Vorwurf: Arbeitsmangel:Der leere Schreibtisch

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Ein Beamter zieht vor Gericht, weil er mehr arbeiten möchte. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern verursacht auch noch eine Menge Ärger.

Von Marco Finetti

Lothar Schulte hat seine Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verklagt. Schulte ist Ministerialrat, ein hoher Beamter also, und er kämpft darum, dass er mehr arbeiten darf.

Verklagt vom nichtstuenden Beamten: Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD). (Foto: Foto: dpa)

Ein Beamter, der mehr arbeiten will! Aus solchem Boden wachsen Beamtenwitze. Die Sache hat aber übers Kauzige hinaus einen ernsten Hintergrund. Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gärt es, vor allem am Hauptsitz in Bonn, wo die Fachabteilungen und die meisten der knapp 1000 Beamten und Angestellten geblieben sind, während die Spitze des Hauses um Bulmahn in Berlin sitzt.

Schulte ist nicht der einzige

"Die Stimmung ist schlecht", sagt einer der höchsten Beamten des Hauses. Und Schulte sei nicht der einzige, der sich arbeitslos am Arbeitsplatz fühle.

Schulte leitet in Bonn das BMBF-Referat 626 "Akademien der Wissenschaften". Er ist zuständig für langfristige Forschungsprojekte, zum Beispiel das Goethe-Wörterbuch oder das Verzeichnis sämtlicher Bach-Werke. Damit fühlt sich der 60-Jährige jedoch unterfordert. "Das schaffe ich in vier Stunden pro Woche", sagt er.

Zusätzliche Pikanterie: Obwohl Schulte nach eigener Rechnung zu höchstens zehn Prozent ausgelastet ist, bekommt er hundert Prozent Gehalt, und das sind pro Monat mehr als 6000 Euro.

Einst schrieb er Kabinettsvorlagen für Kohl

Bis vor zwei Jahren war Schultes Arbeitsgebiet erheblich umfangreicher. Seit 1974 ist er im Ministerium, zwischenzeitlich schrieb er die Kabinettsvorlagen für Helmut Kohls erste Bildungsministerin Dorothee Willms, später betreute er die Großforschungseinrichtungen des Bundes.

Auch im Personalrat saß Schulte, und nach der schwierigen Fusion des Bildungs- und des Forschungsministeriums unter "Zukunftsminister" Jürgen Rüttgers (CDU) brachte er Mitte der neunziger Jahre viele Streithähne an einen Tisch, wie ihm Kollegen attestieren.

2001 wurde Schulte zuständig für die Deutschen Historischen Institute im Ausland, die Geisteswissenschaften und die Akademien der Wissenschaften.

Ärger mit China

Im November 2002 wurde er mit sofortiger Wirkung von den meisten Aufgaben entbunden. Schulze erinnert sich an drei Vorwürfe: Er habe ein Forschungsprojekt über China auslaufen lassen wollen und damit einen chinesischen Vizeminister brüskiert; er habe sich bei einer Stellenbesetzung gegen einen Bewerber aus dem BMBF ausgesprochen und habe für zwei Stiftungen einen Mustervertrag entworfen.

Die empfohlene private Rechtsform verstieß gegen die Interessen des Ministeriums. Der wahre Grund für seine "Skelettierung auf dem Organisationswege" sei aber, dass er dem Abteilungsleiter Uwe Bake und dem Staatssekretär Wolf-Dieter Dudenhausen in die Quere gekommen sei.

Dudenhausen sei ein China-Fan, Bake damals zuständig für die rechtliche Neuordnung der Auslandsinstitute in einer Stiftung. Die beiden habe es gestört, dass er seine Meinung vertreten habe.

Aufgabengebiet: Nichtstun

Letztlich wird schwer zu klären sein, wie verärgert der chinesische Vizeminister wirklich war und warum nun Schulte tatsächlich den Mini-Job bekam. Auffällig ist aber schon, wie viele solcher Geschichten es im Ministerium gibt.

Jürgen Jesinghaus, zuständig für Informationstechnik, verbrachte die letzten anderthalb Jahre vor seiner Pensionierung "praktisch mit Nichtstun", wie er sagt.

Der Referatsleiter Wolfgang Mönikes, seit kurzem ebenfalls pensioniert, wurde in die Redaktion des Bundesforschungsberichts abgeschoben. Beide vermuten, was auch Schulte annimmt: dass ein Streit mit Dudenhausen, der grauen Eminenz des Hauses, hinter ihrer Kaltstellung steht.

Dudenhausen ist seit Ende 2002 der zweite beamtete Staatssekretär des Ressorts - schon sein Aufstieg sorgte für Geraune, hatte es dort bisher doch nur einen dieser Spitzenbeamten gegeben.

Cholerisch, unberechenbar, unfroh

Bald schon war der Mann im Ministerium und in der Wissenschaftslandschaft gefürchtet wegen seines Auftretens und seiner Personalführung. Cholerisch sei er, heißt es, unberechenbar, und besonders unfroh reagiere er auf Kritik und auf Menschen, die Dinge anders sehen als er. Er habe aber das Vertrauen der Ministerin. Inzwischen sei das Klima im Ministerium eisig.

"Unbehagen im Hause"

Erst kürzlich machte der Offene Brief eines Unterabteilungsleiters die Runde, der beklagte, dass von den Beamten zunehmend Willfährigkeit erwartet werde. Ein anderer hoher Ministerialer spricht von "wachsendem Unbehagen im Hause" - Kompetenz werde immer geringer geschätzt, Ergebenheit immer höher.

Ministeriumssprecher Olaf Ziegler weist solche Vorwürfe weit zurück. Unterbeschäftigt sei bei Deutschlands obersten Verwaltern von Bildung und Forschung niemand. Auch sei Schulte "amtsangemessen" beschäftigt: "Er hat eine Aufgabe, die einen Referatsleiter voll ausfüllen kann, je nachdem, wie er sich einsetzt." Im Klartext: Schulte würde sich nicht langweilen, wenn er seinen Job nur ernster nähme.

Berlin und Bonn sind verärgert

Schultes Klage jedenfalls kommt für das BMBF und dessen Chefin Bulmahn zum ungünstigsten Zeitpunkt. Gerade haben die Karlsruher Verfassungsrichter im Streit um die Juniorprofessur dem Ministerium klar gemacht, wie wenig es entscheiden darf.

Und nun erwägt gar die Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat, den Ländern noch mehr Rechte an den Hochschulen zu geben. "Wozu dann noch ein Bundesbildungsministerium?", wird in Berlin und Bonn bereits gefragt. Da macht es sich besonders schlecht, wenn ein hoch bezahlter Beamter über und gegen seinen leeren Schreibtisch klagt.

© Süddeutsche Zeitung vom 16.10. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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