US-Verteidigungspolitik:Die Schild-Bürger

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"Ihr feuert, wir schießen sie ab", so einfach wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das sieht, wird die Abwehr feindlicher Rakteten wohl noch lange nicht funktionieren. Aber die Regierung Bush baut trotzdem beharrlich an dem Projekt weiter und schafft so Fakten für die Zeit nach der Wahl.

Von Wolfgang Koydl

Fast schien das Thema in Vergessenheit geraten zu sein über all den anderen Zumutungen und Überraschungen, mit denen der amerikanische Präsident George Bush die Europäer in den vergangenen Jahren zu gleichen Teilen außer Atem gebracht und in Atem gehalten hat.

Nun aber kriecht das alte Reizthema, das unmittelbar nach Bushs Amtsantritt Anfang 2001 zu den ersten transatlantischen Verstimmungen geführt hatte, wieder in die öffentliche Wahrnehmung zurück. Es ist sogar möglich, dass es zu einem brisanten Thema des Präsidentschaftswahlkampfes wird.

Die Rede ist von Missile Defense, jener abgespeckten Version von Ronald Reagans satellitengestützter Raketenabwehr, die Bush allen Einwänden zum Trotz zielstrebig weiter vorangetrieben hat.

Jahr um Jahr gab er, im Windschatten der Debatten über die Kriege gegen den Terror, in Afghanistan und im Irak, immer wieder Gelder für das 53 Milliarden Dollar teure Projekt frei.

Dollar um Dollar vom Kongress

Insgesamt 32 Milliarden Dollar genehmigte der Kongress in den letzten vier Jahren, doppelt soviel wie in Bill Clintons gesamter zweiter Amtszeit.

Allein in diesem Jahr wird das Pentagon 7,7 Milliarden Dollar für den Schutzschild ausgeben, mit dem Nuklearraketen von Staaten wie Nordkorea, Iran oder China abgefangen werden sollen, bevor sie auf dem Territorium der USA oder eines ihrer Verbündeten aufschlagen können.

Anfang August beantragte Bush beim Kongress weitere zehn Milliarden für das kommende Jahr.

Der Präsident und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sind entschlossen, zumindest die landgestützten Komponenten des Raketenschildes noch vor Ende des Jahres zu großen Teilen einsatzfertig zu haben.

Zwar gibt es noch immer technische Rückschläge. Erst kürzlich wieder musste der Testflug einer Langstreckenrakete vom Pazifik-Atoll Kwajalein aus erneut verschoben werden - bereits zum vierten Mal in diesem Jahr. Die Mängel sind alles andere als belanglos.

Bisher können die USA nur eine feindliche Rakete im Flug abfangen, die sich an bestimmte Bedingungen hält: Sie muss langsamer als üblich fliegen, ihr Herkunftsort muss bekannt sein, sie muss einen künstlich verstärktes Radarsignal ausstrahlen, und sie muss bei hellem Tageslicht heranrauschen.

Ungeachtet aller Rückschläge wurde im Juli von Ingenieuren des Luftfahrtunternehmens Boeing die erste einsatzfähige Rakete in ihrem Silo auf dem Luftwaffenstützpunkt Fort Greely in Alaska versenkt.

Bis Ende Oktober sollen zehn weitere Geschosse stationiert sein - sechs in Alaska, vier auf der Vandenberg Air Force Base in Kalifornien. Bis Ende des Jahres sollen noch einmal zehn Abfangraketen dazukommen.

So stolz war Boeing auf die erste stationierte Rakete, dass sich die Firma in ganzseitigen Zeitungsanzeigen dieser Leistung rühmte.

Verteidigungsminister Rumsfeld nutzte die Gelegenheit, um das Projekt als "Triumph der Hoffnung und der Vision über Pessimismus und Skeptizismus" zu preisen. "Ihre Arbeit ist eine Inspiration für alle, die nie Zweifel am Erfolg (des Projektes) hatten und, so vermute ich, eine Enttäuschung für jene, die von einem Fehlschlag überzeugt waren", lobte Rumsfeld die Teilnehmer einer Tagung von Raketenbauern.

"Ihr feuert, wir schießen ab"

Ähnlich zukunftsfreudig äußerte sich der Präsident. Er bezichtigte Gegner des Raketenschildes, "in der Vergangenheit zu leben". Unter dem Beifall einer Boeing-Belegschaft sagte Bush: "Meiner Meinung nach verstehen jene, die sich dem ballistischen Raketensystem widersetzen, nichts von den Bedrohungen des 21.Jahrhunderts."

An die Adresse potenzieller Schurkenstaaten gewandt, fügte er kämpferisch hinzu: "Jenen Tyrannen, die glaubten, sie könnten Amerika und die freie Welt erpressen, sagen wir: Ihr feuert, wir schießen es ab."

Ans Abschießen denkt auch Bushs demokratischer Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl, Senator John Kerry. Doch er möchte weniger feindliche Raketen, als vielmehr das gesamte Projekt des Raketenschildes zum Absturz bringen.

"Wir können es uns nicht leisten, Milliarden in ein unerprobtes Raketenverteidigungssystem zu stecken", erklärte Kerry auf einer Wahlveranstaltung zu Beginn des Sommers. "Es ist nicht nur unfertig, es setzt auch eine falsche Priorität in einem Krieg gegen den Terror, wo der Feind mit einer Bombe in einem Lastwagen zuschlägt oder mit einer Ampulle Anthrax in einer Aktentasche."

Für den Fall seiner Wahl hat zwar auch Kerry weitere großzügige Verteidigungsausgaben versprochen. Aber der Reserve-Offizier will andere Prioritäten setzen.

Dazu gehört unter anderem eine Aufstockung der Truppe um 40.000 Personen, was in Zeiten überanspruchter Einheiten im Irak gut ankommt. Jason Furman, der Kerry in Wirtschaftsfragen berät, hat bereits angedeutet, dass das Geld für mehr Soldaten genutzt werden könnte, wenn entsprechende Einschnitte bei Missile Defense vorgenommen würden.

Seit seiner zwei Jahrzehnte umspannenden Senatskarriere hat sich Kerry einen Namen als Gegner allzu üppiger Verteidigungsausgaben gemacht. Als Senator stimmte er gegen die Aufkündigung des ABM-Vertrages durch Präsident Bush.

Dieses Abkommen hätte die Entwicklung einer Raketenabwehr verboten. Ganz glaubt aber auch Kerry nicht, auf einen Schutzschild verzichten zu können. Sein Berater Rand Beers, der im Fall eines Wahlsieges den Posten eines nationalen Sicherheitsberaters übernehmen könnte, betonte, dass Kerry ein "wirksames" Abwehrsystem entwickeln lassen wolle.

Weder er, noch der Kandidat selbst haben bislang konkrete Angaben darüber gemacht, wie sich dieses "wirksame" System konkret von den Plänen Bushs unterscheiden würde.

Sollte Kerry im kommenden Januar tatsächlich ins Weiße Haus einziehen, würde er mit seinen Raketenplänen auf Widerstand im republikanisch dominierten Kongress stoßen.

Vor allem Dennis Hastert, der einflussreiche Sprecher des Repräsentantenhauses, hat ein persönliches Interesse an einem Ausbau der Missile Defense: Boeing, das Milliarden mit dem System verdient, hat seinen Sitz in Chicago, Hasters Wahlkreis.

© SZ vom 4.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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