Vetternwirtschaft:Die polnische Krankheit

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Die Opposition beschuldigt Polens Regierung, missliebige Politiker abhören zu lassen. Einige seien unter fadenscheinigen Vorwänden sogar festgenommen worden. Vieles spricht dafür, dass die Grenzen der Gewaltenteilung überschritten wurden. Die Missachtung demokratischer Regeln hat in Warschau Tradition.

Thomas Urban, Warschau

In Polen hat indes die Instrumentalisierung des Staatsapparates, die Politologen "die polnische Krankheit" nennen, längst Tradition. So hatte die postkommunistische Vorgängerregierung den Umstand genutzt, dass der Justizminister auch Generalstaatsanwalt und somit Vorgesetzter der Strafverfolger im ganzen Land ist: Sie ließ zwei Unternehmer verhaften und nachher stellte sich heraus, dass die Festnahmen zuvor in Regierungskreisen besprochen worden waren. Beide störten offenbar Geschäftsinteressen von Parteimitgliedern. Sie kamen schließlich frei, der Staat musste Entschädigung zahlen.

Jede Regierungspartei in Polen hat bisher nach der Machtübernahme die eigenen Leute großzügig bedacht. Da bislang keine Regierung wiedergewählt wurde, kam es also nach jeder Wahl zur umfassenden Erneuerung der gesamten Staatsverwaltung, der Justiz, der staatlich kontrollierten Medien und der Firmen. Die neuen Leute müssen sich erst einarbeiten, lassen gern Großprojekte zu Gunsten von Gefolgsleuten neu ausschreiben, wichtige Entscheidungen verzögern sich. Ein Beispiel ist die Verkehrspolitik: Seit fast zwei Jahrzehnten wird der Anschluss Warschaus an das europäische Schnellbahn- und Autobahnnetz versprochen. Doch steht noch nicht einmal der Verlauf der Trassen fest.

Die zu Sozialdemokraten gewendeten Postkommunisten haben bei ihren Machtübernahmen 1993 und 2001 keine Scheu gehabt, Gefolgsleute, die sich unter dem alten Regime kompromittiert hatten, wieder in Spitzenpositionen zu befördern. Darunter waren Juristen, die einst politisch motivierte Urteile gegen Aktivisten der Gewerkschaft Solidarnosc gesprochen hatten. Einige von ihnen wurden von der Opposition beschuldigt, Ermittlungen wegen Korruption gegen frühere Genossen zu hintertreiben.

Mehr als zwei Dutzend Botschafterposten vakant

Folgen haben diese ständigen Personalwechsel besonders für die Diplomatie: Mehr als zwei Dutzend Botschafterposten Polens sind vakant. Sogar den eminent wichtigen Posten bei der EU in Brüssel hatte Außenministerin Anna Fotyga fast ein Jahr lang unbesetzt gelassen. Dagegen wurden gestandene Experten entlassen oder auf unbedeutende Posten abgeschoben - die Folge ist eine erratische Außenpolitik, die bei fast allen EU-Partnern auf Unverständnis stößt.

Vom Ämtertausch sind auch die Woiwodschaften betroffen, also die Regionen. Die Woiwoden werden vom Premierminister eingesetzt, jeder bringt seine eigenen Leute mit. Gleiches gilt für das staatliche Fernsehen TVP: Hatte dies unter den Postkommunisten vor allem deren Erfolge zu loben, so achtet jetzt Andrzej Urbanski, der frühere Kanzleichef des Staatspräsidenten Lech Kaczynski, auf die Linie.

Lechs Zwillingsbruder Jaroslaw ist der zwölfte Premier seit der Wende, die durchschnittliche Amtszeit liegt bei 18 Monaten. Diese Zahl wird er nicht erreichen, falls es noch in diesem Herbst zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommt. Doch wird mit einem äußerst brutalen Wahlkampf gerechnet. Nach Schätzungen von Experten hängen an einem Regierungswechsel landesweit 50.000 gut dotierte Arbeitsplätze.

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