Ukraine:Donezk im Rücken

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In Janukowitschs Heimatregion trommeln die Oligarchen für dessen Präsidentschaft - weil sie sich Vorteile erhoffen.

Von Thomas Urban

"Donbass, erhebe dich, auf zum tödlichen Kampf!", rief der Redner auf dem "Kongress der Deputierten aller Ebenen" in Sewerodonezk unweit der Millionenstadt Donezk, der größten Stadt des Donez-Beckens, auf Russisch Donbass genannt.

Aus Donezk stammt der ukrainische Premier Viktor Janukowitsch, der hier nach der Präsidentenwahl vom 21. November schon als neues Staatsoberhaupt gefeiert wurde.

3600 Vertreter von Parteien, Behörden und Konzernen aus der russischsprachigen Ostukraine waren im Sonntagsstaat zusammengekommen, um den im hellblauen Pullover auf der Tribüne sitzenden Janukowitsch zu feiern. Es ertönte eine Kampfrede nach der anderen, da war von "Spionen der OSZE" die Rede - gemeint waren die Wahlbeobachter - und vom Unglück des Zerfalls der UdSSR.

Die gute, alte Sowjet-Zeit

Doch zur Enttäuschung des Saales schlug Janukowitsch keine kämpferischen Töne an. Im Gegenteil: Er rief zur Besonnenheit auf und warnte vor "radikalen Schritten. Das Land stehe "einen Schritt vor dem Abgrund", alles müsse auf "friedlichem Wege" geschehen.

"Wenn es Blutvergießen gibt, werden uns unsere Kinder dies nie verzeihen", rief er. Der Kosaken-Anführer, der zuvor seine Bereitschaft erklärt hatte, "Tausende freiwillige Krieger" bis in die "aufsässige Westukraine" zu führen, schien seinen Ohren nicht zu trauen. Wie er forderten die meisten Redner "energische Gegenmaßnahmen gegen die Verfassungsbrecher" in Kiew.

"Das wird sich das Donbass nicht bieten lassen, dass unser gewählter Präsident so betrogen wird!" schallte es ein ums andere Mal in die Halle. Bürgerwehren sollten aufgestellt werden, Zehntausende nach Kiew marschieren, um Janukowitsch den Weg in den Präsidentenpalast freizukämpfen. Mehrere Redner erklärten, dass in Kiew agierende westliche Agenten das Land in den Abgrund stürzen wollten.

Es war wie zur guten alten Sowjetzeit, die im Donbass längst nicht vergangen ist, wie die vielen Lenindenkmäler zeigen - nur dass die Parteiherrschaft ersetzt wurde durch die Herrschaft des Industriellenclans. Der hat sich in den Neunzigerjahren gebildet, nach blutigen Verteilungskämpfen.

Seitdem beherrscht der Clan die Wirtschaft in der Region, bestimmt über die Besetzung politischer Ämter, kontrolliert Behörden inklusive Geheimpolizei, die Medien und ist wohl auch mit der lokalen Mafia verquickt. Er finanziert den Fußballklub Schachtjor Donezk, der sich brasilianische Spieler und ausländische Trainer leisten kann, darunter zwischenzeitlich den Deutschen Bernd Schuster.

Auch halten die Oligarchen sich den lokalen Klerus der russisch-orthodoxen Kirche durch Spenden gewogen. Bei dem Kongress segnete ein Metropolit den Premier als "neues Staatsoberhaupt". Das von Moskau abgespaltene Kiewer Patriarchat hat im Donbass nichts zu bestellen.

Auch wurden russische Gastredner stürmisch begrüßt, darunter der Moskauer Oberbürgermeister Jurij Luschkow, ein großrussischer Nationalist, der sich als Schirmherr der "Russen außerhalb von Mütterchen Russland" anpreist.

Politische Opposition gibt es im Donbass nicht, an Bürgerinitiativen etwa gegen die Verschmutzung von Luft und Gewässern durch die Schwerindustrie ist nicht zu denken. Vereinzelt aufflackernde Proteste gegen gefährliche Arbeitsbedingungen in Stahlhütten und Kraftwerken werden rasch unterdrückt.

Da die Stahl- und Bergwerke gleichzeitig ihre Arbeiter vom Kindergarten bis zur Rente umsorgen, konnten sie deren Mehrheit bislang ruhig halten.

System der der "entwickelten Demokratie"

Das Donezker System wurde auf dem Kongress als "entwickelte Demokratie" gelobt. Die Delegierten beschlossen, nicht mit den "Extremisten und Faschisten von Kiew" zusammenzuarbeiten. Damit ist die Opposition um Viktor Juschtschenko gemeint. Dieser hat, als er 2000/01 Premier war, versucht, die Oligarchenmonopole zu zerschlagen - und scheiterte.

Donezk ging in die Gegenoffensive, Janukowitsch wurde vor zwei Jahren Premier und begann, Budgetmittel in seine Heimat zu lenken, während die Westukraine weiter verarmte.

Fröhlichkeit wollte sich in der Halle dennoch nicht einstellen. Eher herrschte eine trotzige Stimmung. Zweifellos befanden sich unter den Delegierten viele der Verantwortlichen für die Wahlfälschungen, die indes hartnäckig bestritten werden. "Das Donbass arbeitet für die ganze Ukraine und wird dafür noch beleidigt", rief ein Redner.

Andere forderten, eine Wiederholung der Wahl zu boykottieren, denn gefälscht hätten nur die Juschtschenko-Leute. Stattdessen solle ein Referendum über eine Autonomie der Ostukraine anberaumt werden. Am Schluss standen alle auf und riefen: "Janukowitsch - unser Präsident!"

Der stand auch auf und beklatschte nach guter alter Sitte sich selbst. Das Signal nach Kiew: Mit mir ist weiter zu rechnen, ich habe das Donbass hinter mir!

© SZ vom 30.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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