TV-Duell:"Kann ich dich Joe nennen?"

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Die Republikaner können aufatmen: Beim TV-Duell der Vizepräsidentschaftskandidaten bleibt Palins befürchtete Blamage aus. Trotzdem heißt der Sieger Biden: Er strotzt vor Fakten und Detailwissen.

Moritz Koch, New York

Ein Handkuss für die Menge, ein Handschlag für Joe Biden. Sarah Palin schreitet mit einen fast schüchternen Lächeln auf die Bühne: "Schön dich zu treffen", sagt sie. "Hey, kann ich dich Joe nennen?" Biden bejaht und gibt selbst den distanzierten Gentleman: "Frau Gouverneurin, es ist ein Vergnügen, Sie kennenzulernen."

Ein schüchterner Händedruck: Joe Biden und Sarah Palin verabschieden sich nach dem TV-Duell höflich. (Foto: Foto: Reuters)

Für ein paar Wochen war Palin die Wunderwaffe der Republikaner. Unverwundbar und angrifflustig, zugleich volksnah und charmant. Mal Pitbull oder Barrakuda, mal Powerfrau und Supermutter. Sarah Palin, die Politexotin aus dem hohen Norden, begeisterte die rechte Basis und hauchte der kraftlosen Präsidentschaftskampagne von John McCain Leben ein.

In Umfragen preschten McCain und Palin an Barack Obama und Biden vorbei. Die Demokraten reagierten nervös und fanden keine Strategie gegen den Palin-Hype. Doch dann demontierte sich die Wunderwaffe selbst.

In einem Interview mit der CBS-Moderatorin Katie Couric stammelte sich die Gouverneurin von Alaska um Kopf und Kragen. Kaum ein Palin-Satz ergab Sinn, kaum eine Couric-Frage fand eine Antwort. Der selbsternannte Pittbull machte sich zur Witzfigur. Konservative Kritiker legten Palin gar den Rücktritt nah.

Amerika war irritiert

Damit stand schon vor der gestrigen Debatte fest: Die Demokraten brauchen sie nicht mehr zu fürchten. Die Ahnungslosigkeit, die Palin in den CBS-Interview offenbarte, irritierte Amerika. Umfragen zeigten, dass eine Mehrheit der Wähler sie für nicht ausreichend qualifiziert hält.

Vor der Debatte waren die Erwartungen an Palin also fast auf null gesunken. David Brooks, Kolumnist der New York Times, sprach aus, was viel dachten: "Normalerweise treten zwei Profis gegen einander an." Das könne man dieses Mal nur von Biden behaupten. Die Kriterien für Palins Abscheiden umriss er wie folgt: Kann sie in Absätzen sprechen? Und schafft sie es, sie selbst zu sein?

Seite 2: Joe Biden strotzt vor Fakten und Sarah Palin wettert wie McCain - und wirkt dabei wie eine Werbefee.

An diesen Maßstäben gemessen liefert Palin am gestrigen Abend eine sensationelle Leistung ab. Sie bleibt konzentriert, natürlich, manchmal sogar lustig. Sie spricht von Mainstreet-Amerika, von Joe Sixpack und den Soccermons - und klingt dabei auch wie eine. Palin wirkt authentisch, macht nach ihren Blamagen Boden gut und beweist so: Man kann ohne Sieg gewinnen.

Legt man die Maßstäbe an, die normalerweise in Fernsehdebatten gelten, ist Palin dem erfahrenen Biden freilich deutlich unterlegen. Selbst auf Nachfragen weicht sie aus, flüchtet sich in Allgemeinplätze oder gleich bis nach Alaska, um eine Anekdote aus ihrer Amtszeit zu erzählen.

Wenn sie mit aufgerissenen Augen in die Kamera blickt und McCain als Einzelkämpfer gegen Gier und Korruption in Washington anpreist, wirkt sie wie eine Werbefee. Und wenn sie für Reformen trommelt, die wichtig seien, "damit wir etwas erreichen", lässt sie erahnen, wie seicht ihr Wissen ist.

Biden dagegen strotzt vor Fakten. Der erfahrene Senator aus Delaware scheut sich nicht vor Details und weist seiner Kontrahentin Fehler nach. Nur manchmal geht er zu weit und erschlägt die Fernsehzuschauer mit Zahlen über die Vorzüge demokratischer Steuernachlässe und die Nachteile republikanischer Erdöl-Subventionen. Auch wirkt er gelegentlich bemüht, wenn er seine einfache Herkunft beschwört und sich wie Palin als einfacher Bürger zu vermarkten sucht.

Streitpunkt Öl

Inhaltlich offenbart die Debatte die großen Differenzen zwischen den beiden politischen Lagern. Am deutlichsten wird der Kontrast in der Energiepolitik. Biden wirbt für Solarstrom, Windkraft und Biodiesel. Palin berichtet von einem Schlachtruf, den sie im ganzen Land vernommen haben will. Drill, Baby, Drill. "Unsere Bürger sind hungrig nach Energie", sagt sie, "daher müssen wir endlich wieder mehr nach Öl bohren."

Biden hält ihr entgegen, dass die USA drei Prozent der globalen Ölreserven besäßen, aber fast 30 Prozent des weltweit konsumierten Öls verbrauchten. Aber Palin schaltet auf stur: "Energie aus Alaska leistet viel für Amerikas Energieunabhängigkeit."

In amerikanischen Wahlkämpfen sind die Debatten der Vizekandidaten normalerweise genauso langweilig wie irrelevant. Gestern war es zumindest spannend und deutlich unterhaltsamer als das Duell zwischen Obama und McCain vom vergangenen Freitag. Aber war die Debatte relevant? Die meisten Kommentatoren glauben nein, einen Einfluss auf das Wahlergebnis werde die Diskussion nicht haben.

Biden kann damit besser leben als Palin. Die Republikaner haben eine katastrophale Woche hinter sich. Die Wirtschaftskrise spielt den Demokraten in die Hände und Obamas Gelassenheit kommt bei den Wählern besser an als McCains Aktionismus. In bitter umkämpften Bundesstaaten wie Florida und Ohio liegen die Demokraten inzwischen vorn.

Und so kann man bilanzieren: Sarah Palin hat an diesem Abend ihre eigene politische Karriere gerettet. Aber nicht die Kampagne von John McCain.

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