Visafreiheit:Sicherheits-Mechanismus

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Die EU sucht nach einem Hintertürchen bei der geforderten Visa-Freiheit für Türken. Ohne die platzt aber der Flüchtlingsdeal.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die EU-Kommission wird kommende Woche einen Bericht veröffentlichen, in dem sie die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zur Visa-Liberalisierung beurteilt. 72 Kriterien muss Ankara erfüllen, damit türkische Bürger wie gewünscht von Juli an ohne Visum in die Europäische Union einreisen können. Schon jetzt ist abzusehen, dass die Türkei nicht alle Hürden rechtzeitig zur allseitigen Zufriedenheit wird schaffen können. Gleichzeitig ist die Visafreiheit aber eng mit dem europäisch-türkischen Deal in der Flüchtlingskrise verbunden. Ohne Visafreiheit platze das Abkommen, haben türkische Politiker mehrmals zu verstehen gegeben.

Um der in vielen EU-Staaten wachsenden Kritik an den Vereinbarungen mit der Türkei die Spitze zu nehmen, haben Deutschland und Frankreich nun gemeinsam eine Art Notbremse für Visabefreiungen vorgeschlagen. Sie empfehlen, die Visa-Verordnung 539 aus dem Jahr 2001 so zu ändern, dass es künftig leichter wäre, die Befreiung unter bestimmten Umständen wieder zurückzunehmen. Ähnliches hatte Österreich schon vor Wochen gefordert. Der deutsch-französische Vorschlag, der der SZ vorliegt, ist zwar auf kein konkretes Land gemünzt, zielt aber offensichtlich vor allem auf die Türkei.

Er könnte allerdings auf alle bestehenden und noch geplante Visabefreiungen angewandt werden. Laut EU-Diplomaten erfuhr die Idee bei den Ständigen Vertretern der EU-Staaten "viel Zuspruch". Das Papier wurde offenbar beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg vor einer Woche verabredet. Der deutsche Amtschef Thomas de Maizière erwähnte damals einen "Snap-Back"-Mechanismus, der dazu dienen sollte, in den vorherigen Zustand "zurückzuspringen". Jetzt reden Diplomaten lieber von einem "Sicherheitsmechanismus". In der Verordnung werden drei Gründe aufgezählt, die zu einer Wiedereinführung" der Visumpflicht für bis zu sechs Monate führen könnten. Zum einen, wenn die Zahl der Bürger aus den betreffenden Staaten, die sich unerlaubt in der EU aufhalten, substanziell steigt. Gemeint sind Personen, die als Touristen einreisen, aber länger als die erlaubten drei Monate bleiben. Zweitens wenn auf einmal viele Menschen aus einem Staat, der eine niedrige Anerkennungsquote hat, einen Asylantrag in der EU stellen (die Anerkennungsquote der Türkei ist niedrig). Der dritte Grund wäre, dass der betreffende Staat sich plötzlich in großem Umfang weigert, Bürger auf Wunsch der EU zurückzunehmen. Der deutsch-französische Vorschlag weitet Punkt drei auf Bürger aus Drittstaaten aus (in diesem Fall etwa Syrer oder Afghanen) und senkt die Hürde für die Rücknahme der Visafreiheit. Auch soll laut Diplomaten nicht länger Bedingung sein, dass ein EU-Staat sich in einer "Notlage" befindet, die er aus eigener Kraft nicht beheben kann.

Aus der Türkei ist Zuversicht zu hören, alle EU-Kriterien erfüllen zu können, mit Ausnahme von Punkten, die eher technischer Natur sind. So fordert die EU Nachbesserungen beim Datenschutz, was die Einigung mit der Polizeibehörde Europol verzögert. Der Vorsitzende der christdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, verteidigte am Donnerstag den Deal mit Ankara. Zwar müssten alle Bedingungen für die Visafreiheit erfüllt sein. Andererseits müsse die Lage auch "politisch" gesehen werden. Seine Fraktion werde die Visabefreiung für die Türkei voraussichtlich billigen.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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