Volkspartei in der Krise:Die Leiden der SPD

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Nach neun Jahren in der Regierungsverantwortung in Berlin tut die SPD das, was sie mit Abstand am besten kann: Sie leidet und zweifelt - und zeigt den alten Fluchtreflex in die Wohligkeit der Opposition, den sie in den 150 Jahren ihres Daseins nie abgelegt hat.

Christoph Schwennicke

Eine Stellenanzeige der SPD in der Mai-Ausgabe des Vorwärts könnte so lauten: Soziale Großorganisation mit akutem Burnout-Syndrom und Neigung zur kollektiven Depression sucht zwei Jahre nach der feindlichen Übernahme durch konservativen Konkurrenten ihren Sinn sowie einen versierten Coach zum mentalen Wiederaufbau.

Erwartet werden Wunder im Bereich der Mitarbeitermotivation. Im Erfolgsfalle ist spätere Führungsposition nicht ausgeschlossen.

Nach neun Jahren in der Regierungsverantwortung in Berlin tut die SPD das, was sie mit Abstand am besten kann: Sie leidet und zweifelt. Sie leidet an sich, sie zweifelt an ihrem Vorsitzenden, sie bejammert ihr Dasein unter einer Kanzlerin der CDU. Sie fürchtet sich vor der Konkurrenz von links.

Sie sehnt sich nach der guten alten Zeit zurück: nach einer Zeit vor Gerhard Schröder und seiner Agenda, als noch klar war, wo der Feind stand; als ein Schutzwall die Globalisierung an Deutschlands Grenzen scheinbar Halt machen ließ; als man uneingeschränkt soziale Errungenschaften verteidigen und deren Ausbau fordern konnte.

Die SPD wünscht, es hätte Schröder und die Agenda nie gegeben

Es ist der alte Fluchtreflex in die Wohligkeit der Opposition, der die Sozialdemokratie ergreift. Diesen Fluchtreflex hat die Partei in den bald 150 Jahren ihres Daseins nie abgelegt. Als die SPD sich zum ersten Mal in einer Großen Koalition befand, hielt sie es kaum 100 Tage aus.

Und es war strukturell wie heute: Die Genossen wollten die "rechte" Politik von Reichskanzler Gustav Stresemann nicht mehr mittragen, die linke Abspaltung der USPD gewann beständig an Zulauf, Friedrich Ebert und Gustav Noske mussten sich als "Arbeiterverräter" beschimpfen lassen - während die Zahl der Arbeitslosen sank. Am 3. November 1923 kündigte die SPD schließlich die erste Große Koalition Deutschlands auf.

Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es mit Deutschland derzeit bergauf geht, weil die SPD unter Gerhard Schröder den Hebel umgelegt hat mit Riester-Rente und Agenda 2010. Statt auf diese Leistung stolz zu sein, wünscht ein immer größerer Teil der SPD, es hätte Schröder und die Agenda nie gegeben. Doch nicht nur im Gestern, auch im Heute hätten die Sozialdemokraten Grund, sich in die Brust zu werfen: Franz Müntefering macht besonnene Sozialpolitik, sein berechtigter Kampf für den Mindestlohn ist das aktuelle Beispiel dafür.

Die Rente mit 67, die Müntefering eingeführt hat, ist keine willkürliche Arbeitnehmer-Schikane, sondern unausweichlich in einer älter werdenden Gesellschaft. Finanzminister Peer Steinbrück hat mit seinem CDU-Kollegen Roland Koch ein an Voodoo grenzendes Wirtschafts- und Finanzkonzept ausgeheckt, dessen Erfolg nun unverhofft viele Milliarden in die Kasse lenkt - schon 2009 könnte der Staat ohne neue Schulden auskommen.

Die SPD müsste den Mut aufbringen, ihrer Klientel und ihren Mitgliedern zu sagen, dass Politik ohne Härten nicht mehr geht, gerade wenn man das Soziale erhalten möchte. An dieser selbstbewussten Pädagogik fehlt es völlig. Statt Angela Merkel als Übergangserscheinung und CDU-Kanzlerin von Gnaden der SPD zu stilisieren, verfallen die Sozialdemokraten in autosuggestive Depression und Kannibalismus.

Wären die Genossen von Kurt Beck als Leitwolf überzeugt, würden sie sich von Patzern und schlechten Haltungsnoten nicht kirre machen lassen. Doch die eigene Meute nimmt Witterung auf. Becks Problem sind nicht seine Fehler. Sein Problem ist seine Mimosenhaftigkeit im Umgang mit Kritik.

Die Chance der SPD schwindet, wie 1969 aus der zweiten Position heraus als Sieger aus einer Großen Koalition hervorzugehen. Für eine mentale Kehrtwende ist es kurz vor der Halbzeit der Legislaturperiode möglicherweise schon zu spät. Merkel hat sich aus ihrem Tal herausgearbeitet und neue Stärke und Selbstsicherheit gewonnen.

Auf die Mitte kommt es an

Und links außen säuselt die Sirene Oskar Lafontaine, ein Mann von großem Selbstbewusstsein, hoher Intelligenz und niedriger Hemmschwelle. Lafontaine verspricht ein soziales und pazifistisches Schlaraffenland, das angeblich nur darauf wartet, Wirklichkeit zu werden. Und die Uli Maurers und Rudolf Dreßlers der SPD werden reihenweise schwach.

Es ist eine Tücke der Geschichte, dass die CDU nach dem Ende der DDR die Blockflöten ziemlich ungeniert in sich aufnehmen konnte, während die SPD die SED/PDS verschmähen musste. Dieser Gelegenheit hinterherzuseufzen bringt nichts.

Ebenso wenig Sinn macht es, das Tabu zu brechen und über Kooperationen mit der Linkspartei nachzudenken: Koalition oder gar Fusion. Nach dem Fall der Mauer hätte die SPD der PDS diktiert, wo es langgeht. Heute diktierte die Linkspartei der SPD, wo es langgeht.

Nicht nur Lafontaine könnte ob einer solchen Kapitulation seiner einstigen Genossen triumphieren, Angela Merkel auch. Machte die SPD nach links auf, könnte Merkel in einem lupenreinen Lagerwahlkampf vor der Linksfront warnen.

Die vermeintliche linke Mehrheit in Deutschland erwiese sich als Chimäre: weil die (linke) Mitte sofort ins bürgerliche Lager überliefe. Und diese Siegerformel gilt auch in Zeiten einer sich etablierenden Linkspartei: Auf die Mitte kommt es an.

© SZ vom 18.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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