Wahlen in Österreich:Der Nette und der Fesche

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ÖVP-Vizekanzler Molterer gilt als glaubwürdig, bleibt aber blass. SPÖ-Chef Faymann lässt sich vom Boulevard besingen, wirkt jedoch zu glatt. Bei der Wahl am Sonntag dürften wohl die Rechten profitieren.

M. Frank, Wien

Der Victor-Adler-Markt ist der Isonzo der Wiener Wahlkämpfer. An diesen Frontfluss zwischen österreichischen und italienischen Truppen denkt zumindest die pausbäckige Person hinter dem Rost mit den Käsekrainern, einer Wurst, die man hierorts "Eitrige" nennt. "Mein Mann sagt immer, das ist wie im Ersten Weltkrieg: Jeder glaubt, wenn er diese Stellung genommen hat, dann ist er Sieger." Deshalb kämen sie alle und machten einen "Mordsaufstand".

Fast auf Augenhöhe: Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer (links) und der Vorsitzende der SPÖ, Werner Faymann, im Wiener Kanzleramt. (Foto: Foto: Reuters)

Doch wo könnten Wahlkämpfer unbeliebter sein in Österreich als an diesem zentralen Ort des großen Wiener Arbeiterbezirks Favoriten. Auch der Obsthändler in der ersten Reihe mault, aber erst, nachdem er einem wahlkämpfenden Kandidaten höflichst den gerade so genügenden Gang seiner Geschäfte versichert hat. "Andauernd blockieren Massen den Markt, die nix kaufen, weil jemand eine Rede hält." Wer wirklich Besorgungen machen will, komme gar nicht mehr an die Ware heran vor lauter Gaffern.

Man sieht also, dass Wahlkampf ist in Österreich, und zuverlässig hört man das auch am Dixieland. Der wäre ohne die Rituale der plebiszitären Demokratie sicher längst ausgestorben. Nun eröffnet der antiquierte Rumpeljazz die Visite eines Politikers, der auf diesen Ort nicht verzichten könnte: Werner Faymann, neuer Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ).

Victor Adler, der Namensgeber des Markts, war einer der großen Gründerväter der SPÖ, und Favoriten ist außerdem nicht nur jener Bezirk mit den weithin ärmsten Bewohnern Wiens, mit den meisten Zuwandererfamilien, mit traditionell starken roten Bastionen und einem gefährlich großen Wechselpotential. Nein, hier sind die Arbeiter schon einmal, zu den großen Zeiten des Erzpopulisten Jörg Haider, der SPÖ in Scharen davon und den Angstmachern von der extremen Rechten zugelaufen. So was darf nicht wieder passieren, zumal dieser Haider, diesmal für die Spalterpartei BZÖ, erneut umgeht im Lande.

Der in Wien gebürtige SPÖ-Spitzenkandidat Faymann hält also hier nun eine kurze Rede, in der viel Solidarität vorkommt, von der sich aber niemand so richtig was merkt. Viel mehr interessiert: Ist der Mann mit dem feriengebräunten Gesicht und dem melierten, gepflegten Haupt wirklich so glatt, wie alle sagen? Ist das der "Teflontyp", als den man ihn beschreibt, an dem alles abperlt?

Einer aus dem Tross frohlockt: "Zu Gusenbauer haben wir die Leute hintreiben müssen. Bei Faymann müssen wir sie wieder abdrängen, sonst erdrücken sie ihn."

Personenkult pur, und den Kandidaten ist es nicht mal peinlich

Alfred Gusenbauer, bis vor kurzem SPÖ-Chef, ist der noch amtierende Bundeskanzler in Wien und eine der unglücklichsten Figuren der österreichischen Nachkriegspolitik. Ohne wirkliche Durchsetzungskraft gegenüber dem widerspenstigen Bündnispartner von der Volkspartei ist er mit seiner großen Koalition gescheitert, weshalb es nun Neuwahlen gibt - ohne ihn. Seine übergelehrige Oberlehrerpose war gefürchtet. Gespräche mit einfachen Menschen gerieten zum mühseligen Ringen um Floskeln.

Ganz anders der eher kleine Faymann. Schon als Wiener Baustadtrat und Infrastrukturminister wusste er die Wohltaten des Staates als gleichsam direktes Geschenk seiner selbst für jeden Einzelnen zu inszenieren. Die Boulevardblätter erkoren ihn darob zu ihrem Liebling.

In der Kronen Zeitung, dem verbreitetsten Massenblatt des Landes, findet man in diesen Tagen Reime wie diesen: "Der Faymann ist schon imposant, fesch, attraktiv, charmant, gewandt. Nur reicht an dies sein Stimmorgan (perfekt ist keiner!) nicht heran. Würd' auch noch dieses prächtig tönen - es wär beinah zu viel des Schönen."

Wer dahinter Ironie vermutet, irrt schrecklich. Personenkult pur, Tag für Tag. Ist ihm das nicht peinlich? Er sei der Letzte, sagt Faymann dazu, der den Medien ihre Art der Berichterstattung vorschreiben wolle. Es gebe nun einmal subjektiven Journalismus.

Faymann schaut jedem Gesprächspartner so in die Augen, dass der glaubt, er rede nur mit ihm allein so vertraut. Eine Art, die nicht nur die potentiellen Wähler dahinschmelzen lässt, sondern die auch im politischen Geschäft so manchen Skeptiker - manchmal grundlos - zu ihm hat überlaufen lassen.

Und fesch ist er tatsächlich, was für Österreichs Medien aber längst zu einer eher höhnischen Formel geworden ist. Manche Wähler jedoch sehen das eher als eine Labsal, wie der Ausruf einer vielleicht 50-jährigen Passantin belegt. Ob ihr die Rede gefallen hat? "Das ist doch wurscht bei so einem schönen Menschen."

Auf Seite 2: Warum Psychologen prognostizieren, dass Faymann gewinnen wird

Faymann ist von der Natur ein stetes leichtes Lächeln ins Gesicht geschnitten, selbst wenn er sich ganz ernst gibt. Mit seinen immerhin schon 48 Jahren ist er im formenversessenen Österreich drauf und dran, den einstigen Finanzminister Karl-Heinz Grasser als nationalen Lieblingsschwiegersohn abzulösen.

Selbst die 84-jährige Hedi Kainz, eine alte Sozialistin, die seit 1950 in Favoriten lebt, bestätigt, dass sie nun wieder "ganz bei der Sache" sei. Auch die Jungen, weiß sie, würden "wieder laufen für die SPÖ".

Aber durch die Menge auf dem Victor-Adler-Markt rempelt sich unwirsch auch eine mittelalte Dame. Plötzlich lüftet sie den Schal, darunter kommt ein FPÖ-Parteiabzeichen heraus, und sie knurrt: "Da können Sie sehen, warum ich hier schnell durch will."

Jemand brüllt ihr nach, früher hätten nur die Nazis das Abzeichen unter dem Revers getragen. Aber auch ihre Botschaft ist klar. Das Rennen werden längst nicht mehr nur die beiden Großen unter sich ausmachen. Die Siege, die Sozialdemokraten und Österreichische Volkspartei (ÖVP) bei der Parlamentswahl am Sonntag erzielen könnten, werden zugleich Niederlagen sein.

Es wird vor allem darum gehen, wer weniger verliert, wer die größere Rumpfpartei bleibt nach dem Desaster der gescheiterten großen Koalition, wer den Anspruch stellen kann, Bundeskanzler zu werden und die Regierung zu bilden. Denn SPÖ und auch ÖVP werden nicht nur hier in Favoriten an die radikale Rechte von FPÖ und BZÖ verlieren, so viel ist sicher.

Die eigene Partei aufs Kreuz gelegt

Zumindest ist zu erwarten, dass Faymann und sein ÖVP-Gegenkandidat Wilhelm Molterer Augenhöhe wahren werden, auch physisch. Von Bundeskanzler Gusenbauer war der ÖVP-Chef und noch immer amtierende Vizekanzler um einen Kopf überragt worden, Faymann ist so groß wie er.

Doch selbst die eigenen Leute belächeln Molterer manchmal als "Pater Willi". Das rührt von seiner einst salbungsvollen Art her, die aber längst einer ziemlich harten Gangart gewichen ist. Als Fraktionschef hatte er einst mit fester Hand dem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den Rücken freigehalten, mit gleicher Härte hat er Gusenbauer zum Verlierer im Koalitionsspiel gemacht.

Früher hatte sich Molterer, der oberösterreichische Bauernsohn, eher als Mediator verstanden. Die Offensive hat er erst lernen müssen, dies aber gründlich. Journalisten fragt er schon mal direkt, warum sie "ein gestörtes Verhältnis zur ÖVP" hätten. Mit der Aufkündigung der alten Koalition hat der 53-Jährige die eigene Partei aufs Kreuz gelegt und sie daran gehindert, an seiner Stelle einen anderen, zumindest politisch Jüngeren zum Kanzlerkandidaten zu machen.

Den Bonus eines glatten Schönlings kann Molterer mit seiner dicken Brille nicht einheimsen. Ein giftiger Mensch hat einmal angemerkt, da habe sich nicht ein Mann einen Bart, sondern der Bart einen Mann wachsen lassen. Aber Molterer ist den Bürgern nicht unsympathisch, und auch in der ÖVP schätzen sie ihn. Nur zum Spitzenkandidaten wollten sie ihn eigentlich nicht machen.

Allerdings habe sich die Lage sehr gebessert, versichert Anita Haider. Die oberösterreichische ÖVP-Funktionärin sieht ihre Parteifreunde heute mit einem gewissen Vergnügen und mit Elan in den Wahlkampf gehen. Am Anfang war das anders, wenn auch nicht ganz so schlimm wie bei den Roten.

In der SPÖ hatten laut internen Umfragen 60 Prozent der Anhänger anfangs die Absicht, eine "Denkzettelwahl" für die eigenen Leute zu tätigen, und auch bei den Christsozialen habe es solche Gefühle gegeben, bekennt Anita Haider. Aber: "Das ist weggeblasen."

Doch Euphorie ist auch nicht zu spüren, nicht einmal im Design Center des oberösterreichischen Linz, wo sich Wirtschaftstreibende und Funktionäre von der deutschen Bundeskanzlerin Mut für die Schlussphase des Wahlkampfes machen lassen. Mit Witz und Elan stachelt Angela Merkel hier die Menge an, und hinterher hört man: "So eine hätten wir gern." Mancher meint, diese Rede hätte eigentlich Parteichef Molterer halten müssen, der keinen rechten Glanz zu verbreiten vermag.

Aber manchmal geht es ja auch ohne Glanz ganz gut. So zum Beispiel in den TV-Duellen, in denen Molterer sich sogar der gouvernantenhaften Disziplinierung der Star-Moderatorin Ingrid Thurnher zu erwehren weiß, die immer dann die Debatte unterbricht, wenn sie konkret und spannend wird. Am Ende erscheint er als der Glaubwürdigere. Er kommt gut an, aber das Problem ist: Er erzielt keine Wirkung.

Den Wahlkampf begann er mit fast zehn Prozent Vorsprung vor Faymann, im Endspurt liegt er bereits zurück. Warum eigentlich, weiß niemand wirklich zu sagen. Molterer redet gern mit den Menschen, oder er spielt dies zumindest gut. Er spricht mit ausgiebiger Mimik, signalisiert Interesse, Überraschung, Heiterkeit, Verdruss - und wenn es brenzlig wird, setzt er ein herzliches Lächeln auf. Doch sogar die Freunde murren: "Der muss immer was beweisen."

"Wenn wir schon verlieren, dann bitte mit großem Abstand"

Von Molterer würden die Österreicher, um das bewährte Bild zu bemühen, viel eher einen Gebrauchtwagen kaufen als von Faymann, aber wählen würden sie ihn deswegen noch lange nicht. Ein Herr im sehr steifen Loden erläutert unter dem Glas-Stahl-Gewölbe des Linzer Design Centers: "Wenn wir schon verlieren, dann bitte mit großem Abstand." Denn dies würde Molterer hinwegfegen, es käme Josef Pröll dran, Landwirtschaftsminister und ewiger Kronprinz, und dann könnte man neu anfangen.

So sieht das wohl auch Molterers Gegenspieler Faymann. Er hält eine Neuauflage der verhassten großen Koalition in Wien durchaus für möglich. Ob die dann funktioniere, sei "eine Frage der Personen", sagt der SPÖ-Chef. Das heißt wohl: Wenn er nur genug Vorsprung hat, dann wird er sich von der ÖVP einen anderen Spitzenpartner ausbitten. Die ÖVP weiß das. Molterer weiß das.

Die Psychologen prognostizieren, dass Faymann gewinnen wird, weil er nicht Gusenbauer ist. Weil er so glatt ist, dass ein jeder alles, jeden Wunsch, jede Vision auf ihn projizieren kann. Molterer hingegen ist Molterer. Drum stehen die Chancen für ihn schlecht. Und trotzdem lächelt er weiter entwaffnend.

© SZ vom 23.09.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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