US-Folterskandal im Irak:Ein Mädchen, das Yes sagt

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Die amerikanische Gefreite Lynndie England ist zum Symbol für die amerikanischen Grausamkeiten während des Irak-Kriegs geworden. Nun stellte sie sich einer Anhörung vor einer Militärkommission, die entscheidet, ob man ihr den Prozess macht.

Von Marc Hujer

Die Bilder, wieder sind es die Bilder, die an diesem Morgen so wichtig sind. Man will sehen, wie die Gefreite Lynndie England die Straße entlangkommt, hochschwanger, zwischen den Baracken und dem Baseballfeld hindurch, über dem schon morgens um sechs Uhr die Flutlichter für den Morgendrill brennen.

Major Richard Patterson hat die Kameraleute hinter eine strenge Linie verbannt, und als er nach den Regeln gefragt wird, nach dem Drehbuch dieses Tages, sagt er nur, er könne nichts versprechen. Er könne nicht sagen, wo die Gefreite England das Gebäude betritt. "Aber wenn sie draußen ist, wenn sie oben in der dritten Etage auf der Veranda steht und herunterwinkt, dann können Sie draufhalten, wie Sie wollen."

Das Gesicht eines Mädchens aus West Virginia ist die böse Fratze des Irak-Kriegs geworden. Man erkennt sie unter tausend Gefreiten, weil man die Fotos gesehen hat, die sie als Domina zeigen, als wild gewordene Gefängniswärterin, die folterte und demütigte, die nackte Gefangene an der Hundeleine hielt und sie zu einem Menschenhaufen zusammendirigierte.

Auf unzähligen Digitalfotos sind ihre Tage im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib festgehalten, in das sie vor mehr als einem Jahr als Militärpolizistin geschickt wurde. Sie ist 21 Jahre alt und inzwischen schwanger von Charles Graner, einem der potenziellen Anstifter der Misshandlungen von Abu Ghraib. Als sie nach den Fotos gefragt wurde, hat sie in einem Interview einmal gesagt, sie habe das alles eigentlich nur lustig gefunden.

Grauer Beton, graue Gesichter

Es ist ein grauer Morgen in Fort Bragg, einem der größten Militärstützpunkte der Vereinigten Staaten, gelegen in der Nähe der Stadt Fayetteville in North Carolina. Grau ist der Morgen wie der nackte Beton der Baracken, grau wie die Gesichter der übernächtigten Reporter, die aus New York und Washington in großer Zahl angereist sind und die nun in der Morgendämmerung anstehen, um sich die Plätze anweisen zu lassen.

Man kann überall den Verfall sehen, die Trostlosigkeit und den täglichen Drill. Auf dem Baseballfeld spielen sie morgens Fußball, und auf der Veranda hat das Konditionstraining begonnen. Eine Kulisse, die man gut für einen Kriminalfilm verwenden könnte.

Es regnet, weil an diesem Dienstag ein Tropensturm an der Küste von North Carolina vorbeischrammt und bis hierher nach Fort Bragg seinen Sprühregen ablädt. Die Gefreite England wäre gern Meteorologin geworden, wie sie mitgeteilt hat. Sie hat sich immer gewünscht, den Wirbelstürmen hinterherzufahren, die hier im Süden so mächtig und so gefährlich sind. Schon als Kind hat sie vor dem Haus ihrer Eltern gestanden und, während die Nachbarn geflohen sind, den Sturm fotografiert.

Im schlimmsten Fall 38 Jahre Haft

Nun ist sie geladen in Fort Bragg zur Anhörung im Fall Abu Ghraib. Eine Militärkommission, geleitet von der Offizierin Denise Arn, soll darüber befinden, ob gegen sie förmlich ein Prozess vor einem ordentlichen Militärgericht eröffnet wird. Ihr drohen die unehrenhafte Entlassung aus der Truppe und im schlimmsten Fall 38 Jahre Haft.

Major Richard Patterson steht im leeren Gerichtssaal von Fort Bragg hinter den Büros der Militärrichter und Militäranwälte. Er rattert die Vorwürfe herunter, die gegen die Gefreite England erhoben werden sollen: Alkoholmissbrauch, Ungehorsam, Anfertigung pornographischer Aufnahmen. Neunzehnfach könnte sie angeklagt werden, sagt er, im schlechtesten Fall. Der Major kennt genau die Artikel im Militärgesetzbuch, die Monate und Jahre, mit denen jedes Vergehen bestraft werden kann.

Vorne im Raum hat die Stenotypistin ihre Kaffeetasse auf das Pult gestellt, auf dem der Schriftzug "Westpoint" zu lesen ist, der Name der berühmten Militärakademie. Die Stenotypistin holt eine Art Gasmaske hervor, in die sie während des Prozesses sprechen wird.

Sie sagt: "Die Handys müssen jetzt ausgeschaltet werden. Wer telefonieren will, muss raus." Jemand im Publikum wendet ein: "Aber wir durften die Handys doch gar nicht hier oben hin mitnehmen." - "Das ist gut", sagt die Frau.

Dann ist es so weit. Es ist acht Uhr. Die Zeit, zu der die Gefreite England den Gerichtssaal betreten soll. Sie ist mit ihrer Mutter gekommen und steht nun im Türrahmen. Zuerst bemerkt man sie gar nicht, weil ihre Verteidigerin so vor ihr posiert und so imposant aussieht, als sei sie im Begriff, auf eine Galaparty der Filmfestspiele zu gehen.

Lynndie England hat ihre Militärkluft an, ihr Name ist auf der Brust eingestickt, ihre Uniformkappe hält sie in der Hand. Sie schlenkert sie nervös vor dem Bauch herum. Eine gute Minute steht sie so im Türrahmen, bevor sie zum Sitz geführt wird. Es ist nicht zu übersehen, dass sie hochschwanger ist.

Eine Stunde vor dem leeren Richterpodium

Man wird gleich ihre Verteidiger vorstellen, man wird ihr vorlesen, welche Rechte sie als Beschuldigte hat, und ihr sagen, dass sie die Aussage verweigern kann. Dann sitzt sie eine ganze Stunde lang allein vor dem leeren Richterpodium, ganz links gleich neben der Tür. Und als ihre Verteidiger zur Vorbesprechung mit der Offizierin Denise Arn verschwinden, nickt einer von ihnen, und zwei Frauen aus den hinteren Sitzreihen springen Lynndie England zur Seite.

Sie reden auf sie ein wie gute Freundinnen, von rechts und von links. Sie sehen hübsch aus, wie die Hostessen, die man von den Industriemessen her kennt. Es ist gut für die Gefreite England, etwas erzählen zu können, von ihrem Dienstgrad etwa, sie zeigt auf ihren Arm und macht Bewegungen in der Luft, als salutiere sie jemandem.

Die beiden Frauen hören gespannt zu, und die Brünette von ihnen streicht sich sorgfältig eine Strähne hinter das Ohr. Dann wird es neun, exakt neun Uhr wie beim Morgenappell, und die Offizierin Denise Arn sagt: "Gefreite England, haben Sie die Liste der Anklage vor sich?" Einer ihrer Verteidiger lehnt sich zu ihr herüber, sortiert die Dokumente. Und die Gefreite England sagt: "Yes, Ma'am." Es sind die einzigen Worte, die sie sagt.

© SZ vom 04.08.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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