

Ein Sprecher des Europarats in Straßburg teilte mit, die Staatenorganisation sei am Freitag von der türkischen Regierung über den anstehenden Schritt informiert worden. Zugleich betonte er, das Recht auf Leben, das Verbot unmenschlicher Behandlung sowie das Verbot, neue Strafen rückwirkend anzuwenden, könnten nicht eingeschränkt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte werde überprüfen, ob die Aussetzung der Konvention rechtmäßig sei. Insbesondere müsse sie verhältnismäßig sein, betonte er Sprecher.

Der Europarechts-Professor Christoph Vedder sagte der Süddeutschen Zeitung, die Konvention könne nur ausgesetzt werden, wenn der Notstand noch andauere. Inzwischen sei der Militärputsch vom vergangenen Freitag aber niedergeschlagen. Die Türkei habe daher kein Recht mehr, die Menschenrechtskonvention einzuschränken. Vedder sagte, die türkische Regierung habe in den vergangenen Tagen etliche Menschenrechte wie zum Beispiel die Freiheitsrechte vielfach und massiv verletzt. "Wenn das in Weißrussland geschehen würde, würde die gesamte politische Klasse in Europa nach Sanktionen rufen."

Zudem verstoße Ankara nicht nur gegen die Menschenrechtskonvention, sondern auch gegen die Satzung des Europarats. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten auf das Rechtsstaatsprinzip, wonach die Regierung an Recht und Gesetz gebunden ist. Wenn dieses Prinzip hartnäckig und schwer verletzt wird, kann der Europarat die Mitgliedschaft suspendieren. "Es wäre Aufgabe des Europarats, jetzt gegen die Türkei vorzugehen", sagte Vedder. Ein Sprecher des Europarats sagte dazu: "Es gibt derzeit keine Pläne für eine Suspendierung der Türkei." Es sei zu früh, sich mit dieser Frage zu befassen.

Die Türkei versuchte am Donnerstag, Kritik an dem Ausnahmezustand zu zerstreuen, den Präsident Recep Tayyip Erdoğan verhängt hatte und dem das Parlament am Donnerstag mit großer Mehrheit zustimmte. Erdoğan sagte: "Europa hat kein Recht, diese Entscheidung zu kritisieren." Die Türkei bleibe ein demokratisches System. Ziel des Ausnahmezustands sei es, wirksame Schritte gegen Gefahren für die Demokratie, den Rechtsstaat, die Grundrechte und bürgerlichen Freiheiten ergreifen zu können. Zwei der drei Oppositionsparteien im Parlament sprachen sich bei der Debatte am Donnerstag gegen den Ausnahmezustand aus.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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