Wahlkampf in Niederbayern: "Des Menschliche, des is bei dem in Ordnung":Ein Franz wie du und ich

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Im Münchner Landtag fällt der Abgeordnete Meyer kaum auf, daheim in Passau aber schafft einer wie er die Basis für den ewigen Wahlerfolg der CSU

Von Sebastian Beck

Passau, im August - Es wird wieder ein pfundiger Tag für den Abgeordneten Franz Meyer und die Feuerwehren im Landkreis Passau. Ein ganzer Sonntag im Zeichen des Wir-Gefühls. "Vereine, stillgestanden!" brüllt der Kommandant über die Wiese hinter dem Entenstall. "Im Gleichschritt, marsch!" Die Blasmusik legt los, und mit ihr setzen sich gut 1000 Feuerwehrler in Bewegung. Zweimal ziehen sie durchs Dorf Thanham, das heute nicht nur nach Saustall, sondern auch nach Rollbraten und Bier riecht. Wie ausgestorben liegen die Bauernhöfe da, denn die wenigen, die beim Umzug fehlen, sitzen schon im schattigen Festzelt.

Unter all den Uniformierten sticht ein untersetzter Mann im schwarzen Anzug heraus. Es ist der Meyer-Franz, Schirmherr des 100-jährigen Gründungsfestes der Freiwilligen Feuerwehr Thanham, Landtagsabgeordneter der CSU. "Franze", rufen ihn hier alle, "unser Franze". Nach dem Gottesdienst und der Überreichung eines gravierten Zinntellers grüßt er sich zu seinem Ehrenplatz am Biertisch durch. Bittsteller und Spezln wechseln sich hier ab, während Meyer selig vom "Wir-Gefühl in unserer bayerischen Heimat" schwärmt.

Der Torwartheld von Aigen

Das Wir-Gefühl: Wo auch immer der CSU-Abgeordnete in diesen Tagen hinkommt, überall macht sich sofort dieser Zustand allumfassender Harmonie breit, der sich in Meyers niederbayerischem Dialekt ein bisschen wie "Wirr-Gefühl" anhört: In Thanham ebenso wie beim Fischereiverein in Pocking, wo Meyer umrankt von ausgestopften Sonnenbarschen, Schrätzern und Bachforellen seinen Dank ausspricht: "Die Fischer stehen für den Erhalt der bayerischen Heimat." Oder beim Fußballerfest in Aigen, für das er ebenfalls die Schirmherrschaft übernommen hat. "Sie sind ein Zeichen des Wir-Gefühls in unserer bayerischen Heimat", lobt Meyer die Fußballer in seinem Grußwort. Anschließend tritt er zum Elfmeterschießen gegen August Neuhuber an, die Torwartlegende von Aigen, unter dessen Trikot sich eine mächtige Kugel wölbt. Vom Spielfeldrand aus schaut Josef Stempfl zu. "Mei, der Meyer Franze", sagt er, "da kannst jedes kloane Kind fragen, da wird nur Gutes geredet." 33Jahre lang war Stempfl CSU-Vorsitzender von Aigen. "Dann hab' ich's dem Schwiegersohn übergeben."

So funktioniert das hier, im Stimmkreis Passau-West, dem kleinen Königreich des Franz Meyer aus Hirnschnell: 186000 Einwohner, 3700 CSU-Mitglieder. Eine Region der Bauern und Handwerker, die in den vergangenen Jahrzehnten dank des Thermalwassers zu Reichtum gelangte. Im Bäderdreieck zwischen Bad Griesbach, Bad Birnbach und Bad Füssing weichen immer mehr Maisäcker den Greens von Europas größtem Golfzentrum. Die Reichen aus München entdecken das Hügelland zwischen Donau und Inn neuerdings als Zweitwohnsitz. Umso verbissener halten die Einheimischen an ihren Traditionen fest. In den Bauerndörfern ist nur die Feuerwehr mächtiger als die CSU. 10000 Ehrenamtliche sind in 161Freiwilligen Feuerwehren organisiert. "Bei 145 war ich schon zu Besuch", sagt Meyer. Natürlich ist er selbst seit 27 Jahren bei der Feuerwehr und hat alle Leistungabzeichen gemacht.

Der gelernte Landwirt ist der Prototyp des CSU-Abgeordneten. Zwar gilt er im Münchner Landtag nur als kleines Licht. In seinem niederbayerischen Stimmkreis jedoch stiehlt er jedem Minister die Schau. Nicht nur, weil er den ganzen Landkreis duzt. Dabei ist der 50-Jährige alles andere als ein kracherter Klischee-Bayer. Er gibt sich bescheiden, biedert sich nicht an und trinkt meist Mineralwasser. Trüge Meyer keinen Anzug, man würde ihn auf den Versammlungen leicht übersehen, so wenig hebt er sich vom Durchschnitt ab. Aber das ist seine größte Stärke: Weil Meyer so frei von störenden Eigenschaften ist, mögen ihn alle. Er ist der Jäger-Fischer-Bauern-Golfer-Franze. Ein Franze wie jeder.

Politikern wie Meyer hat es die CSU zu verdanken, dass sie seit nunmehr 41Jahren mit absoluter Mehrheit über den Freistaat herrscht. Denn an der Basis leistet Meyer Schwerstarbeit: Selbst im kleinsten Nest noch rühmt er die Beschlüsse des Kabinetts, verdammt Rotgrün in Berlin und meldet alle Verstimmungen sofort nach München zurück. Vor allem aber weiß Meyer, wann er auf einer Versammlung auch mal den Mund halten muss. Sein politisches Konzept ist so schlicht wie erfolgreich: "Wichtig ist, dass man den Leuten zuhört", sagt er, "ich bin das Sammelbecken für Kritik". 800 Bürgeranfragen hat er allein im vergangenen Jahr erhalten und, das behauptet er jedenfalls, alle beantwortet. Bauangelegenheiten, Streit mit Behörden, Zuschussanträge - Meyer kümmert sich drum. Mit Politik hat das nicht immer viel zu tun, doch die Wähler sehen ihren Franze in erster Linie ja als Helfer und Löschkameraden an.

Fünf Wochen trennen Meyer noch vom Sieg bei der Landtagswahl am 21.September. Denn daran zweifelt niemand, dass er seinen Stimmkreis erfolgreich verteidigt. 1998 kam er auf 58,4 Prozent der Erststimmen und erfüllte damit die verschärfte Vorgabe von Ministerpräsident Edmund Stoiber: "In Niederbayern liegt die Latte bei 55 plus X." Die CSU ist hier so stark, dass die Trennung zwischen Staat und Partei weitgehend aufgehoben ist. Auf dem CSU-Bezirksparteitag in Schönberg etwa besingt die Lehrer-Schüler-Band der örtlichen Schule die Großtaten des Vorsitzenden Erwin Huber: "Er war beim Bau der Turnhalle uns gewogen, hat die Finanzspritze kräftig aufgezogen." Danach ruft Huber seinen Mitgliedern zu: "Wir jammern nicht, wir haben gute Stimmung!" Das sind die Niederbayern: gut drauf, selbstbewusst und nachtschwarz .

Nur Erich Hallhuber ist ein Roter, seit 1990 schon SPD-Bürgermeister von Ruhstorf. Mitten drin im Franze-Land. "Der Niederbayer", sagt Hallhuber hoffnungsvoll, "ist ein relativ offener Mensch. Was er aber nicht mag, sind Veränderungen". Er stöhnt, wenn man ihn auf Meyer anspricht. Ein unglaublich umtriebiger Kerl sei der, überall habe er seine Finger drin. "Die CSU überzieht das Land mit einem Netz, das kann man sich gar nicht vorstellen". Feuerwehr, Fußballvereine, Presse - alles in der Hand des Gegners. "Wenn der Meyer zum fünften Mal das Gleiche sagt, dann steht's trotzdem wieder in der Zeitung." Von den SPD-Genossen aber sei auf all den Feuerwehrfesten nichts zu sehen: "Die leben in ihrer eigenen Welt", klagt Hallhuber.

Neben den Großkopferten

Dem Meyer aber, dem klopfen alle auf die Schultern. "Für mich ist dauernd Wahlkampf", sagt er. Das zahlt sich aus. 100 Prozent der Stimmen erhielt er bei der Nominierung als Landtagskandidat. Mehr geht selbst in der CSU nicht, in der bei Vorstandswahlen Ergebnisse von weniger als 90 Prozent schon als Misstrauensvotum gelten. Auf dem Landesparteitag in Nürnberg setzte sich Meyer im Juli groß in Szene: Die Delegierten wählten ihn als Schriftführer ins CSU-Präsidium. Er bekam mit Abstand die meisten Stimmen aller Bewerber. Als das Ergebnis bekannt gegeben wird, springen die Niederbayern auf und drücken ihren Franze fest an die Brust. Verlegen und stolz nimmt er die Gratulationen entgegen. Dann fährt er ganz schnell wieder nach Hause ins Heimatland des Wir-Gefühls zum Fest der Feuerwehr Aldersbach.

Langsam wird die CSU-Basis aber auch ungeduldig: Irgendwann muss doch mit dem Franze oben im Münchner Landtag mal was vorwärts gehen, irgendwann hat ganz Südostbayern das Recht auf Beförderung. Natürlich spürt Meyer den Druck der Parteifreunde. Seine Ambitionen will er deshalb gar nicht erst leugnen. "Am Vorsitz im Kommunalausschuss, da habe ich Interesse", gibt er unumwunden zu. Den CSU-Mitgliedern in Niederbayern ist das zu wenig.

Sie sehen Meyer schon im Kabinett neben den Großkopferten sitzen. "Unser großer Wunsch wäre es, dass er Staatssekretär wird, wenigstens", sagt Fritz Pflugbeil, der CSU-Bürgermeister von Haarbach.

Das dürfte schwierig werden. Im Münchner Landtag, da stehen die Aktien für Meyer nicht so gut. Seine Karriereträume lösen unter den Kollegen in der CSU-Fraktion eher Heiterkeit aus. Der Franze, heißt es, der sei ein integrer Mann, aber halt kein politischer Kopf. Und leider wisse er nicht, wo seine Grenzen liegen. Seit 1990 sitzt er schon im Parlament, arbeitet brav im Haushaltsausschuss mit und leitet die Arbeitsgruppe zur Verwaltungsreform. So richtig groß aufgetrumpft hat er noch nie. Seine Reden im Plenum liest Meyer immer vom Manuskript ab, wobei er auch die Es und Ns an den Wortenden überdeutlich mitspricht, was den Vortrag arg verschandelt. Den Journalisten und Abgeordneten kommen einzelne Passagen der Meyer-Manuskripte zudem verdächtig bekannt vor. Das liegt daran, dass er gerne bei Finanzminister Kurt Faltlhauser abkupfert. Auf diese Weise vermeidet Meyer zwar grobe Schnitzer. Für einen, der einen gehobenen Posten will, reicht der Eigenanteil aber nicht aus.

Lädiertes Wir-Gefühl

Im Stimmkreis jedoch sind politische Visionen ohnehin nicht gefragt. Hier zählt die schiere Anwesenheit, und da macht Meyer keiner was vor. Haarbach, 20 Kilometer westlich von Passau: 2600 Einwohner, 64 Vereine, sieben Feuerwehren, ein leicht lädiertes Wir-Gefühl. Der Mobilfunkmast stört den Frieden. Kurz nur bedankt sich Meyer im Gasthaus Hasenberger bei den Vereinsvorständen für deren Engagement. Dann ist Bürgermeister Fritz Pflugbeil dran. "Haarbach ist eine schwarze Gemeinde", sagt er. "Ich bin dankbar dafür." Mit bewegter Stimme erinnert Pflugbeil an die beiden großartigen Feuerwehrfeste in diesem Jahr: "Ein jeder hat sein Haus rausgeputzt. Damit hat man die unbandige Verbindung zur Feuerwehr hergestellt." Nach ihm berichtet CSU-Bezirkstagskandidat Hans Danner von seiner genialen Idee, wie man Niederbayern international bekannt machen könne - als "Toscana Bayerns". Der Spruch, gesteht er aber, sei "noch ned ganz fertig".

Jeden Abend hat Meyer jetzt solche Veranstaltungen, bei denen er als Stargast auftritt. Kurz vor der Landtagswahl verschärft er nochmal das Tempo. 200Termine in acht Wochen. Zwischen Vilshofen und Rottalmünster soll es keinen Kanaldeckel mehr geben, den nicht Meyers Fußabdruck ziert. Alle 22 Gemeinden seines Stimmkreises besucht er deshalb, obwohl er sie doch schon seit Jahren kennt. Zwölf Stunden hat allein die Tour durch Haarbach gedauert. Kindergarten, Wasserversorgung und diverse Baustellen standen auf dem Programm. Bürgermeister Pflugbeil ist ganz begeistert von so viel Einsatz: "Der Franze haxt sich nei für uns alle."

So dumm die Sache mit dem Kabinett auch sein mag. Meyer geht völlig auf in seinem Leben als CSU-Abgeordneter. Irgendwelche Hobbies? Er denkt kurz nach und sagt dann fast entschuldigend: "Daheim, da leg ich mich schon mal hin." Bis zur Landtagswahl bleibt ihm dafür keine Zeit. So viele Schirmherrschaften warten noch auf ihn. So viele schöne Feuerwehrfeste wie in Thanham, bei denen es im Grunde genommen ja gar nicht um die Feuerwehr geht , sondern ums Feiern. "Der größte Einsatz is scho immer das Erntedankfest", spottet die Leitl-Bäuerin über die Thanhamer Wehr, die nur über ein mickriges Fahrzeug verfügt. Sie ist die Fahnenmutter, sie darf sich solche Späße erlauben. Meyer doziert nun ganz ernst über den Zusammenhang zwischen Löschen und Christentum. Das freut den Kreisbrandrat. "Des Menschliche", sagt er über seinen Franze, "des is bei dem in Ordnung." Meyer kann das Lob nicht hören. Er steht gerade oben auf der Bühne im Festzelt und dirigiert die Blaskapelle, ganz hingerissen vom Wir-Gefühl.

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