US-Vizepräsidenten:Im Windschatten der Macht

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Erst mit Al Gore und Dick Cheney wurde der Stellvertreter des Staatschefs vom Frühstücksdirektor zum Partner.

Von Wolfgang Koydl

Wohl niemand hat ein vernichtenderes Urteil über das Amt des amerikanischen Vize-Präsidenten abgegeben als John Nance Garner, der drei Amtszeiten lang dem legendären Franklin D. Roosevelt zur Seite stand.

John Kerry (li.) und John Edwards (Foto: Foto: AP)

Der Posten, so meinte Garner einmal abschätzig, sei bei genauem Hinsehen eigentlich nicht viel mehr wert als "ein Eimer warme Spucke". Historische Puristen wissen zwar mittlerweile, dass er eigentlich eine andere Körperflüssigkeit erwähnte, die freilich zu anrüchig war, um der Nachwelt überliefert zu werden. Doch egal ob Speichel oder Urin: Garner sprach Generationen von Vize-Präsidenten aus dem Herzen.

Die Väter der Verfassung waren sich zu Beginn gar nicht schlüssig, ob der Präsident der neuen Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt einen Stellvertreter bräuchte.

"Das unbedeutendste Amt, das menschlicher Sinn ersann"

Ursprünglich war daran gedacht, dass ein Parlamentarier das Amt übernehmen sollte, falls der Präsident wegen Tod, Krankheit oder Amtsenthebung ausfällt. Als man dann doch eher lieblos und widerwillig einen eigenen Posten dafür schuf, wurde der denn auch entsprechend gering eingeschätzt.

"Ich habe nicht vor, mich beerdigen zu lassen, solange ich nicht tot bin", fasste es Daniel Webster zusammen, als er im Jahre 1828 das Angebot ablehnte, als Vize zu kandidieren. John Adams, als zweiter Mann George Washingtons der erste Vize-Präsident der jungen Republik überhaupt, stöhnte über "das unbedeutendste Amt, das menschlicher Sinn je ersann".

Immerhin wurde er später, wie eine Reihe anderer Stellvertreter von Thomas Jefferson über Richard Nixon bis hin zu dem ersten Präsidenten George Bush, selbst ins höchste Amt gewählt.

Fliegen mit der "Air Force Thirteen"

Die Geschichte der modernen Vize-Präsidentschaft begann genau genommen erst Mitte der siebziger Jahre des 20.Jahrhunderts, als Jimmy Carter seinen Stellvertreter Walter Mondale ganz bewusst deutlich aufwertete. Mondale war der erste, der in die neue Residenz des Vize-Chefs im Naval Observatory einzog, und er war der erste, der mit der Air Force Two sein eigenes Flugzeug bekam.

Frühere Vize-Präsidenten mussten entweder Linie fliegen oder sich wie Spiro Agnew (1969 bis 1973) mit einer fensterlosen, zugigen und klapprigen Transportmaschine des Militärs begnügen. Seine Mitarbeiter gaben dem Fluggerät den Spitznamen "Air Force Thirteen".

Politisch blieben die "Veeps", wie sie im amerikanischen Englisch abgekürzt genannt werden, freilich auch dann noch eher unbedeutend. Innenpolitisch war es ihre wichtigste Aufgabe, Kontakt zum Parlament zu halten; der Vize-Präsident ist kraft Amtes Präsident des Senats und kann dort mit seiner Stimme ein Patt bei einer Abstimmung brechen.

Außenpolitisch gehörten häufig Pflichttermine bei Beerdigungen fremder Staatsoberhäupter zu ihren vorrangigen Tätigkeiten. George H.W. Bush, der Vater des heutigen Präsidenten, fungierte noch als ein derart besserer Frühstücksdirektor von Präsident Ronald Reagan, und als er selbst ins Oval Office einzog, berief er Dan Quayle zu seinem Vize, einen in jeder Hinsicht unauffälligen Senator aus dem Bundesstaat Indiana.

Erst Bill Clinton brach bewusst mit dieser Tradition, als er mit Al Gore ein politisches und intellektuelles Schwergewicht an seine Seite stellte. Von Anfang an machte der demokratische Präsident klar, dass er den Vize als gleichberechtigten Partner betrachtete. Symptomatisch war denn auch Clintons Antwort auf die Frage, warum er ausgerechnet Gore als seinen Stellvertreter ausgewählt habe: "Weil ich jederzeit sterben kann", erwiderte er.

Charles de Gaulle: Kennedy ist Amerikas Maske

Kein Vizepräsident war freilich so mächtig wie der gegenwärtige Amtsinhaber Dick Cheney. Als der texanische Gouverneur und republikanische Präsidentschaftskandidat George Bush ihn 2000 als seinen "running mate" vorstellte, ging ein Seufzer der Erleichterung durch das politische Establishment in Washington: Der unerfahrene Provinzler schien einen erfahrenen Profi berufen zu haben.

Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich Cheney freilich von der grauen Eminenz zur wahren, wenn auch stillen Macht hinter dem Thron entwickelt. Was sich bei dem Gespann Clinton/Gore erst andeutete, verdichtete sich bei Bush/Cheney: Sie teilen sich die Arbeit an der Spitze des Staates fast gleichberechtigt auf.

Unter Machtverdacht standen die Vizepräsidenten jedoch schon früher bisweilen, und manche Beobachter mögen sich angesichts der Doppelspitze Bush/Cheney an eine kluge Bemerkung erinnert fühlen, die Charles de Gaulle einst über Präsident John F. Kennedy und dessen Vize machte.

Kennedy, so meinte der französische Staatschef einmal, sei Amerikas Maske. Doch Vizepräsident Lyndon B. Johnson sei das wahre Gesicht der Vereinigten Staaten von Amerika.

© SZ vom 07.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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