US-Wahlkampf:Der schwere Einsatz an der Champagner-Front

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John Kerry stellt George W. Bush im Wahlkampf listig vor die Frage, ob er sich vor dem Vietnam-Krieg gedrückt habe.

Von Marc Hujer

Wanderjahre - das ist ein so wunderbar unschuldiges Wort, so unschuldig, dass es George W. Bush wahrscheinlich nur deshalb so lange ungestraft nutzen durfte, weil zwischen heute und der Zeit, die es beschreibt, eine ganze Menge Vergessen liegt.

Bush war damals 26 Jahre alt, gerade zum Mann gereift, er steckte in Blue Jeans und Cowboystiefeln, hielt sich für die "Gabe Gottes an die Frauen", trank Bier und Jim Beam, und wenn er keinen Kater hatte, brauste er als Second Lieutenant des 147. Flugabwehr-Geschwaders der Nationalgarde über den sonnigen Golf von Mexiko.

Es war Vietnamkrieg zu dieser Zeit, und jede Woche kamen 300 junge Amerikaner in Särgen zurück. Alles andere als eine leichte Zeit für junge Männer, und deshalb hatte es unzweifelhaft Vorteile, für die Nationalgarde alte F-102- Kampfflugzeuge über Texas spazieren zu fliegen.

Jeder wollte schließlich seinem Land dienen, und das in Ehren. Auch George W. Bush.

John Kerry war zu dieser Zeit in Vietnam, mitten im Krieg, als Marineleutnant und Kommandant eines Aufklärungsbootes im Mekong-Delta.

Er war da, wo Bomben explodierten, Menschen starben und Soldaten zerfetzt wurden, und am Ende brachte er Kameraden mit nach Hause, die zu ihm halten, Menschen, die ihre Beine verloren haben, ihre Arme und Hände, Menschen wie Max Cleland, der dreifach amputierte Ex-Senator, der sich in diesem Jahr auf fast jede Wahlveranstaltung Kerrys rollen lässt.

Leute wie Cleland jubeln, wenn der demokratische Präsidentschaftsbewerber John Kerry dem amtierenden Präsidenten den Kampf ansagt.

Und sie nehmen als erste Haltung an, wenn Kerry an die "Schar der Brüder" appelliert und den einen großen Satz seines Wahlkampfes ausruft: "Wir mögen alle ein wenig grauer geworden sein, aber wir wissen noch immer, wie wir für unser Land zu kämpfen haben."

Das sind die Worte, die George W. Bush treffen, die seine Präsidentschaft herausfordern und den Wahlkampf aufladen.

Sie haben eine Wunde geschlagen ins Vertrauen der Bevölkerung in ihn, den Kriegspräsidenten, der nicht nur im Irak und in Afghanistan Krieg geführt hat, sondern auch Krieg gegen den Terror, gegen Drogen, gegen die Homo-Ehe.

Am liebsten hat sich Bush als Obersten Soldaten dargestellt, als tapferen Präsidenten, der in den Fliegeranzug schlüpfte, den Steuerknüppel eines Kampfjets in die Hand nahm und am 1. Mai 2003 vor Kaliforniens Küste auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln landete, um dem Fernsehpublikum zu vermelden:

Mission Accomplished, Auftrag erfüllt.

Er hatte den Irak-Krieg zu früh für beendet erklärt, weshalb ihm der Auftritt schon genug Ärger gemacht hat.

Jetzt aber setzt John Kerry eins drauf und ruft auf jeder Wahlkampfveranstaltung seinen Anhängern zu: "Ich kenne mich aus mit Flugzeugträgern - im Ernst."

Es geht nicht mehr um Sachfragen

Und jeder weiß, dass dieser Nachsatz den Präsidenten treffen soll - und trifft.

Mit einem Mal sind es nicht mehr die Sachfragen, die zählen, nicht mehr der Streit um Massenvernichtungswaffen, innere Sicherheit, Jobs, Steuern und Gesundheitsreform, sondern es zählt die Glaubwürdigkeit, die Ehrlichkeit des Präsidenten.

Das Time-Magazin hat Umfragen dazu in Auftrag gegeben, und die Resultate sind für das Weiße Haus nicht erfreulich ausgefallen.

Nur 44 Prozent halten ihren Präsidenten für vertrauenswürdig, 55 Prozent haben "Zweifel und Vorbehalte", nur 36 Prozent glauben, Bush habe dem Land anständig gedient. Selbst prominente Konservative wenden sich ab.

Ronald Reagans frühere Redenschreiberin Peggy Noonan nennt ihn linkisch; der bekannte Talkmaster Bill O'Reilly vom Sender Fox News, vorher ein militanter Irakkriegs-Propagandist, räumt ein, er sei nun "viel skeptischer" als früher, und sein Parteifreund Joe Scaborough glaubt, Bush schade gar der gesamten Republikanischen Partei.

"Die Kriegsfrage", schreibt die Zeitschrift New Yorker, "geht auf einmal über den Irakkrieg hinaus. Auf merkwürdige Weise ist sie zur Charakterfrage geworden."

Das Weiße Haus ist bemüht, den drohenden Dammbruch zu verhindern.

Vom Militärarchiv von Colorado haben sich Bushs Helfer Akten kommen lassen, Bushs Gehaltslisten und Rentenbescheide bei der Nationalgarde, seine ärztlichen Untersuchungsergebnisse wie die eines Zahnarztbesuchs vom 6. Januar 1973 - Dokumente, die belegen sollen, dass er wirklich dabei war, dass er ordentlich gedient hat, wie es die Vaterlandsliebe von ihm verlangte.

Doch es ist schwer, gegen die Vorbehalte anzukommen. Jeder weiß, dass es damals für Söhne rivilegierter Eltern üblich war, sich in den so genannten Champagner-Einheiten der Nationalgarde vor dem Vietnam-Einsatz in Sicherheit zu bringen.

Und dass zu Bushs Kameraden nicht zufällig die Söhne von Senator Lloyd Bentsen und Gouverneur John Connally gehörten, ferner sieben Footballspieler der Dallas Cowboys.

Bushs "Glaubwürdigkeitslücke"

Der Filmemacher Michael Moore nannte den Präsidenten auf einer demokratischen Wahlkampfveranstaltung einen Deserteur und bekam Applaus.

Unstrittig ist, dass Bush 1968 in die Nationalgarde eingetreten ist, dass er als Pilot auf dem Kampfjet F-102 angelernt werden wollte, einem Auslaufmodell, von dem er sicher sein konnte, dass es nie in Vietnam zum Einsatz kommen sollte.

Die ersten Jahre verbrachte er in Texas, 1972 wollte er sich nach Alabama versetzen lassen, um dort einem Freund der Familie, dem Republikaner Winton Blount, im Senatswahlkampf helfen zu können.

Das war die Zeit, in der der Wochenendflieger Winstons in Kette rauchte und die "Rot-Weißen" (Budweiser-Bierdosen) hinunterstürzte, in der er mit einem blauen Triumph die Straßen von Houston entlang fuhr, dem Vater nach einer Sauftour mit dem jüngeren Bruder Marvin einen Faustkampf "mano a mano" anbot und in Washington die Präsidententochter Tricia Nixon zum romantischen Abendessen ausführte.

Politstrategen nennen diese Zeit Bushs "Glaubwürdigkeitslücke".

Bush wurde im September 1972 nach Alabama versetzt, in die 187. Taktische Aufklärungstruppe, nachdem er sich erst für das 9921. Reserveluftwaffen-Geschwader beworben hatte, bei dem es sich aber nur um eine Poststelle handelte.

Weggefährten aus jener Zeit erinnern sich an seine leutselige Art, seine großspurigen Auftritte im Wahlkampfbüro, wo er mittags hereinplatzte, die Füße mit den Cowboystiefeln auf den Tisch legte und aufzählte, was er am Abend zuvor getrunken habe.

Die Frauen im Team sollen ihn "Texas- Soufflé" genannt haben, "weil er so aufgeblasen war und so voller heißer Luft", sagt Blounts Neffe Murphy Archibald.

In dieser Zeit unterzog sich Bush nicht einmal mehr den nötigen medizinischen Tests, um weiter fliegen zu können. Am Ende bekam er Flugverbot.

Die Helfer im Weißen Haus zerren nun unermüdlich weitere Dokumente und Zeugen hervor, die Bushs Dienstbeflissenheit bezeugen sollen.

Seinen Fluglehrer Maurice Udell etwa, der ihm blank geputzte Stiefel, eine gebügelte Uniform und gekämmte Haare attestierte.

Eine Ex-Freundin erinnert sich ganz deutlich an Bushs Trainingseinheiten in Alabama und in einer alten Pressemitteilung der Nationalgarde heißt es:

"George Bush ist einer von den jungen Leuten, die ihren Kick nicht durch Drogen bekommen", sondern "vom röhrenden Nachbrenner seiner F-102".

Warum Bush aber von April bis Oktober 1972, also sechs Monate lang, kein einziges Mal auf der Gehaltsliste der Nationalgarde auftauchte, bleibt ein Rätsel. Ein Reporter fragte ihn am Wochenende, ob er sich noch an diese Zeit erinnern könne. "Ja", antwortete Bush, "wenn wir die Daten noch haben."

© SZ vom 13.2. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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