Ungarn:Gyurcsany nennt Unruhen "Angriff auf die Republik"

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Mehr als 200 Verletzte, vorübergehender Ausfall des Fernsehens. Ungarn hat die "dunkelste Nacht der jüngsten Geschichte" gesehen, sagt Premier Gyurcsany, der zugegeben hatte, sein Volk belogen zu haben.

Nach den schweren nächtlichen Ausschreitungen in Budapest hat der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany die Erstürmung des Fernsehgebäudes durch Regierungsgegner als "Angriff auf die Republik" bezeichnet. Bei den Unruhen waren rund 200 Menschen verletzt worden. Das Land blicke auf die "längste und dunkelste Nacht" der jüngsten Geschichte zurück, sagte Gyurcsany nach einer Sitzung des Kabinetts für nationale Sicherheit.

Die Erstürmung des Fernsehgebäudes hatte zu einem 80-minütigen Ausfall des Sendebetriebes geführt. Die Demonstranten hatten Steine und Brandsätze geworfen sowie Fahrzeuge, darunter einen Wasserwerfer der Polizei, angezündet. Nach Angaben des Rettungsdienstes waren mehr als die Hälfte der Verletzten Polizisten. Der auch für die Polizei zuständige Justizminister Jozsef Petretei bot noch in der Nacht seinen Rücktritt an. Gyurcsany lehnte aber die Demission vorerst ab.

EU-Kommission gibt kein "Werturteil" ab

Die Menge, die das Fernsehen angriff, hatte sich aus der Masse einiger tausend Demonstranten gelöst, die vor dem nahe gelegenen Parlament seit Sonntagabend gegen die Regierung des Sozialisten Gyurcsany protestieren.

Die Anhänger der rechten Opposition verlangen den Rücktritt des Regierungschefs, nachdem am Sonntag der Tonbandmitschnitt einer parteiinternen Rede vom Mai an die Medien gelangt war. Darin hatte Gyurcsany unter anderem freimütig eingeräumt, dass seine Partei vor den Parlamentswahlen im April die Wähler belogen habe.

Die EU-Kommission will sich nach den Unruhen in Budapest kein "Werturteil" über den ungarischen Regierungschef Ferenc Gyurcsany erlauben. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Werturteile über einzelne Regierungen zu fällen", sagte eine Kommissionssprecherin.

Auf die Frage, ob das Vertrauensverhältnis zu Gyurcsany durch dessen Eingeständnis, die Wähler betrogen zu haben, in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden sei, antwortete sie: "Wir sagen nur, dass dies eine Frage für die demokratischen Institutionen in Ungarn ist."

"Besorgnis erregende Finanzen"

Die Kommission wollte auch nicht zur Frage Stellung nehmen, ob die Unruhen nicht die Umsetzung eines wirtschaftlichen Stabilisierungsprogramms, das die Regierung auf Drängen der Kommission vorgelegt hat, höchst unwahrscheinlich mache. "Wir wollen nicht spekulieren und können nicht kommentieren, was vielleicht passieren wird."

In dem Programm hat die Regierung Gyurcsanys versprochen, das Haushaltsdefizit von derzeit rund zehn Prozent bis 2009 auf 3,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Währungskommissar Joaquín Almunia will Ende September entscheiden, ob das Programm ausreicht.

"Wir alle wissen, dass die Lage der ungarischen Staatsfinanzen Besorgnis erregend ist", sagte die Kommissionssprecherin. "Aber es liegt im Interesse der Bürger, dass das öffentliche Defizit verringert wird." Die Kommission sei sich "bewusst, dass die Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels natürlich schmerzhaft sind".

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