Vor dem Integrationsgipfel:Trotz Fleiß kein Preis

Lesezeit: 2 min

Kinder mit Migrationshintergrund scheitern am deutschen Bildungssystem. Und zwar selbst dann, wenn ihre Leistungen so gut sind wie die von Deutschen.

Tanjev Schultz

Dass die Kinder und Enkelkinder von Einwanderern in der Schule scheitern, ist kein Naturgesetz. Ihre Bildungsprobleme haben soziale Ursachen, und Ausnahmen gibt es glücklicherweise auch.

Kinder aus Migrantenfamilien werden benachteiligt - auf allen Bildungsstufen. (Foto: Foto: dpa)

Doch statistisch gesehen haben es Migranten in Deutschland schwer: Auf allen Bildungsstufen, vom Kindergarten bis zu den Hochschulen, haben sie schlechtere Chancen als ihre deutschen Altersgenossen. Migranten geben ihre Kinder seltener in einen Kindergarten als deutsche Eltern, bei der Einschulung sprechen viele unzureichend Deutsch.

Selbst wenn sie einen Kindergarten besuchen, reicht die Sprachförderung oft nicht aus. Eine Studie der Gesundheitsbehörde in Berlin zeigte im vergangenen Jahr, dass 19 Prozent der türkischen Kinder auch nach mehr als zwei Kindergarten-Jahren kaum Deutsch sprechen.

In den Schulen verschärfen sich die Probleme. Die Angehörigen der zweiten Generation von Migranten, die bereits in Deutschland geboren wurden, haben in den Pisa-Studien besonders schwach abgeschnitten. Mehr als 40 Prozent der 15-Jährigen müssen in Mathematik bereits bei den einfachsten Aufgaben passen.

Mehr als ein Drittel der jungen Migranten ohne Schulabschluss

Fast jeder zweite junge Türke besucht eine Hauptschule, nur jeder achte ein Gymnasium. Jeder fünfte Jugendliche aus einer Migrantenfamilie beendet die Schule ohne Abschluss, unter Deutschen liegt die Abbrecherquote nur bei sieben Prozent. Besondere Nöte haben Kinder, deren Eltern in Deutschland keine Aufenthaltserlaubnis haben. Nach Angaben von Flüchtlingsorganisationen gehen sie oft gar nicht zur Schule, weil sie Angst haben, ausgewiesen zu werden.

Mehr als ein Drittel der 20- bis 30-jährigen Migranten hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, haben sich in den vergangenen zehn Jahren noch verschlechtert.

Und ein Studium schaffen die wenigsten: Lediglich acht Prozent der etwa zwei Millionen Studenten kommen aus Migrantenfamilien. Überdurchschnittlich viele von ihnen machen jedoch keinen Abschluss. Nach Berechnungen von Bildungsforschern liegt der Schwund bei 45 Prozent, die Abbrecherquote deutscher Studenten liegt um die Hälfte niedriger.

Migrantenkinder kommen überwiegend aus ärmeren Familien, mitunter können die Eltern kaum lesen und schreiben. Bisher haben die Schulen die fehlende Förderung in den Familien nicht ausgleichen können. Sie haben die Probleme noch verstärkt.

Mehrere Studien zeigen, dass Migranten selbst dann benachteiligt werden, wenn ihre Leistungen genauso gut sind wie die der Deutschen. So bekommen sie seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium.

Bei gleicher Leistung weniger Chancen

Migrantenkinder scheitern am deutschen Bildungssystem, selbst wenn ihre Leistungen so gut sind wie die von Deutschen. Und nach einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung haben sie bei gleichen Schulleistungen auch geringere Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Abgesehen von offener Diskriminierung können dafür fehlende soziale Netzwerke verantwortlich sein.

Der Bildungserfolg hängt unter anderem von den Erwartungen und dem Vertrauen der Lehrer in die Fähigkeiten der Schüler ab, betont eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin.

Ihre Lage wird aber dadurch erschwert, dass Einwanderer oft unter ihresgleichen bleiben. Zwar appellieren Politiker oft an Migranten, sich nicht abzuschotten, aber das Schulsystem zwingt sie zusammen. Jedes vierte Einwandererkind besucht eine Schule, in der Migranten die Mehrheit der Schüler stellen. Bei deutschen Jugendlichen ist es nur jeder Zwanzigste.

Zwischen verschiedenen Migrantengruppen gibt es allerdings deutliche Unterschiede. Türkische und arabische Schüler haben besonders schlechte Chancen. Kinder, deren Eltern aus Osteuropa oder Russland nach Deutschland gezogen sind, schneiden besser ab, in Ostdeutschland sind vietnamesische Kinder überdurchschnittlich erfolgreich.

Kulturelle Traditionen mögen hier eine Rolle spielen, einfache Erklärungen gibt es aber nicht. Der Eindruck, dass vor allem muslimische Jugendliche Probleme haben, ist beispielsweise falsch. So gehören Italiener ebenfalls zu den Sorgenkindern, ungewöhnlich viele von ihnen besuchen Förderschulen. Und der internationale Vergleich zeigt, dass die Schulen in anderen Ländern Migranten effektiver fördern. So erreichen türkische Kinder in der Schweiz deutlich bessere Pisa-Werte als in Deutschland.

© SZ vom 12.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: