Wahltag in Barcelona:Wenn die einen feiern

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In Barcelona sind viele glücklich nach der Regionalwahl - aber nicht alle. Das Ergebnis zeigt, wie tief gespalten die Gesellschaft in Katalonien ist.

Von Karin Janker, Barcelona

Sie sind überall, die gelben Schleifen. Gelb ist die Farbe der katalanischen Separatisten, Barcelona ist in diesen Tagen voll mit solchen Bändern, mit Graffiti und Plakaten, sie hängen an den Verkehrsschildern und vor den Wahllokalen. Diejenigen Katalanen, die für die Unabhängigkeit eintreten, sind zumindest optisch präsenter als ihre Gegner. Auch zur Wahlparty der Assemblea Nacional Catalana, der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), sind am späten Donnerstagabend viele mit gelben Pullovern und Schals gekommen. Je weiter sich die Prozentzahl der ausgezählten Stimmen auf der Videoleinwand der 100 annäherte, desto lauter wird der Jubel. "Wir wollen unseren Präsidenten zurück - Puigdemont!", entfährt es Linus Puchar, als die neuesten Werte erscheinen.

Linus Puchar, 61, ist Gründungsmitglied der ANC, des wichtigsten Organs der Independentisten. Es gibt Cava, katalanischen Schaumwein. Der Sieg über ihren erklärten Feind, die Zentralregierung in Madrid, ist nahe. Puchar hat an diesem Tag für Junts per Catalunya gestimmt, "Gemeinsam für Katalonien", das Wahlbündnis des abgesetzten Regierungschefs Carles Puigdemont. Ihr Wahlkampf-Slogan "Puigdemont, unser Präsident" könnte bald wieder Realität werden.

Als das Wahlergebnis feststeht, fallen sich die Gäste um den Hals. ANC-Mitglied Linus Puchar sieht eine Hoffnung beinahe erfüllt: "Von der Unabhängigkeit träume ich, seitdem ich 13 Jahre alt bin. Endlich!" Auch wenn die Unabhängigkeit nicht so greifbar ist, wie es in diesem Moment erscheinen mag - die ANC hat lange auf diesen Tag hingearbeitet. Die Organisation steht parteiübergreifend hinter allen Kräften, die sich für die Abspaltung einsetzen. ANC-Vorsitzender ist Jordi Sànchez, der ebenfalls auf der Liste JxCat antrat. Er sitzt wegen aufrührerischen Verhaltens in Untersuchungshaft. Der Madrider Politikwissenschaftler Fernando Vallespín hält die ANC für die am besten organisierte Gruppe von Aktivisten in ganz Europa: "Die ANC verfügt über Zehntausende Mitglieder und ebenso viele Sympathisanten, die leicht zu mobilisieren sind." Wie stark sie ist, hat sie beim Unabhängigkeitsreferendum im Oktober bewiesen, bei dem sie Zehntausende auf die Straße brachte. Der Wahlsieg der Separatisten ist auch ein Erfolg der ANC.

Spaniens Ministerpräsident Rajoy hat sich verkalkuliert mit seiner Hoffnung auf eine "schweigende Mehrheit" der katalanischen Bevölkerung, die gegen die Abspaltung sei. Zu dieser gehört Ernesto aus Barcelona, der am Donnerstag für die Sozialisten gestimmt hat, die eine Abspaltung kritisch sehen. "Wir hoffen, dass diese Wahl uns aus dieser unerträglichen Situation befreit", sagte er, als er aus dem Wahllokal in der Altstadt kam und seine Familie umarmte. "Wir sind nicht für die Unabhängigkeit, sondern dafür, dass die Politiker wieder normal miteinander reden." Ernesto und seine Frau leben seit 30 Jahren in Barcelona, wie viele hier stammen sie aus anderen Regionen Spaniens. Ihre Kinder sind in Katalonien geboren. Welche Sprache sie zu Hause sprechen? "Castellano, natürlich", also Spanisch, obwohl die Kinder in der Schule auf Katalanisch unterrichtet werden.

Am Wahlabend klingt an, dass diese Wahl eine Gesellschaft zurücklässt, die gespalten ist in jene, die sich wie Ernesto Normalität wünschen, und jene, die - wie Linus Puchar - ihren Traum zum Greifen nah sehen.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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