Union:Der Mann, der schon fast Kanzler war

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Rainer Candidus Barzel, der ehemalige Parteichef der CDU, ist tot. Er starb im Alter von 82 Jahren. Anstelle eines Nachrufs bringt sueddeutsche.de ein Porträt, das Heribert Prantl vor eineinhalb Jahren schrieb.

Wer das Geheimnis des letzten noch lebenden Unionsministers der Ära Adenauer entdecken will, der begebe sich in die Klosterkirche von Irsee im Ostallgäu. Dort, im Nebenaltar der südlichen Kapelle, neben dem vierten Joch, steht ein Ritter.

Er birgt den Leib eines christlichen Märtyrers - und dieser trägt den Namen, über den die Republik einst gerätselt hat: Candidus. Es ist dies der zweite Vornamen des Mannes, der 1972 schon beinah Bundeskanzler war: Rainer Candidus Barzel.

Nicht immer sind Namen Schall und Rauch. Der Patron Candidus gehört zur Familiengeschichte des gläubigen Katholiken Barzel. Schon sein Vater, Oberstudienrat im Ermland in Ostpreußen, trug den Namen des Märtyrers. Und das Leben Barzels ist so verlaufen, dass es ihm an Qualen einiges zugemutet hat. Bis zum 49. Lebensjahr freilich hat nichts auf Tragik schließen lassen.

Wunderkind der Adenauer-Ära

Barzel war das politische Wunderkind der Adenauer-Ära. Der Leutnant bei den Seefliegern studierte Jura, schrieb mit 23 Jahren sein erstes Buch über "Die geistigen Grundlagen der Parteien", promovierte beim Rechtsphilosophen Ernst von Hippel, wurde Redenschreiber des CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold und, 33 Jahre alt, 1957 im Wahlkreis Paderborn für die CDU in den Bundestag gewählt.

Er stieg blitzschnell auf, wurde Minister für Gesamtdeutsche Fragen im fünften Kabinett Adenauer, wenig später Chef der CDU/CSU-Fraktion. Seine Karriere entwickelte sich so rasant wie später die seines Nachfolgers Helmut Kohl - der dann all das geworden ist, was Barzel sich erträumt und erhofft hatte.

Unglaublich ehrgeizig war Barzel, einfallsreich, wendig, im Bundestag ein gewandter Mehrzweckredner. Bei den Beratungen über die Deutschlandpolitik zog er den Ex-Kommunisten Wolfgang Leonhard heran; das war damals mutig. Barzel war die Schaltstelle der Politik im Kabinett Ludwig Erhard, er war Manager der Großen Koalition des Kanzlers Kiesinger und des Vizekanzlers Brandt.

Als Barzel die Union in die Opposition führen musste, bewahrte er sie davor, noch tiefer ins Loch zu fallen. Er war seiner Partei und Fraktion strategisch voraus, teilte deren Radikalopposition gegen Brandts Ostpolitik nicht, versuchte die Union hindurchzuführen zwischen Strauß und dem, was er selbst für richtig hielt, er sagte nicht Ja und Nein zu den Ostverträgen, sondern "So nicht".

Dann kam der Tag, an dem eintreten sollte, was Adenauer sich in einem Brief 1966 gewünscht hatte: "Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie Bundeskanzler würden".

Gescheitertes Misstrauensvotum gegen Brandt

Dieser 24. April 1972 wendete das Leben Barzels. Beim Misstrauensvotum gegen Brandt fehlten zwei Unionsstimmen; sie waren, wie sich später herausstellte, von der Stasi gekauft.

Und damit endet die Fortune Barzels; es beginnt die Fortune Kohls, der seinen Vorgänger schnell aus den Spitzenämtern hinausdrängt.

In einem Anfall von Großmut machte Kohl ihn 1983 aber noch zum Bundestagspräsidenten. Man erlebte einen gelassenen Barzel, auch im Umgang mit den Eskapaden der Grünen. Als die nach Sitzungsbeginn einfach stehen blieben, meinte er: Der Bundestag pflege zwar im Sitzen zu beraten; wenn das Hohe Haus der Rede des Kanzlers Kohl aber stehend " Reverenz erweisen" wolle, habe "der Präsident nichts dagegen". Die Grünen nahmen Platz.

Barzel trat wegen angeblicher Verwicklung in die erste Parteispendenaffäre Kohl/Flick ab (die aber nicht bestanden hatte) - und zog sich zurück. Wie er das gemacht hat, das war seine große Lebensleistung. Er hat dem politischen Betrieb zugeschaut ohne nachzutreten. Er hat es verkraftet, dass nicht er, sondern Kohl Geschichte gemacht hat. Und er hat schwere persönliche Schicksalsschläge aushalten müssen.

Am 20. Juni 2004 feiert Barzel seinen 80. Geburtstag - nicht in der Candidus-Kirche von Irsee, sondern im Asam-Kirchlein in München. Die Heiterkeit, die diese Kapelle ausstrahlt, hat Barzel, trotz allem, seinen späten Jahren geben können.

© SZ vom 19.6.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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