Umfrage:Entfremdung zwischen Europäern und Amerikanern wächst

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Wegen der Verschiebungen der Erdkruste driften Europa und die USA pro Jahr ein paar Zentimeter auseinander. Was die Geologen präzise vermessen, ist nun auch den Meinungsforschern gelungen: Der transatlantische Graben wird auch in der Politik immer größer.

Von Stefan Kornelius

(SZ vom 5.9. 2003) - Was sich nach dem Irak-Jahr wie eine Binsenweisheit ausnimmt, verdient aber eine genaue Analyse.

Zwar hat sich nämlich die Skepsis der Europäer gegenüber der Außenpolitik und der Führungsrolle der USA massiv vergrößert. Allerdings reagieren die Amerikaner lange nicht so klischeehaft, wie das in Europa gerne unterstellt wird.

Reduzierter Wunsch nach einer Führungsrolle der USA

Der German Marshall Fund und die italienische Stiftung Compagnia di San Paolo haben jetzt die Ergebnisse einer großen Meinungsumfrage in sieben Ländern Europas und den USA veröffentlicht (1000 Interviews pro Land, bis zu drei Prozentpunkte Unsicherheit im Ergebnis).

Die wichtigste Botschaft: Im Vergleich zum Vorjahr haben die Europäer und dabei vor allem die Deutschen den Wunsch nach einer internationalen Führungsrolle der USA aufgegeben.

Die Werte sackten von 68 auf 45 Prozent ab. Die Fremdheit lässt sich an vielen Zahlen ablesen. Unterschiedliche Werte und Kulturen werden auf beiden Seiten des Atlantiks mit etwa 80 Prozent wahrgenommen. Die Sympathien für die USA nahmen in ganz Europa ab.

Umgekehrt sank zwar auch in den USA die Wertschätzung für Frankreich, erstaunlicherweise wuchs aber die Sympathie für die EU (von 53 auf 60 Prozent).

Hier beginnen die Feinheiten der Studie.

Sie belegt nämlich, dass die außenpolitische Wahrnehmung in den USA differenziert ausfällt, besonders das Urteil über die Politik der Regierung Bush.

Amerikaner befürworten EU als Supermacht

77 Prozent der Amerikaner befürworten eine aktive Rolle der USA in der Weltpolitik, lediglich 15 Prozent wollen den Rückzug von der globalen Bühne. Und mehr noch: Eine Mehrheit der Amerikaner will die EU in einer Supermachtrolle sehen, wenn die bereit wäre, Kosten und Risiken voll zu teilen.

Die Europäer sind in der Supermachtfrage nicht so konsequent. Zwar befürwortet eine große Mehrheit die Entwicklung der EU zur Supermacht, allerdings bröckelt die Zustimmung auf 36 Prozent, wenn damit höhere Militärausgaben verbunden wären.

Bei den Deutschen fällt auf, dass sie wie sonst keine andere Nation der EU die größte Bedeutung beimessen - weit mehr als den USA. 81 Prozent (2002: 55 Prozent) halten die EU für unersetzlich - nur neun Prozent sind der Meinung, dass die USA für Deutschlands Interessen wichtiger sind als Brüssel.

Gleiche außenpolitische Sorgen

Die Studie folgert, dass sich die Verbündeten "entfremden und dennoch außenpolitische Interessen teilen können". Immerhin machen sich Amerikaner und Europäer gleichermaßen Sorgen über die Bedrohungen der Welt (Nordkorea, Iran, Massenvernichtungswaffen).

Und nebenbei würden die Amerikaner eine verantwortungsbereite EU begrüßen, ebenso wie sie ihre eigene Politik lieber abgestimmt mit anderen Nationen - und eingebunden in die Vereinten Nationen - betreiben würden.

Für alle Freunde einer populistischen Außenpolitik hält die Untersuchung die Erkenntnis parat, dass die Menschen dies- und jenseits des Atlantiks durchaus komplizierte außenpolitische Zusammanhänge nachvollziehen und eine plumpe Politik ablehnen.

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