Vor der Wahl:Das Desaster Irak

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Wer wundert sich noch über die Bilder von Misshandlungen in Basra? Wer hört noch hin bei den Nachrichten über eine Bombe in Bagdad? Im Irak werden Perversionen und Gewalt in solchem Übermaß produziert, dass der Überdruss inzwischen sogar die Verantwortlichen ergriffen hat. Doch was nun? Ein Kommentar von Peter Münch

Aus Londoner Regierungsquellen kommt nun der Ruf nach einem Zeitplan für den Truppenabzug - ein seltsames, aber mittlerweile folgerichtiges Echo auf den eigenen Folter-Skandal. Die Rettung der eigenen Haut ist das, was übrig geblieben ist vom Erlöseranspruch, mit dem Amerikaner und Briten vor zwei Jahren in den Irak-Krieg gezogen sind.

Wenn also kurz vor den ersten freien Wahlen im Irak eine Bilanz erstellt wird, dann kann dies nur eine Schadensbilanz sein - und das Desaster ist größer, als von den schärfsten Kritikern prophezeit. Denn Schaden genommen hat nicht nur der Irak selbst, der zwar von einem mörderischen Diktator befreit wurde, aber nun in mörderischer Anarchie zu versinken droht.

Schaden genommen hat auch der Westen, weil das unverdrossen propagierte Projekt des Exports von Demokratie und Menschenrechten von den Exporteuren selbst ad absurdum geführt worden ist.

Praller Stolz auf die Unmenschlichkeit

Die Bilder aus dem Gefängnis von Abu Ghraib stehen seit Monaten für das Versagen der Amerikaner. Die Bilder aus dem so genannten Camp Brotkorb in Basra beweisen nun, dass auch die Briten ihnen im Schlechten nicht nachstehen.

Die mit prallem Stolz mit der Kamera dokumentierten Misshandlungen mögen Auswüchse sein, für die einzelne Soldaten zur Verantwortung gezogen werden. Doch kein noch so transparentes Gerichtsverfahren und kein noch so hartes Urteil kann darüber hinwegtäuschen, dass diese Auswüchse letztlich systemimmanent sind.

Das ist kein Argument gegen jeglichen Interventionismus, selbst wenn der Krieg immer zu Verrohungen führt. Auch das militärische Eingreifen des Westens auf dem Balkan oder in Afghanistan war gewiss nicht frei von Verfehlungen. Dies jedoch hat nicht den Gesamterfolg der Missionen in Frage gestellt.

Die Balkan-Staaten sind trotz vieler Probleme inzwischen auf dem Weg in europäisch-transatlantische Strukturen. Afghanistan macht kleine, aber immer festere Schritte in Richtung Stabilität. Im Irak ist das anders. Die Folterbilder werden langfristig zum Symbol für das gescheiterte Projekt werden, denn sie passen perfekt in das Gesamtbild dieses Krieges.

Mit Lügen hinein, mit Lügen hiaus

Es zeigt sich, dass aus dem Falschen nichts Richtiges erwachsen kann: Mit Lügen ging es hinein in den Irak, wo die selbst ernannten Befreier ihren eigenen Anspruch Lügen straften - und mit Lügengebilden wollen sich Amerikaner und Briten nun baldmöglichst wieder aus ihrer Verantwortung stehlen.

Es ist ebenso schändlich wie konsequent: Die Kriegslüge muss ihre Fortsetzung in der Demokratielüge finden, weil kein anderer Weg mehr offen erscheint, um sich aus der heillosen Verstrickung zu befreien. Wenn also die Iraker am 30.Januar zum ersten Mal seit Menschengedenken vor einer freien Wahl stehen, wird dies von den vormaligen Besatzern zum Meilenstein auf dem Weg zur Stabilisierung erklärt.

Doch in Wirklichkeit ist diese Wahl im Prozess des viel zitierten nation building nicht mehr als ein klappriges Gerüst. Dahinter klafft eine tiefe Baugrube. Die Wahl kann den Irakern keine Demokratie bringen, weil dafür alle Voraussetzungen fehlen, weil die Freiheit nicht auf Schlachtfeldern gedeiht.

Was ist das für eine Demokratie, wenn Bagdad für den vermeintlichen Festtag zur Festung ausgebaut wird, wenn die Landesgrenzen für drei Tage geschlossen bleiben und wenn ein Viertel der Bevölkerung in vier besonders umkämpften sunnitischen Provinzen kaum eine Chance zur Beteiligung hat.

Freude bei den Extremisten

Die Sunniten, deren Parteien zum Boykott aufgerufen haben, werden also nicht eingebunden sein in den neuen Irak. Was diese Wahl für die Zukunft des Landes bringt, ist folglich voraussehbar: neue Gewalt.

Wenn Amerikaner und Briten trotzdem an diesem Termin festhalten, ist dies nicht allein dem Druck der schiitischen Bevölkerungsmehrheit geschuldet, die natürlich nun nach langer Unterdrückung nach der ganzen Macht im Staat greift. Vorgeschoben wirkt angesichts der düsteren Perspektiven zudem das Argument, eine Verschiebung würde einer Kapitulation vor dem Terrorismus gleichkommen.

Den Extremisten-Banden kann es schließlich nur recht sein, wenn die Sunniten so weit in die Isolation getrieben werden, dass die Rekrutierung neuer Kämpfer ein Kinderspiel wird. Nicht die Iraker brauchen diese Wahl zu diesem Zeitpunkt, sondern die Regierungen in Washington und London, die sich von einer neuen Regierung in Bagdad das Ticket für die Heimkehr ihrer Truppen ausstellen lassen wollen.

Amerikaner und Briten haben im Irak jegliche Glaubwürdigkeit verloren und ihrer Durchhalte-Rhetorik zum Trotz eingesehen, dass sie dort nichts mehr gewinnen können. Im Rückzug sehen sie die einzige Option, um den Schaden für sich selbst zu begrenzen. Der Schaden, den sie den Irakern zugefügt haben, ist grenzenlos.

© SZ vom 21.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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