Verhandlungstaktik:Ein Solo in der Mappen-Show

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Nach dem vorläufigen Finale bei der Gesundheitsreform bleiben viele Fragen offen - auch die, was noch alles in Stoibers blauem Ordner steckt.

Nico Fried

Man muss nur diese Mappe sehen, um zu ahnen, was sich in den Stunden vorher abgespielt hat. Es ist eine Mappe mit blauen Plastikdeckeln, ein Konvolut, dicker als ein Brockhaus-Band.

Papierfitzelchen hängen heraus, die es Edmund Stoiber in den Koalitionsrunden zur Gesundheit stets erleichtern, mit angefeuchtetem Daumen schneller alle seine Zahlen zu finden, mit denen er gegen all die Zahlen der Ministerin Ulla Schmidt ankämpft.

Diese blaue Mappe ist ihm heilig, das sieht man schon daran, wie er sie, ähnlich einer Monstranz, vor seinem Bauch schleppt, als er am Donnerstag früh um Viertel nach zwei mit Angela Merkel und Kurt Beck zur Pressekonferenz erscheint.

Die Kanzlerin und der SPD-Chef haben Sprechzettel dabei. Stoiber aber hievt seine Mappe auf das Pult, und wenn man das Paket so sieht, fragt man sich, warum es diesmal eigentlich nur sieben Stunden gedauert hat .

Genau genommen waren es sogar lediglich sechs Stunden und zehn Minuten, weil Stoiber und seine blaue Mappe erst mit 50 Minuten Verspätung in der Runde erschienen waren. Schon die Vorbesprechung des CSU-Chefs mit den Seinen hatte länger gedauert als geplant.

Und dann nochmal sechs Stunden zehn für Details einer Reform, die seit Monaten diskutiert wird. Sechs Stunden zehn für eine Einigung, die gleich wieder unter Vorbehalt steht. Unter dem Vorbehalt von Edmund Stoiber, der die Gesetzestexte in ein paar Wochen noch einmal genau prüfen will.

Stoibers Mappe ist dick. Sehr dick.

"Danke, dass Sie uns die Treue gehalten haben", begrüßt Merkel die Journalisten. Man habe konkretisiert, berichtet die Kanzlerin aus der neuerlichen Nachtsitzung. Ja, man habe die Reform "verfeinert", sagt Merkel sogar, und das ist wirklich ein sehr großes Wort für die Ergebnisse beim morbiditätsbezogenen Risikostrukturausgleich, bei der Überforderungsklausel oder bei den Konvergenzregeln.

Es folgt ein Satz, der wie eine Drohung verstanden werden muss: "Wir werden sicherlich wieder auf Dinge stoßen, wo kleinerer Klärungsbedarf besteht." Die Reform ist eben immer noch nicht fein genug. Und Stoibers Mappe ist dick. Sehr dick.

Es ist ein bizarres Schauspiel, das die drei Parteivorsitzenden der Koalition da vorne aufführen. Immer wieder dieses gezwungene Nicken, mit dem die Worte der jeweils anderen begleitet werden.

Immer wieder die krampfhafte Suche nach Blickkontakt, das gequälte Anlächeln, diese geheuchelte Demonstration einer Harmonie, die es nicht gibt und die es den ganzen Abend nicht gegeben hat.

Und natürlich die unvermeidbaren Floskeln: Man sei "ein Stück weiter", sagt die Kanzlerin. Das Werk sei besser als sein Ruf, sagt Beck. "Die größte Systemumstellung der vergangenen Jahre", sagt Stoiber über die Reform, bei der man sich bisher nur auf eines verlassen kann: Jedesmal, wenn die Koalitionäre darüber beraten, wird sie am Ende nochmal um ein paar Monate verschoben.

"Mal freundlich, mal mürrisch"

Sechs Stunden zehn also. So sei das eben, wenn mit Stoiber und Ulla Schmidt zwei Menschen aufeinander träfen, die beim Reden zum Mäandern neigten, sagt ein Eingeweihter. Es sei "mal freundlich, mal mürrisch" zugegangen, berichtet noch etwas später in der Nacht Thomas de Maiziere.

Der Kanzleramtsminister hat einen bemerkenswerten Abend hinter sich, und zwar zunächst einmal schlicht deshalb, weil er überhaupt dabei war.

Es gehört nämlich zu den Eigentümlichkeiten des Merkelschen Regierungsstils, dass der Chef des Kanzleramts in den Koalitionsrunden nicht unbedingt zugegen ist, was bei Gerhard Schröder und seinem Major Domus Frank-Walter Steinmeier undenkbar gewesen wäre.

Da sich aber die Staatsministerin Hildegard Müller mittlerweile in den Mutterschaftsurlaub verabschiedet hat, durfte de Maiziere sie vertreten. Über seinen Beitrag zum Gelingen des Abends wird vor allem berichtet, dass er viel im Haus unterwegs war.

Jedes Lager in einem anderen Stockwerk

Denn die Koalitionäre saßen keineswegs die ganze Zeit zusammen. Vielmehr tagte man gut zwei Stunden lang in kleinen Gruppen, jedes Lager in einem anderen Stockwerk. Neben den elf Protagonisten saßen weitere Experten von Union und SPD in den Büros des Kanzleramts, verteilt wie in den Waben eines Bienenstocks.

Mal traf man sich untereinander, dann redeten die drei Parteichefs, dann kamen die Fraktionschefs dazu - und de Maiziere, so heißt es, sei die Aufgabe zugefallen, stets von einer Etage in die nächste zu laufen und von einem Raum in den anderen zu bitten.

Es gibt freilich an diesem ohnehin schon denkwürdigen Abend noch einen ganz besonderen Moment, der viel mehr über die Wirklichkeit der Koalition aussagt als alle Beteuerungen. Da wirft ein Journalist in der Pressekonferenz die Frage auf, ob denn auch die Ministerpräsidenten der CDU, die in den vergangenen Tagen allerhand zu mäkeln hatten, zum Zwecke der Zustimmung unmittelbar kontaktiert worden seien.

Die Antwort lautet: "Die Kollegen vertrauen mir." Aber diese Antwort kommt nicht etwa von Angela Merkel, der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden, sondern von einem fröhlich grinsenden Stoiber. Merkel bleibt nach einem Moment erkennbarer Verdutztheit nur der Satz: "Mir auch." Und da lacht Stoiber jetzt aber richtig.

© SZ vom 6.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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