Vor der Wahl in der Schweiz:Ein halber Erdrutsch

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Umfragen zufolge soll die rechtspopulistische SVP bei den Parlamentswahlen am Sonntag zwei Prozentpunkte zulegen - nicht viel? Für Schweizer Verhältnisse schon.

Gerd Zitzelsberger

Nach einem Wahlkampf, wie ihn das Land noch nicht erlebt hat, stimmen die Schweizer am Wochenende über ihr neues Bundesparlament ab. Als sicher gilt, dass es zu einer weiteren Polarisierung kommt.

An ihm scheiden sich die Geister: SVP-Politiker Christoph Blocher (Foto: Foto: Getty)

Zulegen werden nach den Umfragen zum einen die Grünen und zum anderen die rechts außen angesiedelte Schweizerische Volkspartei (SVP). Um deren Galionsfigur Christoph Blocher kreiste der Wahlkampf in erster Linie. Die politische Mitte wird nach den Prognosen dagegen Federn lassen müssen.

Zwei Ergebnisse hat der Wahlkampf schon jetzt: Geld spielt eine weit größere Rolle als früher, und die politischen Sitten in der Eidgenossenschaft wandeln sich. Die Auseinandersetzung wird offener, aber gleichzeitig wird der Ton ruppiger.

Wechselseitig warfen sich die politischen Lager vor, mit Geheimplänen zu agieren, Komplotte zu schmieden und den Putsch zu versuchen. Die Vorsicht und Verbindlichkeit, mit der sich die Kontrahenten früher behandelten, mutiert zur Konfrontation.

Emotionen verdrängen die Sachthemen, und die Bedeutung der lokalen Politiker schwindet. Dafür rücken landesweite Galionsfiguren in den Vordergrund.

Spekuliert wird sogar, ob das ungeschriebene Regierungssystem noch lange Bestand hat: Als Gegenpol zur direkten Demokratie per Volksabstimmung über wichtige Einzelfragen hat sich gleichzeitig die "Konkordanzdemokratie" etabliert:

Seit 1959 sind in der Regierung alle großen Parteien entsprechend ihren ungefähren Stimmanteilen vertreten. Einen Regierungschef mit Richtlinienkompetenz gibt es nicht. Stattdessen entscheiden die sieben Minister, in der Schweiz Bundesräte genannt, per Abstimmung.

Hinterher müssen sie alle den Beschluss vertreten, als sei er ihr eigener Wunsch gewesen. Das System soll zu Kompromiss und Konsens führen. Die Alternative zur Konkordanzdemokratie wäre eine - linksbürgerliche oder rechtsbürgerliche - Richtungsregierung mit großen Oppositionsparteien.

Noch erklären alle großen Lager, sie wollten an der Konkordanz festhalten. Derzeit lässt ihnen die politische Kräfteverteilung auch kaum eine Alternative.

Kleine Verschiebungen, großer Trend

Große Verschiebungen sind laut den Wahlprognosen auch bei der Stimmenauszählung am Sonntag nicht zu erwarten. Doch aller Voraussicht nach setzt sich der Trend früherer Wahlen fort, und dies verändert im Laufe der Zeit die politische Landschaft der Schweiz.

Immer kleiner werden dabei die früher einmal dominierenden rechtsbürgerlichen Freisinnigen (FDP). Gleichzeitig gewinnt die weiter rechts stehende SVP von Blocher. Zwar deuten die Umfragen nur auf einen kleinen Zuwachs für die SVP hin - möglicherweise aber vor allem, weil sich mancher Schweizer nicht offen zu der Partei bekennen mag.

Hier lagen die Prognosen schon vor vier Jahren daneben: Die SVP erhielt deutlich mehr Stimmen als erwartet. Parteipräsident Ueli Maurer jedenfalls ist optimistisch: "Wir bekommen zwei Prozentpunkte mehr als 2003", sagte er zur SZ.

Für Schweizer Verhältnisse wäre das ein halber Erdrutsch. Mit 28 Prozent läge die SVP dann weit vor der zweitstärksten Kraft, den Sozialdemokraten (SP), die es bei der Wahl vor vier Jahren auf 23 Prozent brachten und diesmal wohl Stimmen an die Grünen abgeben müssen.

Unterschwellig setzen Blocher und die SVP bei ihrem Wahlkampf auf den "Kleiner-Bruder-Komplex" vieler Schweizer: Sie fühlen sich überrannt von ihren großen "Brüdern" ringsum. Franzosen, Italiener und vor allem Deutsche treten als Wettbewerber um Arbeitsplätze auf, als Mitbieter bei Grundstücken oder als Konkurrenten um Aufträge.

"Lange Spieße gegen Ausländer"

Auf ihren Plakaten geht es der SVP um kriminelle Ausländer. Auf den Wahlveranstaltungen tönt es anders: Die Schweizer müssten ihre Freiheit verteidigen gegen EU, Linke und Kriminelle.

Sie müssten mit "gleich langen Spießen" gegen die Ausländer antreten können, predigt Blocher, und jeder im Saal weiß, was gemeint ist. Sein zweiter Kniff: Obwohl in der Regierung, geriert er sich im Wahlkampf als die einzige wirkliche Opposition.

Zudem hat die SVP - sichtlich zur Überraschung der anderen Parteien - einen hochprofessionellen Wahlkampf entsprechend den Marketing-Konzepten der Industrie gemacht. Als Helfer wirkt offenbar auch die FDP: Sie ist vielerorts Listenverbindungen mit der SVP eingegangen, und hat sie damit auch beim Bürgertum hoffähig gemacht.

Bei den Parlamentswahlen treiben die Schweizer auf der einen Seite die Demokratie auf die Spitze: Die Wähler können Kandidaten streichen, andere doppelt auf Liste setzen und Namen handschriftlich hinzufügen; sie können sogar eine völlig eigene Liste abgeben.

Verdunkelte Wahlkampffinanzierung

Damit und weil ausschließlich auf kantonaler Ebene gewählt wird, erhalten auch regional verankerte Splittergruppen eine Chance. Immerhin beinahe jeder zehnte Abgeordnete im 200-köpfigen Nationalrat, der ersten Kammer des Parlaments, gehört einer solchen Minipartei an.

Auf der anderen Seite gibt es einen Punkt, bei dem selbst die internationalen Wahlbeobachter der OSZE die Nase rümpfen: Wie die Parteien ihren Wahlkampf finanzieren, bleibt völlig im dunklen.

Brisant ist das Thema, weil die SVP - im Gegensatz zu allen anderen Parteien - diesmal über schier unerschöpfliche Mittel verfügt. Über Monate hinweg hat sie jeden Tag großflächige Farbanzeigen in großen und kleinen Zeitungen geschaltet, und selbst der Schweinebraten bei ihrer letzten Wahlveranstaltung in Zürich ging noch zu Lasten der Parteikasse.

In der Öffentlichkeit gibt sich der Milliardär Blocher mit seiner SVP als Anwalt der kleinen Leute. Aber das Versprechen niedriger Steuern sorgt sichtlich dafür, dass die SVP mittlerweile Teile der Wirtschaft hinter sich hat.

© SZ vom 19.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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