Umstrittener Auslandseinsatz:Briten verlangen Kehrtwende in Afghanistan

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Das westliche Bündnis steht in Afghanistan vor massiven Problemen. Jetzt werden in Großbritannien Forderung laut, endlich eine gemeinsame Strategie für das geschundene Land zu finden.

Wolfgang Koydl

Erfolgsmeldungen, wenn man das so nennen kann, kommen eigentlich nur noch aus der Landwirtschaft: Afghanistans Ernteerträge, so haben die Vereinten Nationen (UN) errechnet, werden in diesem Jahr das Vorjahresergebnis deutlich übertreffen.

Anlass zu Freude freilich ist das nicht: Denn die Zahl bezieht sich auf den Mohnanbau. Das Einzige was in Afghanistan gedeiht, so scheint es, ist der Grundstoff für Rauschgift. Alle anderen Indizien hingegen weisen sechs Jahre nach der Vertreibung des Taliban-Regimes auf eine mögliche Niederlage für das westliche Bündnis hin.

Nun hat Großbritannien, das nach den USA mit 7100 Mann die meisten Soldaten in das zentralasiatische Land entsandt hat, deutlicher und nachhaltiger denn je bei den Verbündeten eine Kehrtwende gefordert: "Wir müssen endlich einen gemeinsamen Nenner finden, um überhaupt irgendwelche Fortschritte in diesem Land zu machen'', erklärte ein Sprecher des britischen Außenministeriums mit undiplomatischer Direktheit.

Noch unverblümter drückte es ein britischer Offizier in der südafghanischen Provinz Helmand aus. Der Mann, der von der New York Times zitiert wurde, verlangte einen sofortigen Abzug amerikanischer Spezialtruppen aus seinem Frontabschnitt.

Ihre Anwesenheit sei nicht länger notwendig, weil es kaum mehr Talibankämpfer dort gebe, sagte er. Unausgesprochen, aber deutlich, ließ er durchklingen, dass die US-Soldaten mehr schadeten als nützten.

Tatsächlich scheinen die Aufträge der Special Forces denen der internationalen Afghanistantruppe Isaf zu widersprechen. Aufgabe der Amerikaner ist es, unter Einsatz massiver Feuerkraft, Osama bin Laden und die Taliban auszuräuchern.

Die Nato-Verbündeten hingegen sehen es als ihre vornehmste Pflicht, das geschundene Land wieder aufzubauen. Zu diesem Zweck müssen sie das Vertrauen der Zivilbevölkerung gewinnen. Doch jedes Mal, wenn bei einem Luftangriff der Amerikaner Frauen und Kinder sterben, erleiden diese Bemühungen einen Rückschlag.

Die Bemerkungen des Offiziers wurden von Britanniens Verteidigungsminister Des Browne zwar als dessen persönliche Meinung "in der Hitze des Gefechts'' abgetan. Intern hat er das Problem jedoch in Gesprächen mit seinem amerikanischen Kollegen Robert Gates und Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer zur Sprache gebracht.

Ashdown soll Afghanistan-Koordinator werden

Darüber hinaus bemüht sich Brownes Chef, Premierminister Gordon Brown, um die Ernennung eines Koordinators für Afghanistan. Sogar einen Kandidaten dafür hat er schon: Lord Paddy Ashdown, den ehemaligen Führer der Liberaldemokraten, der eine ähnliche Aufgabe bereits in Bosnien erfüllt hat.

Vor welchen Problemen das westliche Bündnis in Afghanistan steht, hatte ein Bericht des Verteidigungsausschusses des Unterhauses noch vor Beginn der Sommerpause schonungslos dargelegt.

Im Wesentlichen identifizierte der Report vier Schwachstellen: Es gebe keine zusammenhängende Strategie, eine Reihe von Nato-Partnern drücke sich um ihre Verantwortung, Afghanistans Polizei und Armee seien lachhaft schlecht ausgebildet, den britischen Soldaten mangele es an Hubschraubern und anderem Gerät. Hinzu komme, dass die Taliban den Propagandakrieg gewönnen: Jeder Luftangriff, bei dem ein Zivilist getötet werde, sei ein Erfolg für die Gotteskrieger.

In den vergangenen vier Wochen fielen sieben Briten im Kampf gegen die Taliban; seit 2001 ließen damit 70 in Afghanistan ihr Leben. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, stellte ein Untersuchungsbericht fest, würde während eines sechsmonatigen Einsatzes jeder dritte von hundert Soldaten getötet werden. Im Irak wäre es nur einer von hundert.

© SZ vom 14.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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