Die Umfragen sind schlecht, aber der Kanzler ist gut drauf. Auf dem Parteitag vor der Bundestagswahl hält er eine seiner besten Reden, geißelt die Verzagten in den eigenen Reihen, die schon alles verloren gegeben haben, und weckt neuen Kampfesmut unter den Delegierten. Aus pflichtschuldigem Beifall am Anfang der Rede werden Ovationen, aus skeptischem Abwarten werden begeisterte Rufe: "Helmut, Helmut!"
So war das 1994 auf dem Hamburger Wahlparteitag der CDU, als die Kanzlerschaft Kohls zu enden drohte. So müsste es auch am Mittwoch in Berlin sein, wenn die SPD eine letzte, eine allerletzte Chance haben wollte, ihr Wahlziel, stärkste Partei zu werden, noch zu erreichen.
Abschiedsstimmung bei den Sozialdemokraten
Doch danach sieht es nicht aus. Gerhard Schröder ist es noch nie wirklich gelungen, Parteitagsdelegierte von den Sitzen zu reißen. Die beste, die emotionalste Rede, die er auf einer solchen Veranstaltung gehalten hat, war die zum Ende seiner Zeit als Parteivorsitzender. Jetzt herrscht wieder Abschiedsstimmung in der SPD - aber damit kann man natürlich keinen Wahlparteitag bestreiten.
Die SPD hat sich praktisch aufgegeben. Die allermeisten Genossen glauben nicht mehr an eine Wende. Ihr Blick richtet sich nicht mehr auf den 18., sondern auf den 19. September, die Stunde null, wenn es um eine neue Richtung und um Posten gehen wird.
Ein paar Sozialdemokraten kämpfen noch, allerdings vor allem mit sich selbst: Denn natürlich wollen sie nicht, dass die Wahl in einem Desaster endet. Andererseits erscheint manch einem die Aussicht, als kleiner Partner in eine große Koalition gezwungen zu werden, als noch größeres Übel. Gegen so viel Resignation kann kein Kanzler etwas ausrichten.