Von der Unregierbarkeit des Irak:Faisals Fluch

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Die Geschichte des Irak seit der Unabhängigkeit 1921 ist eine blutige Abfolge von Staatsstreichen, politischen Morden und Diktaturen.

Von Peter Münch

Leicht ist es nie gewesen, den Irak zu regieren. Vom haschemitischen König Faisal, den die Briten aus Mekka importiert und in ihrem Mandatsgebiet 1921 auf den Thron gesetzt hatten, ist der Seufzer überliefert: "Es gibt immer noch kein irakisches Volk, sondern nur unvorstellbare Massen, die sich gegen jede wie auch immer geartete Regierung erheben."

Gewalt gehört im Irak seit Jahrzehnten zum Alltag. (Foto: Foto: dpa)

Natürlich haben sie sich schließlich auch gegen das Königshaus erhoben. 1958 putschte die Armee und tötete den jungen Faisal II. Die Geschichte des Irak seit der Unabhängigkeit geriet zu einer blutigen Abfolge von Staatsstreichen, politischen Morden und Diktaturen.

Wer geglaubt hatte, mit dem Sturz Saddam Husseins könne diese Geschichte gewendet werden, der braucht in diesen Tagen nur auf die Straßen von Bagdad oder Basra zu blicken: Unvorstellbare Massen demonstrieren da - gegen die amerikanischen Besatzer, gegen eine irakische Übergangsregierung, gegeneinander.

Enorme historische Hypotheken

Der Irak anno 2004 ist ein Produkt seiner Geschichte, beladen also mit enormen historischen Hypotheken, die nun auf der aktuellen Politik lasten. Die Mission des US-Präsidenten George Bush, der mit dem Krieg das Tor zur Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens aufzustoßen versprach, ist angesichts der Lage als unhistorische Hohlheit entlarvt.

Dabei hätte Bush, der Sohn, sogar im begrenzten Horizont seiner eigenen Familiengeschichte lernen können, dass die Befreiung des Irak vom verbrecherischen Diktator nur um den Preis einer Entfesslung kaum zu kontrollierender anderer Kräfte zu haben ist.

Vater Bush hatte eingedenk dieser Gefahr 1991 nach dem Sieg in Kuwait darauf verzichtet, seine Truppen zum Sturz Saddams nach Bagdad zu schicken. Ihm war, ganz pragmatisch, eine ordnende Schreckensherrschaft lieber als schreckliche Unordnung oder gar ein Zerfall dieses ethnisch, religiös und sozial zerrissenen Landes.

Bush Junior setzte sich darüber hinweg, und es ist müßig, heute noch über seine Motive zu streiten. Egal ob es Idealismus oder Profitstreben, imperialer Anspruch oder ein Schutzreflex war - die USA haben sich leichtfertig auf ein Abenteuer eingelassen, dessen Ausgang sie nicht überblicken konnten. Im Krieg hatten sie es mit einem klaren Feind zu tun, den sie innerhalb von 20 Tagen aus dem Feld schlugen.

Alle stellen sich gegen die Besatzer

Im Frieden werden sie angefeindet von allen Seiten: Schiiten, Sunniten, Kurden, Exil-Politiker, gewendete Regimebüttel und bärtige Ayatollahs - alle im neuen Irak stellen sich gegen die Besatzer, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Ansprüche geht.

Der hektisch in Washington entworfene Plan zur Machtübergabe am 30. Juni und das Gerangel um die Wahl- oder Auswahl einer Übergangsregierung sind ein Beleg dafür, dass die USA den eigenen Ordnungsanspruch im Irak schon weitgehend aufgegeben haben. Die Bush-Regierung ist nicht nur auf dem Rückzug - sie ist auf der Flucht. Das selbst angerichtete Chaos hat sie in die Arme von Kofi Annan getrieben. Sollen es nun also doch die Vereinten Nationen richten?

Das wird kaum möglich sein, leider. Auch wenn es wichtig ist, die UN als einzige legitimationsspendende Kraft in den Nachkriegsprozess einzubinden - mit einer schnellen Lösung der irakischen Probleme ist die Organisation heillos überfordert. Schnell aber soll es gehen, sowohl nach Washingtons Wünschen, die dem Zeitplan des US-Wahlkampfes folgen, als auch nach dem Willen der Iraker, die ein baldiges Ende der Besatzung fordern.

Unter diesem Druck sollen die UN-Gesandten klären, ob es möglich ist, bis zum Mai Wahlen für die geplante Übergangsregierung zu organisieren.

König Faisals Fluch gilt weiter

Für solche Wahlen jedoch fehlen alle Voraussetzungen - nicht nur organisatorisch, sondern auch gesellschaftlich. König Faisals Fluch gilt weiter: Es gibt immer noch kein irakisches Volk. Vielmehr haben Jahrzehnte der Diktatur in diesem einst mit kolonialem Dünkel zusammengepressten Staat die Gräben vertieft.

Schließlich hat Saddam mit seiner sunnitischen Machtclique die Schiiten und Kurden massakriert. Damit wurde Hass aufgehäuft für Generationen. Überdies zerstörte sein bizarrer Überwachungsstaat gezielt jedes Zusammengehörigkeitsgefühl zum Teil bis hinein in die Familien.

Die Konsequenz daraus: Das Ende der Diktatur ist der Beginn eines unbarmherzigen Kampfes um Partikularinteressen.

Dabei stehen sich nicht nur die großen Blöcke gegenüber, deren Interessen sich vielleicht noch austarieren ließen. Die Zersplitterung geht viel tiefer: Bei den Schiiten verweisen Bombenanschläge und ungeklärte Morde auf einen Machtkampf verschiedener Fraktionen. Die Sunniten sind gespalten zwischen Widerstand und Anpassung. Die beiden großen Kurdengruppen kennen den blutigen Bruderkampf noch aus den neunziger Jahren.

Wer sich angesichts dieser Bedingungen auf eine rasche Machtübergabe in Bagdad fixiert, tut dem Irak bestimmt nichts Gutes. Die vermeintliche Demokratie könnte sehr schnell in einen Kampf jeder gegen jeden münden. Was der Irak vielmehr bräuchte, wäre Ruhe und Zeit für den Aufbau einer Zivilgesellschaft. Wenn jedoch der Bush-Regierung der lange Atem dazu fehlt, können auch die Vereinten Nationen das nicht kompensieren.

© SZ vom 21. Januar 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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