TV-Duell:Scheppern in der Käseglocke

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Parteien, Medien und die Matadore selbst haben das Duell zwischen Merkel und Schröder als Supermaximalevent inszeniert - und heraus kam, was herauskommen konnte. Beobachtungen aus der Meinungsproduktionsfabrik von Kurt Kister

Berlin, 5. September - Es ist kurz vor eins am Montag, und der Letzte, der noch ausharrt im Studio G zu Adlershof, ist Michael Glos. Dies an und für sich ist nicht überraschend, denn der Müllermeister Glos, Landesgruppenvorsitzender der CSU, ist oft der Letzte, was jetzt nur zeitlich und nicht etwa menschlich gemeint ist.

90 Minuten erlebte man Merkel und Schröder, wie man sie immer erlebt, wenn man sie häufiger erlebt. (Foto: Foto: dpa)

Er sitzt in einer kleinen Runde von Journalisten, darunter ein außerordentlich reformbegeisterter Chefredakteur aus Essen, der sich gerade darüber beklagt, dass die Politik viel zu lange nur "an kleinen Stellschrauben gedreht" habe.

Unter der Hydraulikschraube

Glos, aus der zivilberuflichen Karriere vertraut mit großen Maschinen, legt seinen mit elegant gefärbtem Dunkelhaar bedeckten Kopf nach hinten und sagt: "Bevor ich den Hydraulikschraubenzieher ansetze, muss ich wissen, ob das Gestänge den Druck aushält."

Da hat er Recht, der fränkische Mechanikphilosoph Glos. Und gleichzeitig beschreibt sein Satz, worum es eigentlich ging an diesem Abend, der von Parteien und Medien zum Supermaximalevent des Wahlkampfs emporgejazzt worden war. Angela Merkel versuchte über 90 Minuten lang glaubwürdig darzustellen, warum, und manchmal auch wie sie den Hydraulikschraubenzieher ansetzen will, während Gerhard Schröder das von ihm zusammengebaute Gestänge verteidigte. Man erlebte beide, wie man sie immer erlebt, wenn man sie häufiger erlebt.

"A richtig arroganter Kerle"

Der Kanzler: Freund und manchmal Beherrscher der Kameras, stets auf seiner kleinen Ich-bin-der-Amtsinhaber-Wolke schwebend, die es ihm ermöglicht, auf alle, und ganz besonders auf Frau Merkel, milde hinabzublicken.

Einmal, als er von einem G-7-Gipfel sprach, wandte er sich leicht seiner Konkurrentin zu und erklärte, zwischen imaginäre Kommas gestellt: "...das sind die sieben wirtschaftsstärksten Staaten...". Merkel weiß das natürlich auch, aber Schröder ist eben ein Meister der ironischen, im Gewande der Volkspädagogik daher kommenden Erniedrigung ihm unliebsamer Gesprächspartner.

Bei einer der herablächelnden Erwiderungen Schröders entfuhr dem schwäbischen CDU-Generalsekretär Volker Kauder, der die Debatte an einem Stehtisch im Pressestudio verfolgte: "Isch a richtig arroganter Kerle, wie er da steht.

Außerdem ist Schröder deutlich schneller, zumal witziger in der Debatte als Merkel. Ein Beispiel: Bei der Verteidigung ihrer Einkommenssteuersenkungspläne sprach Merkel von den "Leistungsträgern, die im Ausland versteuern". Schröder hakte sofort ein und sagte: "Die Leistungsträger sind für mich die Facharbeiter."

"Tjäää", Inneminister Otto Schily, hier neben Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier, ist fassungslos über Merkels Sprache. (Foto: Foto: dpa)

Es war ein doppelter Punkt für den Kanzler. Erstens teilte er implizit mit, dass dieses Land nicht auf den Schultern der Großverdiener ruht. Zweitens schmeichelte er jener Klientel, die lange die Stammwählerschaft der SPD war. Wenn am Ende der Debatte knapp die Hälfte der Zuschauer sagte, Schröder habe "gewonnen", dann wohl auch, weil er mit solchen Sätzen und dem Blick seiner "frisch gefärbten blauen Augen" (Michael Glos) auf die dafür Empfänglichen sympathisch wirkte - jenseits seiner mehr oder weniger gefühlten Kompetenz.

Zweifel an Merkel

Die Bewohner des Schröder-Lagers hoben nach der Debatte besonders darauf ab, dass ihr Matador gerade bei jenen, die sich in den Umfragen bezüglich ihrer Wahlentscheidung noch unentschlossen zeigen, signifikant gegenüber Merkel gewonnen habe.

Wenn man annimmt, dass die jetzt immer noch Unentschlossenen sich in ihrer Mehrheit nicht sehr für politische Inhalte interessieren, sondern eher nach Sympathie für einzelne Politiker entscheiden, dann erklärt das auch zum Teil, warum Schröder dieses Duell "gewonnen" hat.

Dagegen die Kandidatin: Sie ist einerseits in der glücklichen Lage, dass auch zwei Wochen vor der Wahl eine deutliche Mehrheit der Deutschen gegen die Fortsetzung der rot-grünen Regierung ist. Andererseits gibt es weit verbreitete Zweifel daran, ob Angela Merkel die Richtige ist, um in Zukunft die andere Regierung zu führen. (Wäre das nicht so, läge Schröder nicht konstant in der Frage, wen man lieber als Bundeskanzler haben wolle, vor Merkel.)

Die Weichen "aufwärts gestellt"

Insofern war der so genannte "direkte Vergleich" mit Schröder, das Duell also, für Merkel fast wichtiger als für Schröder. Was dabei heraus kam, entsprach dem, was herauskommen konnte. Merkel bot ihrem Kontrahenten wacker Paroli, wie sie das auch im Bundestag meistens tut. Sie brach nicht ein, was im Bundestag gelegentlich geschah, zuletzt in der Debatte zur Vertrauensfrage Anfang Juli.

Man ist von ihr gewohnt, dass sie sich ab und an in der deutschen Sprache verirrt, zum Beispiel wenn sie am Sonntag verkündete, die Weichen würden nun "aufwärts gestellt". Ein Zug möchte man unter der Weichenstellerin Merkel nicht sein, wenn die Gleise plötzlich nach oben führen. Otto Schily, auch er in den Duell-Beobachtungssaal geschickt, griff sich bei diesem Satz an die Cäsarenstirn und sagte: "Nach oben. Die Weichen nach oben. Tjäää."

Andererseits erregt so etwas eigentlich nur bei den Profis Spott. Die Menschen treffen ihre Wahlentscheidung nicht, weil jemand schiefe Sprachbilder benutzt, sondern weil sie ihm - oder ihr - zutrauen, dass die Arbeitslosigkeit geringer wird.

Und gerade beim Thema Arbeitsmarkt lagen die Vorteile eindeutig auf der Seite Merkels. Über kein anderes Sujet wurde so lange geredet, und bis heute wiegt Schröders alter Satz schwer, dass er es nicht verdient habe, wieder gewählt zu werden, wenn unter seiner Regierung die Arbeitslosigkeit nicht deutlich verringert werde.

"Auf Augenhöhe"

Ähnlich steht es mit dem Haushalt, der in einem desaströsen Zustand ist, was Merkel in der Debatte ebenfalls zugute kam. Bei diesen harten Themen war Merkel nicht nur, wie ihre Claqueure hinterher jubilierten, "auf Augenhöhe" mit Schröder, sondern machte den Eindruck, sie sei ein Mensch, der darauf brenne, diese Schwierigkeiten anzugehen.

Der Eindruck übrigens ist das Entscheidende, was von so einem Abend bleibt. Wer kann es besser, wer hat häufiger Recht, wer ist sympathischer? Und dieser Eindruck bei jedem Einzelnen der mehr als 20 Millionen Zuschauer entsteht nicht nur, weil die konzentriert über 90 Minuten lang den Duellanten zuhören würden. Nein, dazwischen geschaltet sind die Eindrucksmanager: Die Moderatoren im Studio und die Stante-pede-Analytiker sowie die Ein-Tag-nach-dem-Duell-alles-noch-einmal-Erklärer.

Eine Frage an Frau Kirchhof

So wie es bei den Duellanten kaum eine Überraschung gab, gab es die auch bei den Moderatoren nicht. Irgendwie machten die vier aus dem "Moderatoren-Woodstock" (Maybrit Illner) das Beste, blieben aber natürlich das, was sie sind. Sabine Christiansen schwebte hin und wieder auf ihrer ganz privaten Wolke, manchmal über den Dingen, in jedem Fall aber über ihren Kollegen.

Maybrit Illner war, wie immer, der charmante Profi und harmonierte deutlich besser mit ihrem Ko-Moderator Peter Kloeppel, als dies beim Duo Christiansen und Thomas Kausch der Fall war. Kloeppel schaffte es mehrmals, den Kanzler aus seiner lächelnden Hoheitsposition zu schubsen, am deutlichsten, als er nach der Schröder-Gattin Doris und deren Interview-Angriff auf Merkel fragte.

Kausch wiederum brachte sich wacker ein, wird aber wohl in erster Linie deswegen in Erinnerung bleiben, weil er Merkel als "Frau Kirchhof" ansprach, was, wäre es Absicht gewesen, lustig wäre.

Nein, man braucht keine vier Moderatoren für so eine Diskussion. Am Sonntag hätten, ganz subjektiv geurteilt, Illner und Kloeppel gereicht. Merkel und Schröder debattierten ab und an wirklich miteinander, ganz ohne Zutun der Moderatoren, und manchmal behinderte der eine oder die andere das Zwiegespräch sogar, weil es einen quatrolateral abgestimmten Themenkatalog sowie ein Zeitschema für die Mitlaberung jedes einzelnen Moderatoren zu beachten galt.

Kandidatin Christiansen

Leider war das Ding für die Sender von Anfang an ungefähr so etwas wie die Anerkennung von Zypern für die Türkei, also eine scheußliche Prestigeangelegenheit. Das sieht man auch an den Anzeigen, welche die ARD im Vorfeld des Duells geschaltet hat. Da erblickte man die Köpfe Merkels und Schröders im leichten Hintergrund, und im Vordergrund war das Gesicht von Sabine Christiansen. Wer steht gleich wieder zur Wahl?

Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, der das Duell weitgehend emotionslos beobachtete, meinte: "Der Hype vor dieser Veranstaltung war grauenhaft. Das war wohl das letzte Mal, dass wir so was in dieser Form erlebt haben." Wer sich nolens oder volens diesem Hype ausgesetzt oder ihn gar mitbetrieben hat, kann nur hoffen, dass Steinmeier Recht behält.

Ähnliches gilt eigentlich auch für die andere Ebene der Eindrucksmanager. In einem Studio vis-à-vis vom eigentlichen Ort des inszenierten Geschehens wurde mit großem Aufwand Beobachtung inszeniert. Ein paar hundert Journalisten sowie je knapp drei Dutzend Unterstützer von Union und SPD schauten sich auf Großbildwänden die Debatte an.

Die meisten waren langjährige Mitglieder der politischen Klasse, und etliche trugen auch noch, zwar nicht sichtbar, aber in den Kommentaren hörbar, das goldene Nahkampfabzeichen aus Bonner Zeiten. Diese Leute nehmen "Politik", zumal ein solches Duell, anders wahr als die riesige Menge der, wie es in Bonn immer hieß, "Menschen draußen im Lande".

In Berlin hat man manchmal den Eindruck, dass jene "Beobachter" am höchsten geschätzt werden, die mit größter Entschiedenheit die absonderlichsten Dinge vertreten, und diese vor allem in weniger als 45 Sekunden vor der Kamera sagen können. Wer also in diesem Sinne bedeutend sein wollte, der warf schon drei Minuten nach dem Duell mit Begriffen wie "glänzend", "brillant" oder "überraschend" um sich, obwohl in den gerade verrauschten 90 Minuten wahrlich auf keiner Seite Handlungen zu beobachten oder Sätze zu hören waren, die eines Superlativs wert gewesen wären.

Komprimierte Käseglocke

Getrieben vom Fernsehen, gehört zum journalistischen Handwerk aber gerade bei solchen Events nicht mehr nur das Klappern, sondern das Scheppern. Wer am lautesten scheppert, wird am häufigsten befragt, wodurch auch zu erklären ist, warum im Beobachter-Saal so viele glaubten, dass Merkel "gewonnen" habe, wohingegen die Mehrheit normaler Menschen das etwas anders sah.

Die politische Klasse nebst Trittbrettfahrern lebt in Berlin normalerweise unter einer ziemlich großen Käseglocke, die sich über das Viertel zwischen Kanzleramt und Gendarmenmarkt spannt. Am Sonntagabend war es gelungen, diese Käseglocke zu komprimieren, und zwar auf die Größe jenes Saals, in dem Politiker, Hilfswillige und Journalisten das Duell beobachteten. Etliche Bewohner der Käseglocke, denen der Weg an den Stadtrand Berlins zu weit war, veranstalteten zudem Duell-Schau-Partys im Zentrum.

Das waren dann so etwas wie Zulieferbetriebe der kurzfristig nach Adlershof entwichenen Meinungsproduktionsfabrik. Diese Fabrik hat eine Aufgabe: Je mehr die Erinnerung an das, was er eigentlich im Fernsehen gesehen hat, bei jedem Zuschauer verblasst, desto bedeutender wird, was die Fabrik an scheppernden Eindrücken produziert. Auch das nennt man heute Wahlkampf.

© SZ vom 6.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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