Urteil im Daschner-Prozess:Haltung bewahren

Lesezeit: 3 min

Die Mehrheit der Deutschen hat sich einen Freispruch für Daschner gewünscht, aber so weit mochte das Gericht nicht gehen. Nach dem Urteil zeigte der einstige Polizei-Vizepräsident von Frankfurt erstmals Gefühle.

Von Detlef Esslinger

Ganz zum Schluss erlaubt sich Wolfgang Daschner dann doch noch, eine Gefühlsregung zu zeigen.

Während des Prozesses hatte er dies sorgsam vermieden, hatte in die Leere vor der Richterbank geblickt; und auch an diesem Morgen, als seine Anspannung größer kaum sein konnte, bewahrte er zunächst im wahrsten Sinne des Wortes Haltung: Den Kopf starr geradeaus gerichtet, die Hände an den Seiten herabhängend, ließ er zwei Minuten lang reglos das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen.

Später aber, als die Vorsitzende Richterin die Hauptverhandlung geschlossen hat, bedankt er sich bei seinem Verteidiger Eckart Hild. Lange drückt er ihm die Hand und lächelt dabei herzlich. Nun steht Daschner nicht mehr mit durchgedrücktem Rücken da, sondern entspannt.

Eigentlich hatte er freigesprochen werden wollen; stattdessen verwarnte ihn das Gericht und beließ es bei 90 Tagessätzen, die er aber nur zahlen muss, falls er sich erneut etwas zuschulden kommen lässt.

Daschner hätte die Möglichkeit gehabt, nun Revision einzulegen. Aber nachdem er sich eine halbe Stunde mit seinen beiden Verteidigern beraten hatte, ließ er Anwalt Hild erklären: "Herr Daschner hat nicht mehr die Kraft, das Verfahren weiter durchzustehen."

Mit Rücksicht auf Gesundheit und Familie verzichte er auf Rechtsmittel. Normalerweise kommen Strafrichter bei der Urteilsverkündung ohne begleitende Bemerkungen aus. "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil" - das ist die Formel, die sie ihrem Spruch gewöhnlich vorausschicken.

Am Montag jedoch variiert die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock diese Formel leicht: "Dann habe ich im Namen des Volkes folgendes Urteil zu verkünden", sagt sie - die Pflicht zur Formel regelrecht betonend.

Hätte man die Worte: "Im Namen des Volkes" wörtlich genommen, hätte es am Ende dieses Prozesses einen Freispruch geben müssen. Die Frage, ob Daschner und der mitangeklagte Hauptkommissar Ortwin E. sich strafbar gemacht haben, war nur in der Fach-Öffentlichkeit kontrovers diskutiert worden; das breite Publikum indes hätte den beiden Männern vermutlich einen Orden zuerkannt.

Dass die Geldstrafe quasi zur Bewährung ausgesetzt ist, bedeutet nicht, dass die Verurteilten nun aller Sorgen ledig wären: Sie müssen die Anwalts- und Gerichtskosten tragen. Dabei dürfte es sich um einen sechsstelligen Betrag handeln.

Kindsmörder als Belastungszeuge

Es war ein Verfahren, wie es dies in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat: Zwei Polizisten saßen auf der Anklagebank - und ein Kindsmörder fungierte als Belastungszeuge.

Gut zwei Jahre ist es her, dass der Frankfurter Jurastudent Magnus Gäfgen den elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler entführte und ermordete.

Nachdem Gäfgen den Jungen getötet hatte, legte er weiterhin eine erstaunliche Skrupellosigkeit an den Tag: Zunächst verweigerte er die Aussage. Dann belog er die Polizisten, die ihn verhörten, über den Aufenthaltsort des Opfers.

Er nannte Unbeteiligte als Mittäter. So lange trieb er die übermüdeten Polizisten in die Verzweiflung, bis deren Vizepräsident Daschner den Hauptkommissar E. anwies, Gäfgen zu bedrohen: Wenn er jetzt nicht endlich die Wahrheit sage, dann würden ihm unter ärztlicher Aufsicht Schmerzen zugefügt.

E. hat im Prozess ausgesagt, Gäfgen nur allgemein informiert zu haben, dass von der Behördenleitung die Zufügung von Schmerzen "angedacht" sei.

Dass der Festgenommene ihm jedoch den Ablageort der Leiche, einen Weiher bei Fulda, nannte - dafür machte E. sein eigenes psychologisches Geschick verantwortlich.

Das Gericht erklärt jedoch in der Urteilsbegründung, dass es dem Beamten in diesem Punkt keinen Glauben schenke. Gäfgen habe damals sogar seine Mutter belogen; warum hätte also ein Polizist mit Zureden Erfolg haben sollen? "Die Drohung war ursächlich dafür, dass er Angaben machte", sagt die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock.

Der Mörder hatte im Zeugenstand nicht den Eindruck hinterlassen, in den zwei Jahren seiner Haft eine positive Entwicklung durchlaufen zu haben. Er sagte aus, während der Verhöre Angst davor gehabt zu haben, auf dem Weg zum Weiher aus dem Polizeihubschrauber geworfen zu werden.

Niemals zuvor hatte er dies erwähnt - in dem Augenblick aber, da er Daschner und E. schaden konnte, machte er es zum Thema. Erneut offenbarte er seine "kaum nachvollziehbare Neigung, Lügen um sich herum aufzubauen und andere Menschen ganz bewusst zu schädigen", wie Stock in der Urteilsverkündung sagt.

Die Kammer sei daher Gäfgen nur bei jenen Angaben gefolgt, die auch durch andere Beweismittel belegt seien. Zur Zeugenvernehmung brachte der Mörder damals seinen Verteidiger mit. Seinen Antrag auf Übernahme dieser Kosten durch die Staatskasse lehnte das Gericht ab.

© SZ vom 21.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: