Videobeweis im Fußball:Schiedsrichter verdienen Sehhilfe

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Turbulent und unübersichtlich: Das Champions-League-Duell des FC Bayern mit Real Madrid hat eines gezeigt: Die Schiedsrichter brauchen den Video-Assistenten. Schon allein, um vor Verschwörungstheorien besser geschützt zu sein.

Von Klaus Hoeltzenbein

Der letzte strittige Pfiff ist es, der die Emotionen in die Zukunft trägt. Der den Debatten an den Stammtischen und in der Netzwelt eine Schärfe verleiht, die jede Beleidigungsklage rechtfertigen würde. Der letzte strittige Pfiff ist im Sport meist der entscheidende, der die Rückschau prägt.

Wollte man nur eine Plus-Minus-Rechnung der Schiedsrichterfehlleistungen im turbulenten, unübersichtlichen, am Ende in der Verlängerung verlorenen Champions-League-Duell des FC Bayern gegen Real Madrid aufstellen, könnte man sich relativ problemlos auf ein Unentschieden einigen. Festzumachen ist das an zwei Schlüsselszenen: Die Münchner bekamen im Hinspiel einen Elfmeter, der eindeutig unberechtigt war; den Madrilenen wurden im Rückspiel zwei Abseitstore anerkannt. Der Elfmeter wurde verschossen - die Abseitstore, die letzten Pfiffe, wurden allerdings wegweisend. Sie lieferten den Anlass für das wabernde Gerücht, dass drei Bayern-Profis zur Schiedsrichterkabine gestürmt seien, vor der sie durch die Security hätten entfernt werden müssen. Und dafür, dass die Münchner fast ausnahmslos das Wort "Skandal" im Munde führten.

Auch der Fußball braucht endlich den Videobeweis. Eine technische Sehhilfe für den Schiedsrichter. Nur wer nach Szenen wie jenen von Madrid der Meinung ist, es möge weiterhin zur Folklore, zur Romantik dieses Sports gehören, dass alle Welt darüber diskutiert, warum sich Mannschaften in den engen Duellen auf internationaler Bühne so häufig betrogen fühlen, wird im Profifußball noch Argumente gegen die neue Perspektive finden. Eine Runde zuvor war die Aufregung ja bereits ähnlich groß, als der FC Barcelona ein 0:4 bei Paris St. Germain durch ein vom Schiedsrichter begünstigtes 6:1 wettmachte.

Gegen Verschwörungstheorien hilft nur eine neue Transparenz

Hinter der Ausrede, dass die Technik nicht reif sei, kann sich glaubwürdig niemand mehr verschanzen. In anderen Hochgeschwindigkeitssportarten wie Eishockey und Basketball wird darauf seit Jahren erfolgreich zugegriffen. Auch in der Fußballbundesliga ist eine Regel-Revolution verabredet, vom Sommer an gibt es einen Videoassistenten, der den Unparteiischen mittels eines Akustikohrknopfs sekundenschnell unterstützen soll. Relevant für den Einsatz sollen vier Situationen sein: Tor, Elfmeter, Platzverweis sowie die Verwechslung von Spielern.

Dort jedoch, wo das ganz große Geld verdient wird, in der Champions League, die von der Europäischen Fußball-Union Uefa organisiert wird, und beim Weltverband Fifa, dem die Ausrichtung von Weltmeisterschaften obliegt, wird weiter auf Zeit gespielt, ist überzeugender Reformwille nicht zu orten. Was Mutmaßungen schürt, die Organisationen wollten sich eine gewisse Hoheit über die Dramaturgie ihrer Wettbewerbe nicht nehmen lassen. Doch selbst wenn man jetzt nun überhaupt kein Anhänger der in Kreisen des FC Bayern erörterten These ist, der Ungar Viktor Kassai habe mit seinen finalen Pfiffen über das Schicksal von Real Madrid gewacht, so ist doch eines klar: Hätte im Estadio Bernabeú bereits ein Videoassistent gewirkt, wäre sehr viel anders gelaufen - und nicht allein den Abseitstoren des Cristiano Ronaldo wäre Anerkennung versagt geblieben.

Nicht alles wird ein Videoassistent im Fußball klären können. Aber er klärt das Offensichtliche. Also das, was jeder Zuschauer daheim am Fernsehschirm spätestens mittels Zeitlupe erkennt. Es ist deshalb der Wunsch besonders aus Kreisen der Schiedsrichter, in einem immer rasanter werdenden Profisport eine weitere Fahndungshilfe gegen Schauspielerei und Regelbruch zu bekommen. Denn ob Gerüchte und Verschwörungstheorien nun stimmen oder nicht, allein um sie erst gar nicht aufkommen zu lassen, ist im Fußball eine neue Transparenz nötig.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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