Ungeklärter RAF-Terror:Das Schweigen der Täter

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Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt, Birgit Hogefeld: Fast alle RAF-Aktivisten verweigern die Auskunft über das Innenleben der Terrorgruppe - auch wenn sie für Taten büßen, die sie nicht verübt haben. Warum?

Oliver Das Gupta

Am 3. Januar 2009 würde Siegfried Buback 89 Jahre alt werden. Just an diesem Tag endet auch die Mindesthaftdauer Christian Klars, der an der Ermordung Bubacks beteiligt war. Zu den Abläufen des Überfalls auf den damaligen Generalbundesanwalt schweigt Klar nach wie vor - ebenso wie Brigitte Mohnhaupt und die meisten anderen RAF-Aktivisten, die jahrelang Krieg gegen das "Schweinesystem" führten. Einzig Peter-Jürgen Boock packte aus - und widersprach sich in seinen Aussagen.

Weil die anderen beharrlich schweigen, liegt auch mehr als neun Jahre nach der Selbstauflösung der RAF vieles im Dunkeln: Wer entschied was, warum wurden bestimmte Opfer ausgewählt, wer schoss und wer fuhr das Fluchtauto - das Innenleben der Terrortruppe ist nahezu unbekannt.

Das Schweigen vor dem Staat war in Apo-Kreisen schon verbreitet, bevor die sogenannte Baader-Meinhof-Gruppe entstand: "Das war kein Spezifikum der RAF. Sondern eine Grundhaltung gegenüber der staatlichen Autorität - vor allem gegenüber den Gerichten," sagt der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele zu sueddeutsche.de, der als Anwalt RAF-Terroristen verteidigte. Wer bei einer Demo verhaftet wurde, hielt lieber den Mund.

Hinzu kam, dass der deutsche Staat von 1976 an den neuen Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einführte. Fortan wurde Gruppenhandeln geahndet: "Der Autofahrer wurde genauso bestraft, wie derjenige der geschossen hat", erläutert der Historiker Gerd Koenen, einst selbst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Die RAF-Terroristen wurden "in einer Gruppe verurteilt - und haben auch in der Gruppe geschwiegen."

Doch ausschlaggebend für den Auskunftsboykott der Terroristen war und ist das, was Koenen im Gespräch mit sueddeutsche.de "das hoch abstrakte Konstrukt einer revolutionären Identität" nennt. Die Täter wähnten sich im Recht - und würden durch Reden alles entwerten, wofür sie getötet haben.

"Die Moral war bei den Morden nicht mehr vorhanden, nur anschließend als Loyalitätsgebot gegenüber den anderen RAF-Aktivisten", sagt der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter zu sueddeutsche.de.

Inszeniertes Martyrium mit Langzeitwirkung

Das sei auch der Grund, warum die Terroristen womöglich für Taten büßten und büßen, die nicht sie, sondern ihre Gesinnungsgenossen verübt haben. "Sie empfinden eine gemeinsame Verantwortung - egal ob sie an den ihnen zur Last gelegten Taten beteiligt waren oder nicht", sagt Richter. Also schweigen auch die noch in Haft befindlichen RAF-Terroristen wie Christian Klar. Sie wollen, so Richter, sich "nicht freimachen auf Kosten der anderen".

Und das war noch nicht alles. Das inszenierte Martyrium der gefangenen und toten Kameraden wirkte über den Tag hinaus: Psychoanalytiker Richter attestiert, dass bei einigen RAF-Mitgliedern "eine Überidentifizierung, eine totale Hineinversetzung mit den in Haft befindlichen Gesinnungsgenossen" stattgefunden hatte.

In einem Fall versuchte eine spätere Terroristin, mit Betttüchern die Gefängniszelle des zu Tode gehungerten Holger Meins nachzubauen. Reife Früchte der "hysterischen Kampagne" (Koenen) über die angebliche "Vernichtung" der RAF-Leute im Gefängnis.

Bei einigen RAF-Aktivisten hat das auch heute noch Bedeutung, obwohl manche gleichzeitig - so wird es kolportiert - ihre Taten bereuen, wenn auch nicht öffentlich. Trotzdem schweigen sie weiter über die Details des Terrors, auch wenn viele Angehörige der RAF-Opfer dringend etwas drüber erfahren wollen.

Hans-Christian Ströbele schließt nicht aus, dass in persönlichen Gesprächen die Täter mit den Hinterbliebenen über RAF-Interna reden. Denn: "Das Schweigekartell, was man da hineingeheimnist, sehe ich überhaupt nicht."

Allerdings gäbe es, so der Vize-Fraktionschef der Grünen, einen guten Grund für die alternden Terroristen, weiterhin nichts über die Verbrechen der RAF zu sagen: "Möglicherweise spielt die Überlegung eine Rolle, dass jemand aufgrund ihrer Aussagen 25 Jahre ins Gefängnis kommen könnte."

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