Vietnam und der Bush-Besuch:Neue Liebe zum alten Feind

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Porträts aus Rubinen, eine gigantische Fahne und ein Meer von Blumen - wie sich das kommunistische Land für den US-Präsidenten herausputzt.

Manuela Kessler

Es ist ein sattes, strahlendes Gelb, das vom großen Ereignis kündet. In der ganzen Stadt ist es zu sehen, am Kongresszentrum, an Häuserwänden und in den mit Motorrädern heillos überfüllten Straßen.

Ein Paar fährt in Hanoi an einer Apec-Blumendekoration unter einer Leninstatue vorbei. (Foto: Foto: afp)

Es sind Zehntausende Seidenblumen, von Hand gefertigte, künstliche Chrysanthemen, viele von ihnen zum Gruß arrangiert: "Willkommen zum Apec-Gipfel."

Welch große Herausforderung das Gipfeltreffen des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums für den Gastgeber Vietnam ist, bemerkt man überall in der Hauptstadt. Die mehr als 10 000 Delegierten aus 21 Ländern drohen sämtliche Kapazitäten Hanois zu sprengen. Die Hotels sind ausgebucht, und das, obwohl die Regierung vorübergehend keine Visa mehr für Privatreisende erteilt.

Die Polizei hat die Straßenkinder zusammengetrieben und in sogenannten sozialen Schutzzentren weggesperrt. Und aus weißen Minibussen, die jetzt von früh bis spät durch die Straßen der Stadt fahren, werden die Einwohner per Lautsprecher aufgefordert, ihre Häuser und Geschäfte herauszuputzen.

Ökonomisches Potential vorführen

"Es ist eine Möglichkeit", tönt es blechern vom Dach eines Busses, "der internationalen Öffentlichkeit unser ökonomisches Potential vor Augen zu führen." Beeindruckende Zahlen über die Wirtschaftskraft der USA und der anderen Staaten rund um den Pazifik folgen, schließlich endet die Durchsage mit den Worten: "Meine Damen und Herren, wir danken für Ihre Aufmerksamkeit."

Die Konferenz der Staatsmänner und Spitzenmanager, die offiziell am Donnerstag eröffnet und am Wochenende ihren Höhepunkt haben wird, ist eine Premiere für das Land: Vietnam öffnet sich mit dem soeben abgesegneten Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) der Welt, nach zwei Dekaden der Reformen, hungrig nach Anerkennung.

Das Politbüro zieht alle Register, um einen glänzenden Eindruck zu erwecken, wenn sich die wichtigsten Entscheidungsträger der internationalen Politik und Wirtschaft, angeführt von den Präsidenten der USA, Chinas und Russlands, in der Hauptstadt am Roten Fluss versammeln.

Für den Gipfel wurde eigens eine Fahne geschaffen, der ein Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde bevorsteht. Sie ist zehntausend Quadratmeter groß und eine Tonne schwer. Sie soll zur Eröffnung des Apec-Gipfels entrollt werden, und vielleicht ist sie auch dazu geeignet, die eine oder andere organisatorische Schwäche zu überdecken.

Rote Rubine, gelbe Opale

Miss Vietnam wird die ausländischen Honoratioren als inoffizielle Botschafterin betören. Und wertvolle Geschenke sollen die Staats- und Regierungschefs schließlich vollends für das südostasiatische Land einnehmen.

Die hohen Besucher werden überwältigt sein von der vietnamesischen Gastfreundschaft, US-Präsident George W. Bush allen voran. So zumindest stellt es sich Dao Trong Cuong vor, der Juwelier, in dessen Werkstatt monatelang an hochkarätigen Andenken gearbeitet wurde.

Der ehemalige Taxifahrer und Schneider, der zu Beginn der wirtschaftlichen Öffnung aufs Schmuckgeschäft umgestiegen ist, nimmt für sich in Anspruch, eine einmalige Kunstform geschaffen zu haben: Bilder aus Edelsteinen. Sie haben ihn zu einem reichen Mann gemacht. Die Bilder aus roten Rubinen, gelben Opalen, blauen Saphiren und grünen Turmalinen geben meist einfache Dorfszenen strahlend wieder und sind vor allem bei den hohen Funktionären der Kommunistischen Partei ungemein beliebt.

Es gibt kaum einen Festakt oder Staatsbesuch, ohne dass eines dieser Schmuckbilder überreicht wird. "Die staatliche Vietcombank hat einmal sogar 1000 Exemplare eines Landschaftsbilds bestellt", sagt der Unternehmer mit dem grauen Schnauzbart.

"Freundschaft so wertvoll wie Edelsteine"

Wie gut seine Geschäfte laufen, zeigen allein schon die fünf Golftaschen, die in einer Ecke seines Büros stehen. Es wird dominiert von einem riesigen Porträt des Revolutionsführers und Staatsgründers Ho Chi Minh. Eines der Schmuckstücke zeigt den Hochverehrten, dessen einbalsamierter Leichnam in einem Mausoleum im Zentrum von Hanoi zu besichtigen ist, vor einem zart schimmernden, himmlisch anmutenden Hintergrund.

"Im vergangenen Jahr", sagt Cuong, "ist mir die Ehre zuteil geworden, Fidel Castro und Bill Gates persönlich juwelenbesetzte Porträts aus meiner Werkstätte zu überreichen." Beide, sagt er, der Maximo Lider und der Microsoft-Chef, seien zutiefst bewegt gewesen.

"Es war mir Ansporn, mich zum Apec-Gipfel zu engagieren wie noch nie. Schließlich geht es um die Zukunft der Nation, wenn der US-Präsident nun Vietnam besucht. George Bush hält den Schlüssel zu unserer Entwicklung in der Hand." Cuong zündet sich eine Zigarette an und spricht - nach gebührender Pause - jenen Satz, mit dem er sich gerne zitieren lässt: "Die Freundschaft des US-Präsidenten ist für Vietnam so wertvoll wie Edelsteine."

Der Juwelier verliert kein Wort über die anderen Staatsmänner, die in Hanoi erwartet werden. Er hegt nur den Wunsch, dem Präsidenten der Weltmacht, die Vietnam einst mit Brandbomben und Entlaubungsgift überzogen hat, ein Juwel aus seiner Werkstätte zu überreichen.

Das diplomatische Protokoll verbietet es freilich, nur George W. Bush reich zu beschenken. Und 21 Edelstein-Porträts für alle Regierungschefs seien zu teuer, befanden die Herrscher in Hanoi. Immerhin kostet eines der Bilder um die 2000 US-Dollar.

Cuong aber wusste einen Ausweg. Er erklärte sich bereit, die Porträts der Staatsmänner auf eigene Kosten herzustellen, als patriotischer Dienst an der vietnamesischen Nation, wie er sagt. Die Regierung war damit einverstanden und garantierte ihm im Gegenzug, dass er die hochkarätigen Gemälde persönlich übergeben dürfe. Allein diese Ehre scheint ihm den Aufwand wert zu sein.

Kristallbrocken, so groß wie Medizinbälle, türmen sich im Flur seines Zuhauses, eines jener Tunnelhäuser mit schmaler Ladenfront und großem Tiefgang, wie sie für Hanoi typisch sind. In der Werkstatt, die im hinteren Teil des Gebäudes liegt, sitzen 30 Angestellte seit einem Vierteljahr an den Bildern der berühmten Gäste.

Dao Trong Cuong legt Hand an seine Edelstein Porträts der Staatsgäste, die zum Apec-Gipfeltreffen erwartet werden. (Foto: Foto: Reuters)

Ein Porträt, das George W. Bush zeigt, hängt an der Kopfseite des Raums. Die meisten anderen Bilder stehen aufgereiht an der Wand, doch an ein paar Gemälden wird kurz vor dem Gipfel noch unter Hochdruck gearbeitet.

Zu finster, zu fahl, zu fett

Die Porträts von Thaksin Shinawatra und Junichiro Koizumi mussten - als sie schon fast fertig waren - ausgewechselt werden, weil Thailand und Japan in den vergangenen Monaten neue Regierungschefs erhielten. An anderen Gemälden hatte die außenpolitische Kommission der Nationalversammlung etwas auszusetzen. Ein Gesicht war nach Ansicht der um Diplomatie bemühten Abgeordneten zu finster, ein anderes zu fahl, ein drittes schlicht zu fett geraten.

So wird jetzt hier die Farbe und da die Form der Gesichter nachgebessert, und zwar mit einem Gemisch aus fein gemahlenen Rubinen und Saphiren. Beim Bild des Generalsekretärs der kommunistischen Partei Vietnams, Nong Duc Manh, hilft aber auch keine Nachbehandlung, es muss komplett neu gemacht werden, inzwischen schon zum dritten Mal. "Er ist eine so strahlende Erscheinung", sagt Cuong und lächelt, "dass wir Mühe hatten, seinem Aussehen gerecht zu werden."

Weit weniger strahlend allerdings steht derzeit die Partei und somit die Regierung da. Sie ist wegen der Korruption, die sich seit der ideologischen Lockerung und wirtschaftlichen Öffnung massiv ausgebreitet hat, erheblich unter Druck geraten. Ausländische Unternehmer zögern, in Vietnam zu investieren, und die Bewohner des Landes klagen, dass die Regierung die Entwicklung hemmt.

Es gab zwar in den vergangenen Jahren ein imposantes Wirtschaftswachstum von sieben Prozent, aber etwa ein Viertel des Geldes, das über staatliche Kanäle fließt, versickert Schätzungen der Weltbank zufolge irgendwo auf dem Amtsweg.

Weltoffene Technokraten

Die Mächtigen bedienen sich dabei so dreist, dass selbst die Presse, die der staatlichen Kontrolle unterliegt, einen Skandal nach dem anderen aufdecken kann. Da verwundert es nicht, dass sich Wut und Zynismus in der Bevölkerung breit machen.

Nicht zuletzt deshalb hat die Einheitspartei im Juni die Staatsspitze ausgewechselt. Der neue Premierminister Nguyen Tan Dung gilt als wirtschaftlicher Reformer, Präsident Nguyen Minh Triet als beherzter Kämpfer gegen die Korruption: Die beiden relativ weltoffenen Technokraten stammen aus dem fortschrittlicheren Süden des Landes, der vor dreißig Jahren, nach dem Abzug der Amerikaner und dem Fall von Saigon, mit dem Norden wiedervereinigt wurde. Einzig der Generalsekretär der Kommunistischen Partei ist von der alten Führungsgarde noch übrig.

Das Regime ist sich offenbar der Gefahr bewusst, von der wirtschaftlichen Entwicklung überrollt zu werden. Die Revolution von einst und der Sieg über die USA in einem Krieg, der eine Million Vietnamesen das Leben gekostet hat, zählen heute nicht mehr viel.

Den USA verbunden

Zwei Drittel der Menschen sind erst nach Kriegsende geboren worden und interessieren sich kaum für einstige Revolutionen und Heldensagen. Sie drängen vielmehr in die vielen Internet-Cafés und träumen von einem Leben, wie es die Boat-People, die während des Kriegs aus Vietnam geflohen sind, in den USA führen.

Vietnam ist den USA anscheinend auf Verderb und Gedeih verbunden. Damals wie heute. Die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit Washington hat der Wirtschaft des Landes 1995 die Initialzündung gegeben für eine steile Aufwärtsentwicklung.

Ein Viertel aller Waren, die der südostasiatische Staat heute ausführt, geht in die USA. Der Handel erreichte im vergangenen Jahr einen Wert von fast acht Milliarden Dollar, wobei Vietnam neunmal mehr in die USA ausführte als es von dort importierte, und die Regierung hofft, dass Washington sämtliche Einfuhrschranken für vietnamesische Produkte hebt, wenn Bush nun nach Hanoi kommt.

Der Partei geht es bei diesem Gipfeltreffen um nicht weniger als um den Aufbruch der Nation. So propagiert sie es zumindest seit Monaten. Sie will weg von der staatlichen Planwirtschaft hin zur "Marktwirtschaft mit sozialistischer Orientierung".

Das neue Kongresszentrum, das vom deutschen Ingenieurunternehmen Inros-Lackner entworfen und in 22 Monaten für das Großereignis gebaut wurde, symbolisiert die enormen Ambitionen. Der 268 Millionen Dollar teure Komplex aus Stahl und Glas erhebt sich einer Woge gleich aus der Landschaft im Südwesten der Hauptstadt.

Gegenüber dem Kongresszentrum ist ein Großmarkt der Kette Big C mit zwei Parkhäusern für Motorrädern entstanden, und außerdem werden in dieser Gegend Wohnblöcke und Appartementblocks hochgezogen, wie man sie aus den Trabantenstädten von Peking bis nach Paris kennt.

Kongresszentrum statt Reisfeldern

Amtlichen Angaben zufolge ist Hanoi in den zwei Jahrzehnten der wirtschaftlichen Reformen enorm gewachsen, die Einwohnerzahl hat sich von zwei auf vier Millionen Menschen erhöht. Gleichzeitig hat sich auch der Wohnraum pro Einwohner massiv vergrößert, von durchschnittlich zwei auf zwölf Quadratmeter.

Da die Ansprüche der Bewohner weiter steigen werden und die Infrastruktur schon bislang nicht mithalten konnte, sollen jetzt im Schnellverfahren insgesamt zehn neue Siedlungen an der Peripherie entstehen.

Dort, wo sich heute das Kongresszentrum befindet, haben noch vor drei Jahren Bauern ihre Reisfelder mit Wasserbüffeln gepflügt. Nun wohnen sie in einer Zeile schmaler Häuser und arbeiten für nicht einmal 40 Dollar im Monat als Handlanger oder Mechaniker, ihre Frauen als Gärtnerinnen im Dreischichtbetrieb, an sieben Tagen die Woche.

"Nicht der hellste Mann, aber der mächtigste"

Ein Trupp von 200 Leuten steht am Tagungsort im Einsatz, um die Blumenrabatte rund um die Uhr zu betreuen - damit auch ja keine welke Blüte die große Inszenierung trübt.

"Der Eindruck, den Vietnam auf den US-Präsidenten macht, ist entscheidend", sagt Juwelier Cuong. "George Bush ist vielleicht nicht der hellste Mann der Welt, aber der mächtigste. Wer seine Unterstützung gewinnt, hat gewonnen."

Ein Geschenk wie für alle anderen Staatschefs reicht ihm deshalb nicht aus. Er will dem US-Präsidenten etwas Besonderes geben. So ist er auf die Idee gekommen, ihm ein zweites Schmuckbild zu schenken: Es zeigt George und Laura Bush, in Liebe vereint.

© SZ vom 15.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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