Warnung der Bundesregierung:Der Medienkrieg der Taliban

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Die Taliban kämpfen nicht nur mit Attentaten und Entführungen: Auch Propaganda wird immer wichtiger. Und die Extremisten haben Deutschland im Visier.

Die Bundesregierung wirft den radikal-islamischen Taliban in Afghanistan einen Propagandakrieg vor. Außer um Attentate, Hinrichtungen und Massaker gehe es nun auch um einen Krieg mit Worten, sagte Außenamtssprecher Martin Jäger am Donnerstag im ARD-Fernsehen. "Es wird von Seiten der Taliban sehr effizient mit dem Instrument der Propaganda gearbeitet."

So sei es den Taliban gelungen, in Deutschland für Verwirrung um das Schicksal der entführten Bauingenieure zu sorgen. Die Taliban hatten am Samstagmorgen behauptet, zwei Deutsche seien erschossen worden. Zuvor hatten sie die Bundesregierung ultimativ aufgefordert, die Bundeswehr aus dem Land abzuziehen.

Jäger beschrieb den Medienkrieg der Taliban im ARD-Morgenmagazin so: "Man muss sich vorstellen, da sitzt ein Mann mit Bart und Mobiltelefon im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und schafft es mit wenigen Anrufen am Samstag vormittag, ganz Deutschland in Aufregung zu versetzen. Das darf nicht sein. Das kann nicht sein."

Zeremonienmeister des Terrors

Tatsächlich starb einer der beiden deutschen Geiseln, um die Freilassung des zweiten Mannes wird weiter gerungen. Zu ihm gibt es nac Informationen des Deutschen Presseagentur direkten Kontakt.

Wie die dpa aus zuverlässiger Quelle erfuhr, geht es dem vor acht Tagen verschleppten Bauingenieur den Umständen entsprechend gut. Er sei aber geschwächt, hieß es.

Die Verhandlungen machten Fortschritte, wenn auch langsame. Man hoffe, im Laufe der nächsten Tage einen Durchbruch zu erzielen. "Die Männer und Frauen im Krisenstab arbeiten rund um die Uhr mit hohem persönlichen Einsatz", sagte Jäger.

Die Leiche des in afghanischer Geiselhaft verstorbenen Ingenieurs Rüdiger D. war am Mittwochabend in Deutschland eingetroffen. Eine Obduktion soll Klarheit über die Todesursache bringen. Der Leichnam weist Schusswunden auf.

Dennoch geht die Bundesregierung nicht von einer gezielten Tötung des Mannes aus Mecklenburg-Vorpommern aus, wie dies die Taliban behauptet hatten. Der verstorbene Rüdiger D. und sein Kollege Rudolf B. waren vor gut einer Woche etwa 100 Kilometer südwestlich von Kabul verschleppt worden. Beide wurden womöglich Opfer einer Stammesfehde.

Außenamtssprecher Jäger verurteilte die Taliban als "Zeremonienmeister des Terrors". Das hierarchisch organisierte Medienkomitee der Taliban beobachte das politische Meinungsklima weltweit, um gezielt darauf Einfluss zu nehmen. Das sei zum Beispiel während des französischen Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten gewesen.

Deutschland im Visier der Extremisten

Deutschland rücke zunehmend ins Visier der Taliban, weil der Bundestag im Herbst über die Zukunft der Bundeswehr-Einsätze in Afghanistan entscheiden soll. Deswegen erwartet Jäger zunehmende Äußerungen der Extremisten in deutschen Medien.

So ist es auch in diesem Zusammenhang zu sehen, dass der neue Militärchef der radikal-islamischen Taliban jetzt zur Entführung von Ausländern aller Nationen in Afghanistan aufgerufen hat. Dem Sender Channel 4 sagte Mansur Dadullah: "Natürlich sind Geiselnahmen eine sehr erfolgreiche Politik. Ich befehle all meinen Mudschaheddin, Ausländer jeglicher Nationalität zu entführen, wo immer sie sie finden mögen."

Ziel sei die Freipressung gefangener Taliban-Kämpfer aus afghanischer Haft. Das Interview wurde laut Channel 4 in diesem Monat an einem unbekannten Ort aufgezeichnet.

Politik der Geiselnahmen

Mansur Dadullah war im März im Austausch gegen den in Afghanistan verschleppten italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo aus dem Gefängnis entlassen worden. Er folge seinem Bruder Mullah Dadullah als Militärchef der Rebellen nach.

Der für seine Brutalität bekannte Mullah Dadullah war bei Kämpfen im Mai getötet worden. Mansur Dadullah sagte, El-Kaida-Chef Osama bin Laden habe ihm einen Brief geschrieben, in dem er sein Mitgefühl über den Tod Mullah Dadullahs ausgedrückt habe.

Channel 4 zeigte in dem Beitrag einen sechs Jahre alten Jungen, der von den Taliban nach Angaben des Senders zum Selbstmordattentäter ausgebildet werden sollte. "Ja, wir wollen Kindern eine militärische Ausbildung geben", sagte Mansur Dadullah.

Kampf gegen Ungläubige

Sie müssten auf den Kampf gegen "Invasoren und Ungläubige" vorbereitet werden. "Wir wollen Kinder dazu nutzen, Ungläubige und Spione zu enthaupten, damit sie tapfer werden."

Der Taliban-Anführer sagte weiter, das Hauptziel seines Dschihads sei der Kampf gegen Ungläubige und die Verbreitung des Islam auf der ganzen Welt. Der Iran statte die Taliban nicht mit Waffen aus.

60 mutmaßliche Taliban getötet

Entsprechende Vermutungen hatten die USA verbreitet.

Neben Gefechten an der Informationsfront gehen auch in Afghanistans Bergen die Kämpfe weiter. Die Regierungen von Südkorea und Afghanistan bemühen sich um eine Freilassung der 23 südkoreanischen Geiseln.

Außerdem kam es zu Gefechten der US-geführten Koalitionstruppen und afghanischen Regierungssoldaten mit Aufständischen. Dabei wurden nach afghanischen Angaben 60 mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet.

Im Bemühen um die Geiseln sprachen afghanische Unterhändler telefonisch mit den Taliban, die die Gruppe festhält, wie ein Polizeisprecher sagte. Eine gewaltsame Befreiungsaktion schloss er aus.

Die südkoreanische Regierung verurteilte die Tötung des 42-jährigen Pfarrers scharf und verlangte die sofortige Freilassung der anderen 22 Entführten.

Südkoreanische Geiseln immer noch nicht frei

Die Kidnapper würden für den Tod der Geisel zur Rechenschaft gezogen, sagte Sicherheitsberater Baek Jong Chun. Die Ermordung einer unschuldigen Zivilperson sei durch nichts zu rechtfertigen, sagte Baek, der anschließend als Sonderbeauftragter des Präsidenten nach Kabul aufbrach.

Er soll mit der afghanischen Regierung über eine Beendigung des Geiseldramas sprechen, wie das Präsidialamt in Seoul mitteilte. Der südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun telefonierte mit seinem afghanischen Kollegen Hamid Karsai.

Beide vereinbarten nach Angaben von Rohs Büro eine enge Zusammenarbeit. Die afghanische Polizei hat die von Kugeln durchsiebte Leiche des entführten Südkoreaners geborgen. Der Leichnam weise zehn Einschüsse in Kopf, Brust und Bauch auf, sagte Polizeisprecher Abdul Rahman am Mittwoch.

Ein mutmaßlicher Taliban-Sprecher hatte zuvor gesagt, eine der 23 Geiseln sei getötet worden, weil die Forderungen der Organisation nach Freilassung von inhaftierten Gesinnungsgenossen nicht erfüllt worden sei.

Geiselnehmer untereinander zerstritten

Der Leichnam sei in der Provinz Ghasni im Bezirk Karabach gefunden worden, sagte Rahman. Ein anderer Polizeisprecher berichtete, ihm sei mitgeteilt worden, die geschwächte Geisel sei getötet worden, weil sie nicht mehr habe laufen können. Der südkoreanische Präsidentensprecher Chun Ho Sun sagte, von etwaigen Gesundheitsproblemen der Geiseln sei nichts bekannt.

Ein örtlicher Polizeichef sagte, die Verhandlungen verliefen schwierig, da die Geiselnehmer unterschiedliche Forderungen erhoben hätten. "Sie haben Probleme untereinander", sagte Chawadscha Mohammad Sidiki.

Bei Gefechten der US-geführten Koalitionstruppen und afghanischen Regierungssoldaten mit Aufständischen wurden nach offiziellen Angaben im Süden Afghanistans mehr als 60 mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet. Ein Soldat der Koalitionstruppen sei verletzt worden.

In der Nachbarprovinz Kandahar wurden nach Polizeiangaben bei Kämpfen mit afghanischen Truppen weitere zehn mutmaßliche Taliban und ein Polizist getötet.

© sueddeutsche.de/AP/Reuters/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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