Vorwurf der Günstlingswirtschaft:Die Kommission verklagt die Ex-Kommissarin

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Mit Edith Cresson muss sich erstmals ein früheres Mitglied der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshofs verantworten.

Von Alexander Hagelüken

Unterliegt die heute 70-Jährige vor dem Europäischen Gerichtshof, könnte sie ihre Brüsseler Pension von monatlich 3000 Euro verlieren.

Die Vorwürfe gegen die frühere französische Premierministerin hatten 1999 zum Sturz der gesamten Kommission unter Präsident Jacques Santer geführt. Die Affäre Cresson war Ende der 90er Jahre zum Symbol für EU-Vetternwirtschaft geworden.

Die Kommissarin hatte unter anderem ihrem Zahnarzt Rene Berthelot eine Stelle als "hochrangiger Wissenschaftler" verschafft. Berthelot, der Cresson privat als Kartenleger gedient haben soll, fertigte für 120.000 Euro Honorar inhaltsarme Berichte.

"Seine Dienste waren bezüglich Quantität, Qualität und Nützlichkeit eindeutig mangelhaft", urteilte damals eine Expertenkommission. Und weiter: "Seine Fähigkeiten und Erfahrungen entsprachen nicht dem Posten, für den er eingestellt wurde.

...doch die Kommission handelte nicht

Es handelt sich um einen klaren Fall von Günstlingswirtschaft". Berthelot soll entgegen seiner Stellenbeschreibung für Cresson vor allem Aufgaben im Provinzort Chatellerault übernommen haben, wo sie als Bürgermeisterin amtierte.

Als Bildungskommissarin war Cresson für das Programm "Leonardo da Vinci" mit einem Volumen von 600 Millionen Euro zuständig. Interne Prüfer monierten jahrelang Unregelmäßigkeiten, ohne dass die Spitze der Kommission handelte. Französische Firmen sollen ihre Nähe zur Kommissarin ausgenutzt haben, um ungerechtfertigt von hohen Aufträgen zu profitieren.

Das EU-Parlament verweigerte der Kommission damals die Haushaltsentlastung, um Konsequenzen zu erzwingen. Nachdem ein "Gremium der Weisen" ein vernichtendes Urteil gefällt hatte und Cresson einen Rücktritt ablehnte, stürzte die gesamte Kommission.

Beispielloses Vorgehen

Die Sozialistin, die 1992 nach weniger als einem Jahr als französische Premierministerin gehen musste, weist bis heute alle Vorwürfe zurück. Es handele sich um eine Kampagne, um Frankreich zu schaden.

Die belgische Justiz stellte kürzlich ein Verfahren gegen sie wegen Betrugs und Urkundenfälschung ein. Die Kommission wirft ihr jetzt vor, gegen ihre Pflichten als Kommissarin gemäß Artikel 213 EG-Vertrag verstoßen zu haben.

Der Vorwurf lautet auf "Günstlingswirtschaft und/oder grobe Fahrlässigkeit wegen Verträgen an zwei ihr nahe stehende Personen", unter anderem den Zahnarzt. Da es keine Disziplinarverfahren gegen Kommissare gibt, muss die Brüsseler EU-Zentrale die Sache vor dem Europäischen Gerichtshof ausfechten. Die dienstrechtlichen Verfahren gegen zehn Beamte ruhen, bis diese Klage entschieden ist.

Das beispiellose Vorgehen der Kommission gegen Cresson wirkt wie ein Versuch, sich als Bekämpfer der Verschwendung von Steuergeldern zu profilieren. Erst 2003 hatte die zögerliche Brüsseler Haltung im Fall Eurostat für Schlagzeilen gesorgt. Beim europäischen Statistik amt waren jahrelang Millionen in schwarzen Kassen versickert.

Der ehemalige EU-Finanzprüfer Paul van Buitenen, der maßgeblich an der Aufdeckung des Falls Cresson beteiligt war, hatte kürzlich Konsequenzen gefordert. "Wenn die Kommissare diese Vorgänge unter den Teppich kehren, werde ich alle Hintergründe enthüllen, sodass das Gremium in Stücke gerissen wird", drohte der Niederländer, der inzwischen als Abgeordneter ins Europaparlament gewählt wurde.

Nachdem van Buitenen damals interne Papiere über Cresson an die Öffentlichkeit lanciert hatte, hatte nach jahrelanger Verzögerung die Aufklärung des Falls begonnen. Der Beamte wurde zur Strafe vom Dienst suspendiert, sein Gehalt halbiert.

© SZ vom 21.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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