Ungelöste Krisen:Der Baustellen-Minister

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Derzeit belastete Beziehungen: Russlands Präsident Wladimir Putin (links) empfängt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am 23. März 2016 im Kreml. (Foto: Kirill Kudryavtsev/Reuters)

Frank-Walter Steinmeier hat viel Arbeit und wenig konkrete Erfolge: Für Syrien und Libyen ist keine Lösung in Sicht, und nun gerät er im Ukraine-Konflikt zwischen die Fronten in der eigenen Koalition.

Von Stefan Braun, Berlin

Frank-Walter Steinmeier durchlebt schwierige Zeiten. Wo er auch hinschaut, um ihn herum sind riesige Baustellen. Ob auch nur eine davon fertiggestellt werden kann, vermag niemand zu sagen. Die Syrien-Verhandlungen stecken tief im Morast fest; in Libyen gibt es noch immer kaum Hoffnung; die Umsetzung der Minsker Ukraine-Vereinbarungen verharrt in einem gefährlichen Stillstand. Und weil das so ist, wird auch das Verhältnis zu Russland nicht besser. Selbst der deutsche Außenminister, der von Amts wegen ewig und immer ein Berufsoptimist sein möchte, kann daran wenig ändern. Dass das schmerzt, wenn es ins letzte Jahr der Legislatur geht, ist verständlich; dass man ihm das mittlerweile anmerken kann, zeigt, wie unbefriedigend die Lage ist für einen, den allmählich die Frage ereilt, was er auf seinen Baustellen bislang erreicht hat.

Besonders fein studieren konnte man das am Montagabend. Das Deutsch-Russische Forum hatte zum jährlichen Treffen geladen. Seit Ausbruch des Ukraine-Konflikts vor gut zweieinhalb Jahren ist dieser Gesprächskreis heikles Terrain für den Außenminister. Nicht weil er die wenigen Damen und vielen Herren dort nicht kennen oder schätzen würde. Schwierig ist's, weil die Begegnung Steinmeier stets zum Spagat zwingt. Einerseits würde der SPD-Politiker den Russen, der Wirtschaft und den eigenen Sozialdemokraten gerne eine Perspektive für bessere Beziehungen mit Moskau liefern. Andererseits steht er unter dem Verdacht, zu sanft mit Russland zu sein, weil ihm diese Beziehung seit Jahrzehnten besonders am Herzen liegt. Was das heißt, konnte man am Montag studieren. Steinmeier, der Strenge; Steinmeier, der Konziliante; und dazu Steinmeier, der Bedürftige - alles ist dabei gewesen.

Harsch wie selten zuvor rügt Steinmeier Russland für die Annexion der Krim

Zunächst waren da die Kritik und die Härte gegenüber Moskau. So betonte der deutsche Außenminister, die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine werde man auf keinen Fall hinnehmen. "Den eklatanten Völkerrechtsbruch", so Steinmeier, "können wir weder ignorieren noch akzeptieren." Klar sei: "Eine Anerkennung der Annexion kommt nicht infrage." Kritisiert hat der Außenminister Moskaus Vorgehen immer; derart harsche Worte wählte er aber selten. Das bestätigten hinterher selbst Leute aus seiner Umgebung. Soll keiner kommen und sagen: er sei irgendwie weich geworden.

Nur wenige Sätze später freilich kam Steinmeier zu den Sanktionen gegen Russland. Die Debatte flackert seit Tagen auf, Ende Juni muss die EU entscheiden, ob sie diese verlängert. Und hier wurde deutlich, dass Steinmeier nach zwei Jahren, die in der Ostukraine zwar die Abkühlung des Konflikts, aber keine echte Befriedung gebracht haben, immer weniger davon hält, bei den Sanktionen weiterzumachen wie bisher. Sanktionen seien "nie das Mittel erster Wahl"; sie seien kein Selbstzweck und erst recht nicht dazu da, ein anderes Land in die Knie zu zwingen. Niemand könne ein Interesse haben, Russland wirtschaftlich zu ruinieren, weil das "ganz gewiss kein Beitrag für mehr Sicherheit in Europa" sei. Ziel bleibe, Anreize zu schaffen, die zur Beendigung des Konflikts führen würden. Also müsse man den Druck zwar aufrechterhalten, "aber gleichzeitig mit dem Sanktionsinstrumentarium intelligent umgehen". Auf Steinmeiers harsche Kritik folgte eine ziemlich sanfte Pfote.

Im Publikum erntete er dafür viel Kopfnicken. Viele unter den Gästen hoffen auf eine Geste der Entspannung. Tatsächlich aber wurde in dem Moment sein zentrales Problem deutlich: Denn wie dieser "intelligente" Einsatz aussehen könnte, ließ Steinmeier offen. Er musste es offen lassen, weil eine Konkretisierung ihn schnell in einen Konflikt geführt hätte - entweder mit der Kanzlerin, die eine strikte Umsetzung von Minsk fordert, bevor sie Sanktionen lockern möchte. Oder mit Sigmar Gabriel, dem Vizekanzler, der am anderen Ende der Leine zieht und lieber heute als morgen einen Einstieg in den Ausstieg erzwingen würde. Mitte vergangener Woche gab er dafür den Ton vor. Im Beisein des russischen Industrieministers sagte Gabriel in Rostock, jeder wisse, dass Isolation auf Dauer nichts bringe. Am Ende helfe nur Dialog, deshalb halte er nichts von der harten Linie der EU, die "erst hundert Prozent Minsk" verlange, um dann "hundert Prozent Aufhebung der Sanktionen" gestatte. Für Steinmeier könnte mit Gabriels verstärktem Auftreten in dieser Frage eine neue, sehr viel schwierigere Zeit anbrechen. Fast drei Jahre lang konnte er an der Seite Merkels schalten und walten, ob nun beim Ukrainekonflikt oder bei den Versuchen, Gespräche über Syrien auf den Weg zu bringen. Innenpolitische, gar parteipolitische Querschüsse spielten keine Rolle. Nun aber, mit einer in weiten Teilen Russland-freundlichen SPD und einem um seine Position kämpfenden Parteichef könnte die Freiheit rasch schrumpfen. Und das umso mehr, wenn all die vielen Vermittlungsbemühungen in Syrien, in Libyen, in der Ukraine keinen großen Lohn bringen. Beim deutsch-russischen Forum hat Steinmeier Willy Brandt zitiert mit den Worten, Außenpolitik sei halt "der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Konflikten". Das ergänzte Steinmeier mit den Worten, man dürfe sich "von der Verzweiflung der Situation nicht übermannen lassen. " Das war als Appell ans Publikum gedacht. Aber es klang mit einem Mal wie eine Aufmunterung an sich selber.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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