UN-Botschafter:Wagnis Wiederaufbau

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Botschafter mit UN-Erfahrung: Joachim Rücker. (Foto: Salvatore Di Nolfi/dpa)

Der deutsche Diplomat Joachim Rücker soll helfen, den Nahen Osten zu stabilisieren. Die Region kennt er nicht, aber seine Wahl war kein Zufall.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Sache mit dem "Respekt vor der Aufgabe" scheint Joachim Rücker tatsächlich ernst zu meinen. Bei anderen klingt die Floskel meist zwar höflich, aber nichtssagend; Rücker dagegen sieht aus, als sei ihm tatsächlich mulmig. Und das dürfte daran liegen, dass der Berufsdiplomat von sofort an viel mit den Krisen im Nahen Osten zu tun hat, aber mit den unzähligen politischen Untiefen der Region wenig Erfahrungen sammeln konnte. Also steht der 64-Jährige am Montagmorgen neben dem deutschen Außenminister und schaut besorgt drein, als Frank-Walter Steinmeier ihn lobt für seine Fähigkeiten, um dann anzufügen, dass Rücker diese Fähigkeiten dringend brauchen werde angesichts seiner neuen Aufgabe. Einer Aufgabe, so Steinmeier, die schwerer sei als alles, was Rücker bislang gemacht habe. Am Ende dankt Steinmeier seinem Botschafter. Es wirkt, als brauche der den Dank wirklich.

Der ausgebildete Diplomat, 1951 im baden-württembergischen Schwäbisch Hall geboren, wird nun das deutsche Engagement zur Stabilisierung des Nahen Ostens organisieren. Als Sonderbeauftragter der Regierung soll er in Berlin alle beteiligten Ressorts koordinieren und international alle Kräfte zusammenbringen, um das zu schaffen, was sich Deutschland zum Ziel gesetzt hat: Es will Dörfer, Städte und Regionen, die im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zurückerobert werden, möglichst schnell wieder zu lebenswerten Orten machen, in Syrien genauso wie jetzt schon im Irak. Im Rahmen der internationalen Anti-IS-Allianz wurde dafür eine Arbeitsgruppe gebildet; Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate haben den Vorsitz übernommen.

Bislang verweisen die Deutschen vor allem auf ein Beispiel, bei dem das angestrebte Ziel erfolgreich umgesetzt wurde. Gemeint ist die irakische Stadt Tikrit, einst Heimat des früheren Diktators Saddam Hussein, die dem IS vor Monaten entrissen werden konnte. Seither bemühen sich nicht zuletzt deutsche Experten darum, dort das umzusetzen, was nach und nach überall den Flüchtlingen die Rückkehr erleichtern soll. Sie versuchen, die Trinkwasserversorgung wieder herzustellen; sie kümmern sich um die Kraftwerke und das Stromnetz; sie organisieren Krankenstationen und den Wiederaufbau der Verwaltung. Und sie trainieren die örtliche Polizei, damit wieder jemand für Recht und Ordnung eintritt. Dass es inzwischen ein solches Engagement gibt, hängt eng mit dem Blick auf den Irakkrieg zusammen. Denn weniger Saddam Husseins Armee machte den US-Truppen nach dem Sturz des Diktators weiter zu schaffen, sondern die Tatsache, dass die Amerikaner alle Machtstrukturen des alten Systems zerstört hatten, ohne zu überdenken, wie wichtig für die Zivilbevölkerung gerade nach einem militärischen Erfolg eine stabile Versorgung und Verwaltung sein würde.

Rücker kennt die Region zwar nicht, aber seine Wahl wurde nicht zufällig getroffen

Dieser Fehler soll nun nicht wiederholt werden. Und dass Rücker als Beauftragter ausgewählt wurde, ist trotz mangelnder Regionalkenntnisse kein Zufall. Rücker war für die Vereinten Nationen in Bosnien und im Kosovo, um zivile lokale Veraltungen zu stärken. Er hat in den letzten beiden Jahren in Genf enge Verbindungen zu quasi allen internationalen UN- und Hilfsorganisationen geknüpft, deren Mitarbeit er nun dringend benötigen wird. Und dazu ist er acht Jahre Oberbürgermeister der schwäbischen Stadt Sindelfingen gewesen. Er hat, anders als viele andere Diplomaten aus dem Hause Steinmeier, genau jene Erfahrungen gesammelt, um das schnell zu überblicken, was bei einem Wiederaufbau und Neustart in kleinen Ortschaften und Gemeinden gebraucht wird.

Einer Sache allerdings wird sich Rücker ganz neu widmen müssen: dem Kampf gegen Sprengfallen. Mit ihnen hat der IS inzwischen jeden Ort, jede Stadt bestückt, bevor er abrückt. Wie es heißt, sind Dutzende Familien in Tikrit und anderswo schon gestorben, weil immer tückischere Fallen gebaut werden. In Tikrit und Ramadi hat das die Rückkehr der Flüchtlinge massiv verzögert. Entsprechend gefragt und rar sind dafür heute die Experten.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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