US-Wahl: Obamas Erfolgsstory:Der Zauber einer neuen Zeit

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Als erster schwarzer US-Präsident gibt er vielen Menschen Hoffnung - nicht nur in Amerika. Schon immer hatte Barack Obama die Gabe, andere für sich einzunehmen. Eine Erfolgsstory.

St. Klein, Chicago

So begrüßen sich Sieger. Hello Chicago, sagt der Mann auf dem Podest, und Chicago sagt Hello, in dem es Schreie ausstößt, Arme hochreckt, Fäuste ballt und Fähnchen schwenkt. Jedenfalls der Teil Chicagos, der sich in dieser Nacht als unübersehbar große Masse Mensch im Grant Park versammelt hat.

Change has come to America: Barack Obama freut sich mit seiner Frau Michelle in der Wahlnacht über den Sieg. (Foto: Foto: AP)

Es sind diejenigen, die später einmal, wenn sie von ihren Kindern oder Enkeln gefragt werden, wo sie waren an diesem Abend, als in Amerika Geschichte geschrieben wurde, die glückliche Antwort geben können: Ich war dabei, ich habe ihn gehört, live, wie er den Wandel nicht mehr nur beschworen, sondern als Tatsache verkündet hat. Und vielleicht werden sie ihn sogar noch zitieren können, diesen Satz, der nur aus fünf Worten besteht und doch vielen so viel bedeutet nach den acht schrecklichen Jahren unter George W. Bush. Es ist 23 Uhr Chicago-Zeit, als Barack Obama, gerade als erster Afroamerikaner zum Präsidenten der USA gewählt, ihn ausspricht: "Change has come to America."

Wie dieser 4. November verlaufen würde, hatten beide Lager mehr als nur geahnt. Man sah es an ihren Planungen. Wer, wie die Truppen von John McCain es in Phoenix getan hatte, nur einen Ballsaal mietet für den Tag der Wahl, der rechnet nicht mit Sieg, sondern mit Platz. Wie sich hingegen Sieger vorbereiten, das sah man im Grant Park von Chicago.

Ein Gelände für Zehntausende, eine Bühne wie für einen Staatsauftritt: Gedeckter blauer Hintergrund mit einem üppigen Spalier amerikanischer Flaggen. Dazu ein von starken Scheinwerfern in den Himmel projiziertes Strahlenbündel, so als ginge in dunkler Nacht die Sonne auf. Etwas pathetisch, aber vielleicht darf das ja sein an so einem Tag, an dem selbst ein alter Kämpfer wie Jesse Jackson Tränen in den Augen hat. Als Obama, begleitet von seiner Frau Michelle und seinen beiden jungen Töchtern Malia und Sasha, kurz vor 23 Uhr dieses Podium betritt, da hat er vor sich ein Meer jubelnder Menschen und die Skyline von Chicago - der Stadt, die ihn zu dem gemacht hat, was er ist.

Hier war er Sozialarbeiter, Rechtsanwalt, Universitätsdozent, Senator, hier wurde er Ehemann, Vater, Christ, und hier lässt er sich jetzt feiern. Knapp zwanzig Minuten redet Obama, und es kommt alles vor, was geeignet ist, die vollen Herzen seiner Anhänger noch ein bisschen voller zu machen: Die Liebe zu seiner Frau, die Liebe zu seinen Kindern, das Hündchen, das sie als Lohn für die Entbehrungen der letzten Zeit bekommen werden und ins Weiße Haus mitnehmen dürfen, die Ehrlichkeit, der Patriotismus, der amerikanische Traum, und das Obama'sche Mantra natürlich auch. Jedes Mal, wenn er "Yes, we can" sagt, dann kommt es von der Wiese unter ihm wie ein feierliches Glaubensbekenntnis zurück: "Yes, we can." Schmalzig? Süßlich? Ach was, die Leute fressen es begeistert. Was immer Obama sagt in dieser gefühligen Nacht von Chicago, es löst Jubelstürme aus.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Obamas Sieg für Amerika bedeutet und wie die Geschichte Barack Obamas anfing.

Die Wahlnacht in den USA
:Demokraten im Glück

Frenetischer Jubel und Momente des Glücks: Als Obama auf die Siegerstraße einbiegt, gibt es für seine Anhänger in der ganzen Welt kein Halten mehr. Ausgelassen feiern sie den Sieg des ersten schwarzen Präsidenten der USA.

Der Präsident der einzigen Supermacht also ein Schwarzer: Bedeutet dies, dass Amerika jetzt bei sich selber angekommen ist? Dass das üble alte Farbenspiel, die Weißen ins Töpfchen, die Schwarzen ins Kröpfchen, schließlich doch ausgedient hat? Dass die große Wunde endlich verheilt ist? Man könnte es fast glauben. Die schwarze Mittelschicht in Amerika wird immer größer, die Zahl der Armen geringer. Heute findet man Schwarze in den angesehensten Berufen, sie sind längst vorgedrungen in die Chefetagen großer Unternehmen, in die wohlhabendsten Vorstadtviertel und die besten Privatschulen. Und dass es jetzt einer von ihnen bis ins Weiße Haus geschafft hat - ist das nicht der endgültige Beweis, dass da etwas grundlegend anders geworden ist im Land?

Barack Obama
:Hoffnungsträger der Demokraten

Er ist der erste Schwarze, den die Demokraten ins Rennen um die US-Präsidentschaft schicken. sueddeutsche.de zeigt sein Leben in Bildern.

Vorsicht, bei allen Fortschritten ist die Kluft zwischen Weißen und Schwarzen nach wie vor enorm groß. Schwarze Amerikaner verdienen weniger als weiße, sie essen schlechter, sie leben ungesünder, und wenn sie mit Weißen um einen Job, ein Haus oder einen Kredit konkurrieren, dann bleibt ihnen meistens nur das Nachsehen. Amerikas Schwarze haben eine geringere Lebenserwartung, ihre Kinder sterben eher, und größer ist nur ihre Chance, auf die schiefe Bahn zu geraten und straffällig zu werden. Rassistische Vorurteile gehören zu ihrem Leben, auch das der Familie Obama wurde von Anfang an von ihnen begleitet.

Nigger lover, nigger lover!

Fünfziger Jahre, ein Sommertag in Texas. Zwei Mädchen liegen auf dem Bauch im Gras, die Köpfe in ein Buch gesteckt, das vor ihnen auf der Wiese liegt. Elf Jahre mögen sie alt sein, vielleicht zwölf, das eine mit weißer Hautfarbe, das andere mit schwarzer. Sie haben es gut miteinander, jedenfalls solange bis sich vor dem Zaun eine Gruppe Kinder versammelt und einen Schmähgesang anstimmt: Nigger lover, nigger lover! Auch ein Stein wird geworfen. Die Großmutter des weißen Mädchens kommt gerade noch rechtzeitig nach Hause, um Schlimmeres zu verhüten. Die Enkelin heißt Ann. Später, da ist Ann 18 und nach Hawaii umgezogen, wird sie tatsächlich einen Schwarzen lieben - einen Studenten aus Afrika, einen Kenianer vom Volk der Luo mit dem exotischen Namen Barack Obama. Und wie das manchmal so ist bei jungen Leuten, die Leidenschaft ist groß, die Vorsicht gering, Ann wird schwanger, und es fällt das Wort Heirat.

Für Anns Eltern ist es ein Schock. Es sind die sechziger Jahre, Rassenmischung ist in weiten Teilen der USA noch ein Verbrechen, und in so mancher Gegend, vor allem im Süden des Landes, würde man einen wie Barack Obama am nächsten Baum aufknüpfen. Auf Hawaii ist es nicht ganz so schlimm, aber als einmal der junge Kenianer an einer Strandbar in Waikiki steht, da beschwert sich ein Weißer beim Barkeeper, dass es doch allerhand sei, sein Bier neben einem Nigger trinken zu müssen. So sind die Zeiten, in die am 4. August 1961 ein weiterer Barack Obama hineingeboren wird, ein kleiner Mischling, der später in einem Buch seinen ersten Schultag beschreiben wird. Die Lehrerin meint es gut, sie fragt den peinlich berührten Jungen nach seinen afrikanischen Ursprüngen aus, worauf ein Mitschüler von Barack wissen will, ob sein Vater Menschen fresse.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Barack Obama den "Nigger" auch im Wahlkampf nicht abschütteln konnte.

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Biographien in Bilderstreifen: wie ein US-Comicverlag die Lebenswege der Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama nachzeichnet.

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Der kleine Junge wächst auf, wird Student, wird Anwalt, und Amerika wächst mit. Die Bürgerrechtsbewegung verändert das Land, die Studentenproteste verändern es noch mehr, doch der Rassismus ist zäh, und Obama bleiben die üblichen Kränkungen nicht erspart. Im Kaufhaus sind es seine Fersen, an die sich der Detektiv meint heften zu müssen.

Vor einem Restaurant ist er es, dem ein weißes Paar den Wagenschlüssel zuwirft, weil es ihn für den Parkwächter hält. Obama sagt, er kenne den Geschmack hinuntergeschluckter schwarzer Wut, und einmal muss er ganz besonders heftig schlucken. Da mag seine Großmutter plötzlich nicht mehr mit dem Bus zur Arbeit fahren, weil sie am Vortag an der Haltestelle von einem Mann belästigt wurde. Sehr aggressiv sei er gewesen, sagt sie - und schwarz.

Der schwarze Enkel wird sehr geliebt von seinen weißen Großeltern. Toot und Gramps nennt er sie, und Toot und Gramps tun alles für ihren Barry. Nach der frühen Scheidung seiner Eltern und dem Scheitern der zweiten Ehe seiner Mutter ziehen sie den Jungen auf und bringen große Opfer für ihn. Barack weiß das alles, aber er weiß jetzt auch, dass Menschen, die so aussehen wie er, in seinen Großeltern die allergrößten Ängste auszulösen vermögen.

Lange ist das her, aber den Nigger hat Obama selbst im Rennen um das höchste Amt im Land nicht abschütteln können.

Ein Aktivist für Obama klingelt an der Tür eines Vorstadthauses. Eine ältere weiße Frau öffnet, und der Aktivist fragt, ob sie an Wahlkampfmaterial über Obama interessiert sei. Die Frau weiß nicht recht, sie dreht den Kopf und ruft ins Haus zurück: "Joe, für wen stimmen wir doch gleich?" "We are votin' for the nigger", kommt eine tiefe Stimme zurück, man werde den Neger wählen.

Es ist Don Rose, der diese Geschichte am Tag vor der Wahl mit einigem Vergnügen erzählt. Für ihn ist es die Geschichte dieser Wahl. Sie zeige nämlich, dass sich an den rassistischen Stereotypen zwar wenig geändert habe, dass diese aber offenbar nicht mehr entscheidend seien für das Wahlverhalten. Der Kandidat mag ein Neger sein, aber wenn man dem Neger mehr zutraut im Kampf gegen Wirtschafts- und Finanzkrise, dann wählt man eben ihn.

Don Rose, 78, ist ein Weißer aus Chicago. Er kennt Obama, er kennt das Geschäft: Als politischer Consultant hat er Politiker beraten und ihre Wahlkämpfe angespitzt. Eine Zeitlang war er an der Seite Martin Luther Kings, des ersten schwarzen Hoffnungsträgers des Landes, und manchmal haben sie sich gefragt damals in den sechziger Jahren, wie lange es wohl dauern würde, bis die USA reif seien für einen afroamerikanischen Präsidenten. Hundert Jahre? 75 Jahre? Rose war sich sicher, dass er einen Schwarzen im Weißen Haus nicht erleben würde. Dass es womöglich doch anders kommen könnte, ist ihm erstmals vor vier Jahren gedämmert. Da kandidierte Obama für den Senat in Washington und setzte sich in den Vorwahlen der Demokraten selbst in solchen Gegenden durch, die bis dahin als uneinnehmbare weiße Hochburgen gegolten hatten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über Barack Obamas Erweckung und was die Luo-Stammesbrüder zum Wahlsieg sagen.

Da war einer mit der Gabe, über alle Grenzen und Vorurteile hinweg Menschen für sich einzunehmen, und bis zur Präsidentschaftskandidatur war es nun nicht mehr weit. Gewiss, der Name: Obama reimt sich auf Osama, und war der Vater seines Vaters nicht Muslim? Es ist der Sonntag vor der Wahl, die Trinity United Church of Christ in Chicagos South Side ist gut gefüllt.

Der Pastor ruft, jeder solle seinen Banknachbarn umarmen, und alle umarmen sich. Dann sagt er, jeder solle seinen Banknachbarn angucken und anlächeln, und alle lächeln sich an. Es war in dieser Kirche, wenn auch in einem anderen Gebäude, in der in den achtziger Jahren ein junger Mann saß, mitgerissen vom Schwung der Gospelsinger und vom Feuer des Predigers, und dass ihm vor Ergriffenheit die Tränen über die Wangen liefen, merkte er erst, als ihm sein Banknachbar ein Papiertaschentuch reichte.

Barack Obama war damals Mitte zwanzig, er hatte ein Studium abgeschlossen und ein anderes noch vor sich. Sein Vater, den er kaum gekannt hatte, war da schon tot, sein Leben bestand aus vielen Fragen und wenig Antworten. Drogen hatten es nicht besser gemacht, und die Sozialarbeit, die Obama jetzt zwischen den beiden Studien in der berüchtigten South Side verrichtete, war ein Versuch, anderen zu helfen, aber auch sich selber.

Der Gottesdienst an jenem Sonntag war eine Art Erweckung und der Pastor Jeremiah Wright fortan sein väterlicher Freund, der ihn taufte und später auch traute. Noch später taufte er auch die beiden Obama-Töchter Malia und Sasha. Doch das Feuer des Befreiungstheologen Wright brannte manchmal allzu stark, die Medien förderten antiweiße Ausfälle zutage - und Obama sah sich im März gezwungen, die Verbindung zu kappen.

Es war dies einer der seltenen Aussetzer in Obamas ansonsten nahezu reibungslos schnurrender Wahlkampagne. Nicht, dass der gelegentlich snobistische und elitäre Unterton nicht aufgefallen oder die Beziehung zu einer zwielichtigen Figur aus Chicagos Geschäftswelt verborgen geblieben wäre, doch das große Bild hat das nicht beeinträchtigt. Darauf sah man einen Barack Obama im Vergleich mit dem alten Kriegshelden John McCain irgendwie staatsmännischer aussehen, kontrollierter, klarer.

Jetzt ist man Champions League oder so ähnlich

Das hat viele beeindruckt, und Prosper Ogonga ist keine Ausnahme. Der 34-Jährige aus Chicago muss allerdings als befangen gelten. Zwar ist er nicht Bürger der USA und kann infolgedessen auch nicht wählen, aber in gewisser Weise ist er Barack Obama näher als Millionen seiner Landsleute. Als Luo, als Angehöriger des drittgrößten Volkes in Kenia, ist er nämlich dessen Stammesbruder.

Es geht jetzt auf Mitternacht zu in Chicago, die Leute ziehen durch die Straßen, sie schreien und umarmen sich, die Autos hupen. Etwas Unerhörtes ist geschehen, etwas, das sich bis vor kurzem noch keiner hat vorstellen können und dessen Wirkung bis weit über Amerika hinausreicht - zum Beispiel bis in das Dorf Rongo am Viktoriasee. Rongo in Kenia ist das Heimatdorf von Prosper Oganga. Es hat keinen Strom, aber Prospers Vater hat einen Generator, und damit hält er in diesen historischen Stunden den Fernseher und damit den Nachrichtenfluss aus den USA in Gang. So hat er es seinem in Chicago arbeitenden Sohn angekündigt, und vermutlich sitzt jetzt das ganze Dorf bei ihm zu Hause und feiert, denn auch ein halber Luo ist ein Luo, und wann hätte man schon mal Grund für so viel Stolz gehabt? Kenias Vizepräsident, das war bisher das Höchste, aber jetzt ist man Champions League, Champion of the World oder jedenfalls so ähnlich.

Prosper Ogonga sagt, der Sieg Obamas werde dem Schwarzen Kontinent einen gewaltigen moralischen Schub geben, vergleichbar allenfalls mit dem Tag, als Nelson Mandela die Gefängnisinsel Robben Island verließ. Denn was in diesem Sieg zum Ausdruck komme, sei gerade für Afrikaner eine Botschaft von großer symbolischer Kraft: Du kannst es schaffen, selbst wenn du schwarz bist, von unten kommst und dir alles selber erarbeiten musst. "Yes, we can" auf afrikanisch, und yes, man wird nun den Flughafen im Land der Luos so in Schuss bringen, dass er bereit ist für die Air Force One, die amerikanische Präsidentenmaschine.

So reden sie zu Hause, Prosper Ogonga in Chicago lächelt ein bisschen darüber, aber Obama, wenn er es wüsste, würde vermutlich nicht lächeln. Man weiß, dass er sich ein bisschen Sorgen macht wegen der riesigen Erwartungen, die er geweckt hat.

© SZ vom 6.11.08/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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