Unterwegs mit einem Frachtschiff auf der Donau:Der Wasserweg ist das Ziel

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Die TR Liptov schippert von Bratislava über Vukovar nach Giurgiu - genau im richtigen Tempo für unerwartete Beobachtungen

Von Michael Frank

SZ vom 02.08.2003 - Die Luft über dem Strom schwirrt vom Flügelschlag der Schwalben und ihrem aufgeregten Schrei. Wo Stauwerke den Lauf des großen Flusses hemmen, wo Schleusen und Schiffshebewerke wie die Saurier der Neuzeit sich den Bauch mit Konvois von Kähnen füllen, haben die Schwalben Stein und Eisen mit ihren Behausungen überzogen, in jedem Mauerknick kleben die Nester. Bis zum Schwarzen Meer hinab haben sie den monströsen Bollwerken des Schiffsverkehrs mit der unendlichen Perlenschnur ihrer Nester ein natürliches Maß aufgedrückt. Das zarte Schwalben-Imperium nimmt man nur zu Schiff wahr, wo die Welt gemächlicher, beharrlicher vorbeizieht: Landschaften, Städte, Bauten erscheinen wie ferne Schemen, drehen und wenden sich vor dem Auge, wie sich das Schiff mit der Fahrrinne wendet, ziehen in stoischem Gleichlauf vorbei, vergehen im Wechsellicht des Horizonts.

Eine Erkundungsfahrt auf einem arbeitenden Strom: die Donau hinab, wo sie für Westmenschen im Ungefähren, im Geheimnisvollen entschwindet. Auch für ganz Westeuropa herrscht freie Fahrt dorthin, seit es den Rhein-Main-Donau-Kanal gibt. Stößt das Abendland wirklich in die Levante vor, von Rotterdam bis Ismail in der Ukraine, vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer? Es dauert, bis die TR Liptov in den weiträumigen Becken des Hafens von Bratislava (Preßburg) ihre Fuhre zusammenbugsiert hat. Auf dem Vorschiff surren die Winden und zurren die Trossen. Vorne werden drei Kähne vertäut, mit Edelstahl für die Ukraine, einem zerlegten Hochofen aus Nürnberg für Rumänien und Baumaschinen für Kasachstan, kanariengelb gespritzte Gebrauchtware. 2200 Tonnen, nicht all zu viel für einen Donaukonvoi, aber genug für die Liptov, die mit ihren 1000-Kilowatt-Maschinen nicht zu den Kraftlackeln auf dem Strom gehört. Später werden uns bulgarische und ukrainische Brummer begegnen, die zwölf Kähne vor sich herboxen.

Geschoben, nicht geschleppt

Bratislavas kantige Burg verblasst. Auf maximal zwölf Stundenkilometer bringt es die Liptov, wenn die Strömung ordentlich schiebt. Das sonore Stampfen der Maschinen hüllt die Männer, die hier arbeiten, ein wie ein vibrieren-des Polster, das nur aufschreckt, wenn es plötzlich verstummt. Die Liptov gehört der Slowakischen Schifffahrts- und Häfen AG (Slovenska Plavba a Pristavy a.s.), einst staatliche Reederei, heute Teil einer privaten Kapitalge-sellschaft. Geschleppt wird übrigens so gut wie nichts mehr auf der Donau, nur geschoben. Die Sechs, im speziel-len Oto Vosar, der Maschinenmeister, und der Maschinist Milan Sustek, halten mit viel Improvisationsgeschick, pflegerischer Hingabe und großem Sinn für die Launen der Technik das Schiff in Betrieb: "Seit zehn Jahren keine Ersatzteile mehr."

Man muss Milan, mit 30 der Jüngste, gesehen haben, wie er im Maschinenraum einer Amme gleich den dröhnenden Dieseln frohgemut die Ölflasche gibt. Den Rudergängern jedenfalls hat Meister Oto verboten, Volllast zu fahren, damit ihnen unten nicht Pleuel und Ventile um die Ohren fliegen. Jan Fändrich und Frantisek Chmann streiten manchmal scherzhaft darüber, wer nun wirklich der Käptn sei. Wer gerade am Ruder ist - alle sechs Stunden wird gewechselt - hat alle Verantwortung und das Sagen. Fändrich ist der Spezialist für heikle Manöver; Chmann kennt jeden Zentimeter Fluss, und er liebt es, Schnurren zu erzählen. Auch Schauergeschichten, etwa die, wie sein Konvoi 1991 unversehens in das Bombardement von Vukovar geriet. Wie damals serbische Kampfmaschinen ganz tief über Wasser anflogen und die barocke Stadt am kroatischen Ufer zusammenschossen. Über die Köpfe hinweg orgelte Artillerie. Heute liegt Vukovars Wasserflanke zerlöchert da wie damals. Gesträuch wuchert aus zermalmten Werksruinen und aus den Häuschen der kleinen Leute am Hochufer, einer Trümmerlinie, lückenhaft wie ein verrottetes Gebiss. Nur die Schlosskirche leuchtet neu.

Noch ein Zeichen des Krieges im Gold der Nachmittagssonne: Die geborstene Brücke von Novi Sad liegt eingeknickt da, als gehöre sich das so, wie es die Nato-Bomber angerichtet haben. Die Liptov dreht bei. Erst in der Nacht wird die Pontonersatzbrücke, die den Strom versperrt, für Schiffe geöffnet. Nur Mittwoch und Samstag darf man passieren. Mit höchstens zwei Kähnen kann eine schmale Nebenrinne genommen werden, was die meisten zu mehrmaliger Durchfahrt zwingt, halsbrecherische, zeitraubende Spann- und Wendemanöver in der Finsternis. Die Winden summen. Am nahen Ufer lodert ein Feuer im Garten eines Tanzlokals. Musikfetzen hämmern in den Takt der Diesel. Ausgelassene Leute johlen übers Wasser herüber, als vollführten die Schiffe ihr feuchtes Ballett zu deren Vergnügen. Auf der Brücke der Liptov knackt und quäkt unentwegt der Hafenfunk.

Warum machen die Serben die Rinne nicht öfter frei als zweimal pro Woche? Warum die waghalsigen Manöver bei Nacht? Geld? Schikane? Für die Mannschaft ist die Sache klar: "Balkan!" Jüngst erst, nach unserer Passage, ist die Rinne endgültig von Luftminen und Bombenblindgängern geräumt worden. Aber die geknickte Brücke liegt da wie schon Jahre und der Ritus mit dem Ponton, der die Fahrt hemmt, geht weiter. Novi Sad ist eine von nur zwei Stellen zwischen Rotterdam und Ismail, die Geld kostet. Heute kassiert die Stadt Novi Sad selbst für den Wiederaufbau der Brücke, was lange eine obskure Gesellschaft im Nichts verschwinden ließ. Europäische Wasserstraßen kosten normalerweise nichts. Nicht einmal das slowakische Hebewerk in Gabcikovo mit seiner schwindelnden Hubhöhe von 32 Metern. Aber für die vielen Fluss- und Kanalschleusen zwischen Rhein und Donau müssen die Skipper doch einiges hinlegen. Man hat den Rhein Main-Donau-Kanal nicht als europäische, sondern als deutsche Bundeswasserstraße deklariert, und die kostet.

Fett und Gift in Sicht

Bei Novi Sad in Serbien verläuft auch eine Sprachgrenze. Bis hierher melden alle Kapitäne, auch Ungarn, Ukrainer, Rumänen und unsere Slowaken ihre Position auf Deutsch: "Liptov, Kilometer 1215, zu Tal"; die Entgegen-kommenden melden "zu Berg". Jenseits der geborstenen Brücke plötzlich slawisches Kommandogewirr im Schiffsfunk, so auch vor Belgrad. Vom Wasser aus gesehen scheint sich diese Stadt seltsam abzuwenden, als wolle sie mit der Donau nichts zu tun haben. Ein riesiger Ölteppich im Fluss, Alarmfunkspruch zur Hafenmeisterei. Doch die barsche Auskunft: Man solle sich nicht so haben, Petrochemie am Ufer, das komme jeden Tag vor und habe noch niemandem geschadet. Die Mannschaft kennt das, hier schwimmen immer Fett und Gift auf dem Wasser. Auch schon vor den Nato-Bombardements, auf die man sich jetzt gern herausredet. Mögen Leute einen Fluss, auf den sie all ihren Dreck abladen? Wo immer Raum ist an der Flanke des Stroms ziehen sich Müllhalden wie fettige Tränen die Uferschneisen herunter, blinken Glas und Plastik im Mittagslicht. Nur in Serbien.

Die Nordenmeer begegnet der Liptov, die Schneeburg, Motorkähne modernster Bauart aus Rotterdam, so neu, so säuberlich und aufgeräumt wie Amsterdamer Vorgärten und immer mit dem Auto auf dem Kajütendach. Zwei junge Männer pinseln die Luken himmelblau. "Die leben nicht in dieser Welt", sagt Frantisek. "Schaut nur, die Geranien am Fenster. Die haben ihr kleines Holland immer dabei." Ob die Männer die niederländischen Schiffer-Familien beneiden? Milan, der Maschinist, füttert die schnappenden Ventilreihen mit Öl und sagt: "Das Schiff ist Arbeit, und die Familie ist dort, wo man lebt." Und: "Schau, das sind richtige kleine Häuser, die da herumfahren. Unsere engen Schubschiffe, was will da eine Frau?" Josef Prekop, der Bootsmann, sorgt dafür, dass man sich keinen saubereren Haushalt denken kann.

Prekop ist auch der Koch, nicht aus Pflicht, sondern aus Leidenschaft. Das Schmalz, mit dem er kocht, hat er selbst ausgelassen, das Apfelkompott selbst eingemacht. Irgendwo in Serbien, wo man die Fruchtbarkeit des fet-ten gelben Steilufers förmlich riecht, geht ein Schinackl längsseits, liefert Tomaten, Zwiebeln, Paprika, Wassermelonen. Der Bootsmann hat den brummigen schwimmenden Händler per Funk herbeigeordert, um den Vitaminvorrat aufzustocken. "An alles gedacht?", hatte vor dem Ablegen Zahlmeister Jan Kosovy gefragt. Immerhin würden wir acht oder zehn Tage unterwegs sein, ohne anzulegen. Tempotaschentücher, Seife, Pflaster? "Und Käse. Käse ist ganz wichtig. Fast alle denken nicht daran und bekommen dann auf der Fahrt einen Riesenappetit auf Käse. Wie Schwangere." Wasser in Flaschen, viel Wasser. "Hier ist es immer heiß. Alles aus Eisen. Das macht Durst." Kosovy obliegen unterwegs die vielen Zollformalitäten. Das wichtigste dabei ist, zu wissen, welchen Whisky oder Cognac die Zöllner bevorzugen, um sie bei Laune zu halten.

Ein Frachter mit verblasstem Namenszug dampft mit Bergen von Schrott in den Luken den Fluss hinauf. Mit nichts lässt sich so viel Geld verdienen heutzutage wie mit Schrott. Schrott in alle Himmelsrichtungen. Der reichs-te Mann der Slowakei ist mit Schrott fett geworden. Frantisek Chmann weiß einen Skipper, der ist ganze fünf Monate zwischen Bratislava und Ismail offiziell mit 3000 Tonnen Schrott im Bunker herumkutschiert. Wo immer er anlief, wurde die Ladung komplett verkauft, ist aber dennoch "nicht ein Blech, eine Schraube, ein rostiges Ei-sentrumm gelöscht worden", sondern ging gleich weiter.

Spekulationsgut. Die Niederländer laden meist Appetitlicheres. In der fruchtbaren Einöde Südungarns schlagen sich ihre großen Kähne über Saugrüssel den Bauch voll mit Sojaschrot und Mais, Sonnenblumenkernen und Raps. Vieles wie Stahl, Kohle und Schrott hat sich aus Richtung Südosten auf die Schiene verlagert, seit es die Barriere in Novi Sad gibt. Die Massen Erz für die Stahlwerke in Linz kommen heute fast nur noch von Norden durch den Rhein-Main-Donau-Kanal. Die Massengutströme haben sich umgepolt. Von den 240 Einheiten der Slowakischen Schifffahrts- und Häfen AG, die fast nur im Südosten operiert, sind heute kaum 40, manchmal nur 20 ausgelastet. Vor den Balkankriegen waren alle unterwegs. Und doch, trotz des Spundloches von Novi Sad ist auch der untere Donaustrom noch immer ein Kohlenfluss: Gute Kohle aus der Slowakei und Polen in die Ukraine, schlechte Kohle aus der Ukraine nach Tschechien und in die Slowakei.

Die Liptov bugsiert Edelstahl in die Ukraine, wird von dort minderwertigen in die Slowakei oder nach Linz schieben, wo man ihn veredelt und den Fluss wieder hinunterschickt. Und immer wieder Schrott. "Dass übrigens jemand von ganz oben, sagen wir von Rotterdam, bis ins Schwarze Meer fährt, das ist ein Märchen," sagt Käptn Frantisek. Er hat in elf Jahren keine einzige Fuhre dieser Art erlebt. Experten rechnen vor, dass der Transport mit großen Seeschiffen die viel längere Route über Atlantik, Mittelmeer und Schwarzes Meer letztlich doch viel schneller und billiger geht als quer durch den ganzen Kontinent.

Glotzendes Felsengesicht

Das Lastengespann arbeitet sich in ein wildes Schluchtental vor, Wald, Fels, schön, unnahbar. Diese pittoreske und doch monumentale Welt, das Eiserne Tor, hat der Strom zwischen Karpaten und Serbischem Mittelgebirge aus dem Stein gearbeitet. Stunden im Bug stehen und schauen. Frantisek lässt plötzlich das Nebelhorn tuten und gestikuliert: Aus einer Falte des Gebirges blickt unerwartet ein grimmiges Antlitz, das glotzende Felsengesicht des großen Decebal, jenes mythischen Gründers Rumäniens, im Eisernen Tor in Stein gehauen, wohl hundert Meter in der Höhe messend. Wie eine Theaterkulisse schiebt sich gleich wieder ein jäher Absturz davor, mit einem orthodoxen Kirchlein auf dem Sims. Wellen lecken am Fuß der Tabula Trajana, einer tempelgleichen antiken Tafel, letztem Rest einer in den gestauten Fluten versunkenen kühnen Römerstraße.

Links des Stroms tut sich ein rumänisches Arkadien auf: Hügelland von toskanischer Lieblichkeit. Die Reihen schlanker Pappeln muten an wie Zypressenhaine. Grüne Matten an den Gestaden - und kein Mensch, keine Ansiedlung, kein Garten, nur einsame Angler. Durchs Fernglas ortet man alle 500 Meter einen widerwärtigen, braungelben Pickel im malerischen Gesicht des Ufers: unzählige Bunker, die der Despot Ceausescu den Jugosla-wen am anderen Ufer entgegensetzte. Das Paradies am Fluss war Jahrzehnte militärisches Sperrgebiet, ist Niemandsland geblieben, Heimstätte für Frosch, Storch, Reiher und Rohrdommel.

Manöver nach Maß

Ein Unwetter bei Flusskilometer 533. Der tobende Sturm wühlt im Strom schwarze Wogen auf. Der Konvoi wird langsam. Käptn Frantisek erzählt, dass der Gegenwind manchmal so scharf bläst, dass man vor Anker gehen muss, weil kein Fortkommen mehr ist. Für Giurgiu, den rumänischen Zielhafen des Hochofens, gibt das Radio 2,10 Meter Wasserstand durch. Der Stahlkahn hat 2,20 Meter Tiefgang. Die Rumänen, sagt Frantisek grinsend, messen nicht so genau. Außerdem kennen die Skipper die Rinne aufs Beste. Hier liegen auf dem Grund nur Schlick und Sand und keine Steine, die den Schiffsbauch aufreißen könnten. Das Manöver gelingt.

Der Gast geht von Bord. Das marode Plattengebäude des Zolls, vor dem blutjunge Rekruten mit blitzblanken Kalaschnikows hantieren, wird scheinbar nur noch vom Kitt der zahllosen Schwalbennester zusammengehalten. Die Liptov legt wieder ab, löst sich langsam auf im Dunstschleier über dem Fluss. Nur die grellgelb gespritzten Maschinen für Kasachstan leuchten noch lange durchs diesige Grau, hocken wie riesige Kanarienvögel auf dem entschwindenden Kahn.

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