Ulla Schmidt und die Gesundheitsreform:Nervenstark in der Kampfzone

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Ulla Schmidt hat keine Angst, sie kennt sich aus und kann gut tricksen, für den großen Wurf hat es trotzdem nicht gereicht - nun entscheidet das Parlament über "ihre" Gesundheitsreform.

Stefan Klein

Manchmal redet sie einen ziemlichen Blödsinn. Jetzt zum Beispiel sagt sie, und die Nasennebenhöhlen reden wie gewohnt mit: ,,Gesundheit interessiert mich immer. Ich bin mit Hingabe gesund. Schon als kleines Kind, wenn ich gefragt wurde, was möchtest du werden, habe ich gesagt: gesund, und jetzt bin ich sogar Ministerin dafür.'' Redet so die deutsche Gesundheitsministerin Ulla Schmidt? Es klingt so, man möchte schwören, dass es ihre Stimme ist - aber in Wahrheit ist es natürlich die des Kabarettisten Mathias Richling. Wir haben ihn angerufen, weil in so einer Geschichte natürlich auch die zu Wort kommen sollen, die Ulla Schmidt nicht zum Teufel wünschen. Mathias Richling tut das nicht, im Gegenteil, er weiß, was er an ihr hat - als Zielscheibe seines Spotts.

Alles, was es von ihr aus zur Reform zu sagen gibt, hat Ulla Schmidt immer parat. (Foto: Foto: dpa)

Bei denen, die sie ernst nehmen, ist es anders. Im Gesundheitsministerium wissen sie das, und deshalb gelten bei öffentlichen Veranstaltungen mit der Ministerin seltsame Regeln - so wie auch an diesem Abend im Berliner Krankenhaus Charité. Der Hörsaal ist gut gefüllt, aber der Moderator ist ein energischer Mann, der gleich mal erklärt, was unter diesem ,,Diskussionsabend'' mit der Ministerin zu verstehen ist. Fragen, sagt er, seien schriftlich zu formulieren und abzugeben.

Sie würden dann verlesen und von der Ministerin beantwortet. Ulla Schmidt hat unterdessen auf dem Podium Platz genommen, eingerahmt von fünf Berliner SPD-Abgeordneten, Klaus Uwe Benneter ganz links, Ditmar Staffelt rechts. Dann steht sie wieder auf und geht zum Rednerpult.

Prügel und noch mal Prügel

Thema ist, na was wohl, die Gesundheitsreform, jenes umfangreiche Werk, das an diesem Freitag vom Bundestag verabschiedet werden soll. Ulla Schmidt redet und redet. Das Thema ist kompliziert, ihre Sätze sind lang, und bald ist es, als wäre der Saal in Trance versunken, weggedämmert unter der Wucht des Wortschwalls, der sich ungebremst vom Podium herunter in den Saal ergießt: Risikostrukturausgleichrabattverhandlung-altersrückstellungenkostennutzen- bewertunginsolvenzfähigkeit- rheumasalbenbeitragssatzstabilitätinkassoverfahren- einzelfallentscheidungbestandsversicherte und so weiter und so weiter.

Der Abgeordnete Staffelt ist noch am wachsten. Er gähnt und zerrt an seiner Krawatte. Benneter auf der anderen Seite wirkt weit weg, aber er hat vorsorglich seinen Kopf auf gelegentliches nachdenkliches Nicken programmiert.

Die Ministerin redet weiter. Sie redet frei. Alles, was es von ihr aus zur Reform zu sagen gibt, hat sie parat, alle Versatzstücke, und die schraubt sie routiniert zu einer Rede zusammen, die sie wahrscheinlich auch im Schlaf halten könnte. Einmal sagt sie, nach der Gesundheitsreform ist vor der Gesundheitsreform, und da sieht man das Gesicht des Abgeordneten Staffelt, das heißt, man sieht es nur halb, weil er es mit seiner Hand bedeckt hält, aber was noch rausguckt, scheint zu sagen: O Graus!

Als die eigentliche Diskussion beginnt, ist keine Gefahr mehr. Ulla Schmidts rhetorischer Präventivschlag hat gewirkt, die Leute schreiben ihre Fragen brav auf Zettel, und die Ministerin antwortet charmant und kenntnisreich. Nur einer regt sich auf und schreit ,,Wortklauberei'', aber da geht sofort der energische Moderator dazwischen und sagt, er solle das bitte schriftlich vorbringen.

Nur wenige Ämter in der Bundesregierung sind so undankbar wie das des Gesundheitsministers. In der Kampfzone zwischen Ärzten, Apothekern, Krankenkassen und Pharmaindustrie, noch dazu in Zeiten steigender Kosten und zunehmender Vergreisung der Gesellschaft, sind kaum je Meriten zu gewinnen. Was man sich da holt als zuständige Ministerin, sind Prügel, Prügel und noch mal Prügel. Und Frust. Und Verdruss.

Ulla Schmidt sagt, sie müsse wohl etwas Furchtbares angestellt haben in ihrem vorherigen Leben, sonst wäre sie nicht in diesem Amt. Das freilich ist ein kleines bisschen kokett, denn wo so viele Feinde sind, ist immer auch ein bisschen Ehre - und sei es, dass der Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er noch Bundeskanzler war, in seiner Parteitagsrede plötzlich innehält, einen feierlichen Ton anschlägt und seiner Gesundheitsministerin unter dem prasselnden Beifall der Delegierten ausdrücklich für die geleistete Arbeit dankt.

Das war ein nettes, kleines Highlight im Berufsleben einer Frau, die von sich sagt, sie sei schon von ihrem ,,Grundkostüm'' her ,,nicht so empfindlich'', und wo noch Reste dünner Haut waren, sind vermutlich Schwielen gewachsen in ihrer Zeit als Lehrerin von Schwererziehbaren. Sie lernte da, dass man sich ,,vom Kleinsten nicht umpusten lassen darf''.

Die schwer erziehbaren Ärzte und Apotheker waren allerdings noch mal eine andere Nummer. Da galt es dann, die Rüstung anzulegen und gleichzeitig so zu tun, als sei es das Kostüm der stets gut gelaunten rheinischen Frohnatur. In Wirklichkeit, sagen jene, die sie gut kennen, sei Ulla Schmidt eine ehrgeizige Kämpferin, und sie hat in der Tat alles, was es dazu braucht. Sie selbst bestätigt es gerne. Zähigkeit? ,,Ja.'' Dickes Fell? ,,Auch.'' Gute Nerven? ,,Auch.'' Nehmerqualitäten? ,,Auch.''

Ulla Schmidt kann eine ganze Nacht durch verhandeln und trotzdem am nächsten Morgen aussehen, als käme sie von einer Frischzellenkur. Sie gehört zu jener seltenen Spezies von Politikern, die nicht zynisch sind, nicht ausgebrannt und noch so etwas wie Ideale haben. Wer sich mit ihr anlegt, muss wissen, dass sie ihr Fach beherrscht, intelligent ist und raffiniert, dass sie keine Angst hat, und dass sie erprobt ist im Nahkampf und im Tricksen.

So hat sie sich mehr als sechs Jahre im Ministerium und in drei verschiedenen Regierungen gehalten. Nicht mehr lange, und die Genossin Schmidt wird die am längsten amtierende deutsche Gesundheitsministerin sein. Ein Wunder an Durchhaltevermögen, und ist nicht auch die gegen alle Widerstände erkämpfte Gesundheitsreform ein Beispiel dafür? Oder stimmt es, was sie auf dem linken Flügel der Partei raunen - nämlich, dass sich Ulla Schmidt mit dieser Reform womöglich totsiegen wird?

Bei den Wassermännern

In München tagt der Verband deutscher Mineralbrunnen. Das sind Menschen, die Wasser unters Volk bringen, prima gesundes Mineralwasser, und da lag es natürlich nahe, die im selben Geiste wirkende Ministerin Ulla Schmidt einzuladen. Als fröhlich und immer bester Laune wird sie vorgestellt, und die Fröhliche bedankt sich für den netten Empfang, indem sie unverzüglich die Bremse löst und ihrem Thema freien Lauf lässt: Gesundheitsdienstemuskelskelettsystem-apothekensterbeneinnahme- schwächekostendämpfungen.

Sie ist super in Form. Sie will entschlacken, will neue Wege gehen, will innere Schweinehunde überwinden, und dass Gesundheit das Wichtigste ist im Leben, und ein gutes Gesundheitssystem nicht aus der Portokasse zu bezahlen ist, sagt sie auch. Sie sagt es in ihrem unverwechselbaren Idiom, bei dem Hals-, Nasen- und Ohrenärzte schon mal wissend lächeln. ,,Geschlossenes Näseln'' lautet der medizinische Fachausdruck dafür. Aber das stört die Mineralwasservertreter nicht.

Die sind glücklich, als die Ministerin am Ende ihrer Rede auch noch auf die Bedeutung des Wassers für die Gesundheit zu sprechen kommt. Da gluckert es aus den reichlich bereitgestellten Wasserflaschen, und auch Ulla Schmidt genehmigt sich ein paar Schlucke.

Einmal keine Feindseligkeit, Fragen dürfen sogar mündlich gestellt werden, aber was heißt schon Fragen, gut sei es, sagt einer, dass das Ministerium mit der Kampagne ,,Jeden Tag 3000 Schritte extra'' die Leute ans Gehen bringe, ,,denn wo viel gegangen wird, wird auch viel getrunken''. Da lachen sie, und eine lächelt, es ist schön bei den Wassermännern, und vielleicht bekommt Ulla Schmidt in solchen Augenblicken die Gesundheitsreform ja vielleicht mal kurz aus dem Kopf. Können Sie das Wort überhaupt noch hören, Frau Schmidt? ,,Ja klar'', sagt sie, aber das Gesicht sagt etwas anderes.

Sie weiß ja selber, dass die Reform nicht der große Wurf ist, und sie weiß vermutlich auch, dass ihre Kritiker in der SPD so unrecht nicht haben. Deren Unmut hat sich daran entzündet, dass 2009 die Einführung des Gesundheitsfonds aller Voraussicht nach mit beträchtlichen Beitragserhöhungen einhergehen und damit wieder mal die Einkommensschwachen treffen wird.

Hinzu kommen noch Zusatzbeiträge, die dann fällig werden, wenn die Kassen mit dem Geld, das sie aus dem Fonds beziehen, nicht auskommen. Dieser Zusatzbeitrag darf zunächst nicht mehr als ein Prozent vom Einkommen des Versicherten überschreiten. Das ist der sogenannte Deckel, aber die SPD-Abgeordnete Andrea Nahles hat in der Fraktion bereits die rhetorische Frage gestellt, was passiert, wenn der Topf überkocht, also der Finanzdruck für die Kassen zu groß wird. Die Antwort ist klar: Der Deckel fliegt weg, und bei dem einen Prozent wird es nicht bleiben. Oder aber die Krankenkassen nehmen den Druck raus, indem sie ihre Leistungen einschränken. Leidtragender ist in jedem Fall der Versicherte.

Was die Sache den SPD-Linken zusätzlich so gallig macht, ist die symbolische Bedeutung, denn der Zusatzbeitrag ist in Wahrheit eine Kopfprämie - also im Prinzip ziemlich genau das, was die CDU von Anfang an wollte. Eine CDU-Reform habe Ulla Schmidt gemacht, sagen denn auch ihre Gegner und prophezeien schwere Zeiten.

2009, wenn der Fonds kommt, ist ja auch Wahljahr, und schon jetzt fragen sich manche Abgeordnete, wie sie eine Reform verteidigen sollen, die nach der Agendapolitik des Altkanzlers Schröder erneut zu untergraben droht, was mal in längst vergangenen Zeiten der Existenzzweck der Sozialdemokraten war - die soziale Gerechtigkeit. ,,Massiv büßen'' werde die Partei für diese Reform, glaubt Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, und der Reformgegner und ehemalige SPD-Abgeordnete Klaus Kirschner, der lange Jahre der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion war, sagt seiner Partei ein neues, ,,riesiges Glaubwürdigkeitsproblem'' voraus.

Gemach, sagen sie indessen im Zentrum der Partei, wo die konservativen Seeheimer das Sagen haben. Auf ihre Ulla lassen die nichts kommen, und die Reform, na ja, am schlimmsten wäre doch gewesen, wenn man gar nichts hinbekommen hätte. Und wie, bitteschön, will man die Reform den Leuten schmackhaft machen?

Verzweifelt schönen

Da verweist ein prominenter Seeheimer darauf, dass künftig jeder im Land gegen das Risiko Krankheit versichert sein werde, und diese Versicherungspflicht sei doch ,,ein echter Systemwechsel''. Ulla Schmidt sagt das auch. Sie nennt es Paradigmenwechsel und eine große sozialpolitische Errungenschaft. Kaum eine Rede, in der sie das nicht eigens erwähnt. So groß freilich wird die Errungenschaft nicht sein, schon jetzt sind mehr als 99 Prozent der Bürger krankenversichert. Schmidt versuche verzweifelt zu schönen, sagt ein SPD-Linker, was in Wahrheit eine Niederlage sei.

Vielleicht ist die Reform sogar der Anfang von ihrem politischen Ende. Mag sein, dass sich die Verabschiedung im Bundestag an diesem Freitag für Ulla Schmidt noch einmal wie ein Triumph anfühlen wird, doch schon jetzt werden in der Partei Überlegungen angestellt, ob sich das Reformwerk rechtzeitig vor der nächsten Wahl nicht vielleicht doch noch unschädlich machen lässt.

Im Mittelpunkt dieser Gedankenspiele steht das Kernstück der Reform, der Gesundheitsfonds, den manche in der Partei über das Wahljahr hinausschieben - am liebsten sogar ganz kassieren möchten. Die Reform wäre damit geschreddert, und Ulla Schmidt bliebe nur mehr der Rückzug. Aber Vorsicht: Abgeschrieben wurde die Ministerin schon öfter, und am Ende hat sie dann doch immer wieder überlebt. Sie weiß, wie man sich nicht umpusten lässt.

Nur kleine Störungsstellen

Dr. med. Weizhong Sun ist Spezialist für chinesische Medizin in der Rehaklinik Johannesbad in Bad Füssing. Er hat sich hinter die prominente Besucherin gestellt, die in einem Stuhl sitzt, den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen hat. Dr. Sun befühlt ihren Nacken. ,,Hier ist eine Störungsstelle'', ruft er und tastet weiter. ,,Noch eine'' findet er, ,,noch eine'' und schließlich: ,,Noch eine.''

Lauter Störungsstellen, und wenn dies jetzt das richtige Klinikleben wäre, dann würde Dr. Sun gewiss allerlei chinesische Anwendungen verschreiben zur Linderung dessen, was er diagnostiziert hat: Muskelverspannung und Energiestau. Doch die Dame in seinen Händen hat sich nur mal eben für eine kleine Demonstration fernöstlicher Behandlungskunst einspannen lassen. Für eine Therapie wäre in ihrem Terminkalender kaum Zeit zu finden und schon gar nicht an diesem Tag, an dem sie mit einem Vortrag hier im Johannesbad die ,,Bad Füssinger Gespräche'' eröffnen soll.

Eine Stunde später ist von einem Energiestau bei Ulla Schmidt nichts mehr zu spüren: Pflichtleistungskataloghausarzttarif-honorarordnungbonussysteme- sachleistungsprinzipmengenausweitungen, aus dem Stand heraus kommt die Schmidt'sche Lawine ins Rollen, und im zehnten Stock der Klinik ducken sich die geladenen Gäste. Zumindest wirkt es so. Kurz davor, im Gespräch mit der SZ, hatte die Ministerin gesagt, sie würde statt mit den nach Macht, Geld und Einfluss gierenden Lobbygruppen ,,gerne mal eine Diskussion führen, die vom Patienten ausgeht''.

Sie bedauere es, dass ausgerechnet die Patienten, die eigentlichen Hauptpersonen in der großen Gesundheitsdebatte, am wenigsten zu Wort kämen. In der Tat, nur wie sollte eine solche Diskussion wohl verlaufen, solange die Ministerin statt Deutsch immer nur ihr Fachchinesisch spricht?

Eine halbe Stunde redet Ulla Schmidt in Bad Füssing. Sie sagt, sie sei froh, dass nach der langen Diskussion über die Reform jetzt endlich im Bundestag abgestimmt werde. Dann dürfen Fragen gestellt werden, diesmal wieder schriftlich. Anregend solle die Diskussion sein, aber auch fair, sagt Johannes Zwick, der Aufsichtsratsvorsitzende der Klinik, aber die Mahnung ist gar nicht nötig. Harmlos sind die Fragen und souverän die Antworten der Frau mit dem Herrschaftswissen, jedenfalls soweit man sie versteht. Unter den Zuhörern sitzt auch Dr. Sun. Wahrscheinlich wundert er sich, dass die vielen Störungsstellen der deutschen Gesundheitsministerin so gar nichts auszumachen scheinen.

© SZ vom 2.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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