Vertrauen in Politiker schwindet:Auf steinigem Acker

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Vor allem in Problem-Stadtteilen wenden sich die Wähler von der Politik ab - mehr direkte Mitsprache könnte sie zurückbringen.

Von Hans-Jörg Heims

Die Zeiten, in denen mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten auch tatsächlich wählen gingen, liegen in Nordrhein-Westfalen noch gar nicht so lange zurück.

Bei der Kommunalwahl 1994 verzeichnete die Statistik mit 81,7 Prozent die zweithöchste Wahlbeteiligung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Fünf Jahre später sank die Zahl der Wähler jedoch dramatisch auf nur noch 55 Prozent, und das, obwohl Oberbürgermeister und Landräte erstmals direkt gewählt werden konnten.

Vor allem bis dahin treue SPD-Wähler blieben zu Hause und verhalfen somit indirekt der CDU zu einem triumphalen Sieg im Stammland der Sozialdemokraten.

Besonders groß war die Zahl der Nichtwähler in Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit, Drogenkriminalität und einem starken Ausländeranteil. In Duisburg-Marxloh betrug die Wahlbeteiligung lediglich 31 Prozent, in Düsseldorf-Oberbilk/Flingern 37,5 Prozent, in Dortmund-Scharnhorst 51 Prozent, im westfälischen Ahlen-Südost 50 Prozent.

"Politische Beteiligung findet dort einen steinigen Acker vor", sagt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Mit Soziologen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat er die vier Stadtteile daraufhin untersucht, weshalb sich Bewohner an solchen sozialen Brennpunkten immer stärker von der Politik abwenden, und das nicht nur durch Stimmenthaltung bei Wahlen.

Das Ergebnis der Studie ist alarmierend für die etablierten Parteien. Entfremdung und Desinteresse gegenüber staatlichem Handeln würden vor allem dadurch entstehen, dass die Menschen den Politikern keine Lösungskompetenz für die Probleme mehr zutrauten.

Dabei zeigte sich eine Mehrheit der 2322 befragten Personen durchaus interessiert, an politischen Entscheidungsprozessen auf lokaler Ebene mitzuwirken.

Dass diese Bereitschaft tatsächlich vorhanden ist, belegt nach Ansicht der Wissenschaftler die Vielzahl an Vereinen und Bürgerinitiativen, die mit Ausnahme von Duisburg-Marxloh in allen Stadtteilen existieren.

Die erhoffte Beteiligung der Bürger funktioniere allerdings nur, wenn diese auch tatsächlich mitentscheiden könnten, sagt von Alemann.

Genau dies finde aber nicht statt. Viele Vereine und Initiativen auf kommunaler Ebene fühlten sich von der Politik nicht ernst genommen, sondern höchstens auf informeller Ebene angesprochen. Bei Entscheidungen sei Bürgerkompetenz dagegen selten gewünscht.

Kontrollierter Machtverzicht

Um diesen Zustand zu ändern, müsse die Politik den Mut aufbringen, Macht abzugeben, ohne die Regeln der politischen Verantwortung zu verletzen, fordert von Alemann. Den betroffenen Kommunalpolitikern falle dies naturgemäß schwer.

Deshalb rät der Politologe der Düsseldorfer Landesregierung, Fördergelder gezielter an solche Institutionen zu vergeben, die sich um die Lösung von Problemen in einem Quartier bemühen. Das sei kein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, sondern ein legitimer Anreiz.

Insgesamt zwölf Empfehlungen enthält die Studie der Düsseldorfer Wissenschaftler. Sie laufen alle darauf hinaus, das Engagement und die Mitverantwortung von Bürgern stärker zu fordern, aber auch zu fördern.

Denn da, wo starke Verwaltungshierarchien dominieren und Bürger sich nicht in die Pflicht genommen fühlen, seien der Rückzug ins Private und Desinteresse an politischen Vorgängen programmiert.

"Kontrollierter Machtverzicht und kooperative Demokrate in den Kommunen stärken letztlich die Politik, weil sie ihr Glaubwürdigkeit zurück geben", schlussfolgern die Autoren der Studie.

Eine Allzweckwaffe gegen politische Entfremdung gibt es nach Ansicht der Wissenschaftler allerdings nicht.

Und so äußert sich von Alemann im Hinblick auf die Beteiligung an der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl im nächsten Jahr auch eher skeptisch.

Es sei "wie das Amen in der Kirche sicher", dass 2004 erstmals weniger als 50 Prozent der Bürger ihre Stimme abgeben werden.

© SZ vom 1.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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