Visa-Ausschuss:Aus fürs vorzeitige Ende

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Nächster Tiefschlag für Rot-Grün: Das Bundesverfassungsgericht gab einem Eilantrag von Union und FDP statt, die Beweisaufnahme im Visa-Untersuchungsausschuss fortzusetzen.

Von Peter Blechschmidt

Ungeachtet aller Neuwahlpläne für den Herbst muss der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Beweisaufnahme vorerst fortsetzen. Einem entsprechenden Eilantrag von Union und FDP gab das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch statt.

SPD und Grüne hatten am 2. Juni die Beweisaufnahme wegen der erwarteten Auflösung des Bundestags ausgesetzt. Union und FDP sprachen von einem "vollen Erfolg", sie wollen vor allem noch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zu seiner Rolle in der Visa-Affäre befragen. SPD und Grüne zeigten sich überrascht.

Die Entscheidung des Zweiten Senats fiel laut einer Mitteilung des Verfassungsgerichts einstimmig. Demnach wird der Visa-Ausschuss verpflichtet, die Zeugenvernehmungen bis zu einer etwaigen Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten "unverzüglich" weiterzuführen.

Der bisherige Termin- und Zeugenplan gelte weiter, es sei denn, er werde im Ausschuss einvernehmlich geändert. Gründe für seine Entscheidung will das Gericht später nennen.

Wie er nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai angekündigt hatte, will Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1.Juli im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, um damit zu scheitern. Dann kann er Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestags und die Ausschreibung von Neuwahlen vorschlagen.

Darüber muss der Präsident binnen 21 Tagen entscheiden. Der Untersuchungsausschuss hatte seine Zeugenvernehmungen bis zum 8. Juli terminiert. An diesem Tag sollte als bislang letzter Zeuge Schily auftreten.

Schily soll gehört werden

Am 2. Juni hatten SPD und Grüne mit ihrer Mehrheit im Ausschuss beschlossen, die Zeugenvernehmungen "auszusetzen", was de facto das Ende der Beweisaufnahme bedeutete.

Daraufhin hatten Union und FDP das Verfassungsgericht angerufen, weil sie sich in ihrem Minderheitenrecht auf Anhörung wichtiger Zeugen beschnitten sahen. Auch verwiesen sie darauf, dass noch keine Entscheidung über eine Neuwahl gefallen sei.

Die rot-grüne Koalition begründete ihr Vorgehen auch vor dem Verfassungsgericht damit, dass wegen des absehbaren Endes der Legislaturperiode sofort mit der Arbeit an dem gesetzlich vorgeschriebenen Sachstandsbericht begonnen werden müsse. Nur so könne der Bericht noch "rechtzeitig" fertiggestellt werden.

Ein unvollständiger Bericht würde das verfassungsmäßige Recht des Bundestagsplenums auf Information verletzen. An dem Bericht zu arbeiten und parallel weitere Zeugen zu vernehmen, wie es die Opposition vorgeschlagen hatte, überfordere das Ausschuss-Sekretariat, argumentierte Rot-Grün.

Union und FDP geht es vor allem darum, noch Bundesinnenminister Schily zu hören. Er hatte die Lockerungen bei der Vergabe von Einreisevisa, wie sie Anfang 2000 vom Auswärtigen Amt verfügt worden waren, wiederholt als Verstoß gegen das Schengener Abkommen zum freien Reiseverkehr in Europa und damit als rechtswidrig bezeichnet.

Der Streit darüber mit Außenminister Joschka Fischer (Grüne) war dann aber auf Staatssekretärsebene beigelegt worden. Die Gründe dafür will die Opposition im Ausschuss klären. Sie hofft dabei darauf, dass Schily den grünen Koalitionspartner attackieren werde.

Außerdem will die Opposition herausarbeiten, wie eng die für Ausländerrecht zuständige Abteilung des Innenministeriums mit dem Auswärtigen Amt (AA) bei der Neuregelung der Visa-Praxis zusammengearbeitet hat.

"Hochmut kommt vor dem Fall"

Schily sagte, er stehe dem Ausschuss zur Verfügung. "Ich kann sicher einiges zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen." Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, das Zeugenprogramm komplett abzuwickeln. Ob er damit auch die von Rot-Grün beantragte Vernehmung der beiden ehemaligen Bundesminister Klaus Kinkel und Manfred Kanther meinte, ließ Schily offen.

Die Opposition zeigte sich ob ihres Erfolgs hoch erfreut. Unionsobmann Eckart von Klaeden sagte: "Der Rechts- und Verfassungsbruch der Koalition, der sich wie ein roter-grüner Faden durch die bisherige Geschichte des Ausschusses zieht, ist gestoppt."

FDP-Obmann Hellmut Königshaus kommentierte die Siegesgewissheit der Koalition vom Vortag mit den Worten: "Hochmut kommt vor dem Fall." Die Obleute von SPD und Grünen, Olaf Scholz und Jerzy Montag, zeigten sich von der Entscheidung des Gerichts überrascht. Sie verstünden diese nicht, erklärten beide, würden sie aber auf "Punkt und Komma" befolgen.

Wie es nun mit der Ausschussarbeit weitergehen wird, soll bereits am heutigen Donnerstag geklärt werden. Klaeden kündigte an, er wolle nun die Zahl der Zeugen reduzieren. Gehört werden sollten außer Schily auch Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier, die AA-Staatsministerin Kerstin Müller und AA-Staatssekretär Jürgen Chrobog, sowie der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, Bernhard Falk. (Aktenzeichen: 2 BvQ 18/05)

© SZ vom 16.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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