Türkische Forscher:"Ich habe einfach Angst"

Lesezeit: 6 min

Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: sz)

Der Ausnahmezustand in ihrer Heimat trifft auch türkische Wissenschaftler an deutschen Universitäten.

Wenn die deutschen Hochschulen von "systematischer Einschüchterung" und der "Vernichtung des freien Geistes" sprechen, dann muss die Lage ernst sein. Nach einem am Samstag veröffentlichten Dekret von Präsident Recep Tayyip Erdoğan müssen in der Türkei neben mehr als 1000 Privatschulen und fast drei Dutzend Krankenhäusern auch 15 Universitäten schließen, weil sie angeblich der Gülen-Bewegung nahestehen. Den Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen wirft die Regierung in Ankara vor, hinter dem gescheiterten Putsch zu stehen. Bereits kurz nach dessen Niederschlagung vor einer Woche war die Regierung gegen Lehrer, Professoren und andere Hochschulangehörige vorgegangen: 15 000 Beamte aus dem Bildungssektor wurden suspendiert, etwa 1700 Dekane staatlicher und privater Hochschulen zum Rücktritt aufgefordert, fünf Rektoren verhaftet. Der türkische Hochschulrat hat Hochschullehrern und Wissenschaftlern die Ausreise verboten. Wer sich im Ausland aufhalte, solle so schnell wie möglich zurückkehren.

Dieses Dekret trifft auch türkische Wissenschaftler, die an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen arbeiten. Das sind viele, denn die Türkei und Deutschland verbinden traditionell gute Wissenschaftsbeziehungen. Während der nationalsozialistischen Diktatur fanden verfolgte deutsche Forscher in der Türkei Zuflucht. Umgekehrt gingen von den 23 Stipendien, welche die deutsche Humboldt-Stiftung an gefährdete Forschende vergibt, sechs an Akademiker aus der Türkei - bereits vor dem Putschversuch. Wie aber geht es den türkischen Wissenschaftlern in Deutschland nach dem Putsch in ihrem Heimatland? Sechs von ihnen beschreiben ihre Lage - zu ihrem Schutz nennt die Süddeutsche Zeitung ihre Namen nicht.

Juristin

"Ich bin von Ankaras Rückkehr-Order nicht direkt betroffen, weil ich nicht an einer türkischen Institution oder Universität angestellt bin. Aber natürlich mache ich mir Gedanken. Ich mache gerade Urlaub in der Türkei, bin kurz vor dem Putschversuch eingereist. Ich gehe davon aus, dass ich im August wieder ausreisen kann - aber es bleibt ein Fragezeichen. Einen deutschen Pass habe ich nicht, ich bin türkische Staatsbürgerin. Da kann man bei Reisen in die Türkei nie sicher sein, ob man nicht Probleme mit der Justiz bekommt. Das war aber schon vorher so. Ich bin Juristin, ich bin kritisch, beschäftige mich mit Menschenrechtsfragen, dem Kurdenkonflikt. Da ist das Risiko einer Strafverfolgung immer gegeben, etwa unter Paragraf 301, Beleidigung des Türkentums, oder 299, Präsidentenbeleidigung. Ich lebe schon seit ein paar Jahren in Deutschland und hatte ohnehin vor, dort zu bleiben. Aber seit dem Putsch bin ich mit jedem Tag froher, diese Entscheidung getroffen zu haben. Wäre ich jetzt noch in der Türkei, ich würde wohl übers Auswandern nachdenken. Das Land wird immer autoritärer. Am schlimmsten ist die Situation für Akademiker, die bei einer türkischen Uni angestellt sind oder mit einem Stipendium des türkischen Hochschulrats im Ausland sind. Die müssen jetzt zurück. Wir reden hier von den besten Köpfen der Türkei! Langfristig befürchte ich einen Braindrain. Die Türkei droht, intellektuell und kulturell zu veröden."

Soziologin

"Ich schreibe meine Forschungspapiere noch immer auf Türkisch, obwohl ich seit Langem im Ausland arbeite. Ich genieße in Berlin, wo ich derzeit bin, eigentlich einen Vorteil: Mich kann die Erdoğan-Regierung nicht feuern. Aber die Türkei bleibt mein Forum, meine Zielgruppe, es ist mir wichtig, mit den vielen kritisch denkenden Wissenschaftlern und Studenten dort im Austausch zu bleiben. Deshalb betrifft der Ausnahmezustand in der Türkei auch mich unmittelbar. Bislang gibt es in der Türkei eine große Szene aus kritisch ausgerichteten Fachzeitschriften und Verlagen. Man konnte bislang recht gut publizieren. Nun gibt es die große Sorge, dass sich das ändert. Man sieht es am Beispiel des Kurdenkonflikts. Wer darüber schreibt, kriegt seine Texte in der Türkei nur schwer publiziert und riskiert Sanktionen. Viele türkische Wissenschaftler zensieren sich lieber selbst. Dieses Gift des Konformismus könnte mich auch in Berlin erreichen."

Sozialwissenschaftler

"Ich bin schon lange vor dem Putschversuch von meiner Universität entlassen worden, weil ich den Aufruf der "Akademiker für den Frieden" unterzeichnet habe, den Krieg im Südosten der Türkei zu beenden. Jetzt höre ich täglich, ja beinahe stündlich von Kollegen, die ihre Arbeit verlieren. Allein an der Universität Van im kurdischen Siedlungsgebiet sind 17 Wissenschaftler entlassen worden. Und täglich werden Menschen inhaftiert, auch solche, die nichts mit dem Putschversuch und nicht einmal etwas mit der Gülen-Bewegung zu tun haben. Aber alle, die nicht mit dem Vorgehen der Regierung einverstanden sind, werden jetzt in einen Topf geworfen. Inzwischen sind ja 15 000 Menschen inhaftiert, ohne Gerichtsverfahren. Besonders gefährlich ist es für Wissenschaftler, die das Kurdenproblem erforschen. Ich habe nach meiner Entlassung schnell gemerkt, dass es für mich im akademischen Betrieb der Türkei keinen Job mehr gibt und dass ich mein wissenschaftliche Tätigkeit nicht weiterführen kann, ohne mich in Gefahr zu begeben. Und ganz schwierig ist es geworden, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.

Wer über die Lösung des Kurdenproblems nachdenkt und schreibt, dessen Artikel werden von türkischen Publikationen abgelehnt."

Naturwissenschaftlerin

"Ich musste zurück. Schon bei der Grenzkontrolle am Flughafen hat man mich wie eine Verbrecherin behandelt und beschimpft. Die schreckliche Atmosphäre hier hat mich getroffen wie ein Schock, ich bin immer noch voller Adrenalin. Es war in diesem Land noch nie einfach als gebildeter Mensch, erst recht nicht als Frau. Aber jetzt ist es unerträglich geworden. Es läuft auf allen Kanälen eine unglaubliche Kampagne gegen gebildete Menschen. Diesen Anti-Intellektualismus gibt es zwar schon lange, aber das jetzige Ausmaß ist erschreckend. Eigentlich müsste ich über den Sommer zu internationalen Konferenzen, Wissenschaft lebt ja vom Austausch. Doch das ist jetzt gestrichen, genauso wie Arbeiten an Forschungsprojekten außerhalb des Campus. Ohne ausdrückliche Genehmigung dürfen wir nicht ausreisen, und die gibt es nicht. Wir können nur in unseren Büros darauf warten, was auf uns zukommt. Jeder ist tief besorgt, es wird befürchtet, dass an den Hochschulen bis zu 60 Prozent der Akademiker entlassen werden könnten. Und wer bildet dann die Studenten aus? Unserem Land mangelt es doch ohnehin schon an akademisch ausgebildeten Spitzenkräften. Viele überlegen sich, von sich aus zu kündigen, das Land zu verlassen und woanders zu forschen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Viele haben ihre Familien hier und es ist ja unser Land, unsere Heimat. Wir dürfen nun nicht einmal, wie es an türkischen Universitäten eigentlich üblich ist, im August in den Urlaub gehen. Manche sehen darin ein gutes Zeichen dafür, dass es mit der Arbeit weitergeht. Aber ich weiß nicht, woher sie ihren Optimismus nehmen."

Informatiker

"Als ich Anfang Juli für mein dreimonatiges Fachpraktikum aus Izmir nach Deutschland kam, hat man schon gespürt, dass meine Heimat im Umbruch ist. Izmir ist eigentlich eine liberale Stadt, Erdoğan-Unterstützer sind dort in der Minderheit. Aber auch wir haben gespürt, wie die Forschung immer lächerlicher und Religion immer wichtiger wird. Bei einem früher sehr renommierten, Türkei-weiten Ideenwettbewerb wurden beispielsweise auf einmal alle Projekte abgelehnt, die irgendwelche Kooperationen mit dem Ausland erfordert hätten. Gewonnen hat am Ende ein Projekt, bei der man einem Bohnengewächs den Koran vorlesen soll, damit sie schneller wächst. Auch die Idee, eine bisher als "Priesterpflaume" bekannte Frucht in "Imam-Pflaume" umzubenennen, wurde gefördert. Eines der abgelehnten Projekte wird nun in den USA gemeinsam mit der Nasa umgesetzt. Diese Geschichte ist für mich bezeichnend für den Zustand unseres Landes. Als Student bin ich zwar von den aktuellen Maßnahmen noch nicht betroffen, aber sie verändern stark mein Denken über die Zukunft. Eigentlich wollte ich in der Wissenschaft bleiben. Aber wenn ich nicht auch gehirngewaschen werden will, müsste ich dafür wohl ins Ausland. Ich stehe also vor der Wahl, ob ich bei meiner Familie bleiben will oder frei denken möchte. Das ist schwierig."

Sozialwissenschaftlerin

"Im Moment ist alles unsicher, nichts ist klar. Niemand an den Hochschulen weiß, wie es weitergeht. Gegen Intellektuelle und Akademiker sind Regierung und Justiz ja schon lange vor dem Putschversuch vorgegangen, zahlreiche Hochschulen und deren Vertretungen für Lehrende und Studierende haben die meisten ihrer Autonomie-Rechte längst verloren. Etliche der mehr als 2000 Wissenschaftler, die unter der Bezeichnung "Akademiker für den Frieden" im Januar einen Appell unterzeichnet haben, den Krieg im Südosten der Türkei zu beenden, sind bereits in den vergangenen Monaten entlassen worden. Gegen einige laufen Verfahren, sie werden sogar beschuldigt, kurdische Terrororganisationen zu unterstützen, obwohl es für diese Vorwürfe nicht den geringsten Grund gibt. Mit dem Umsturzversuch haben die "Akademiker für den Frieden" erst recht nichts zu tun, doch es zeichnet sich ab, dass sich die Verfolgung nun verstärkt. Besonders die Kolleginnen und Kollegen an den staatlichen Universitäten spüren die Repression, an den privaten Hochschulen scheint es noch etwas besser zu sein - sofern der Staat sie jetzt nicht schließt. Die Unsicherheit ist groß. Auch ich selber weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich noch in Deutschland bleiben darf. Ich möchte mein Land ja auch gar nicht dauerhaft verlassen, aber andererseits: Ich habe einfach Angst davor, jetzt zurück zu reisen."

Protokolle: Charlotte Haunhorst, Jan Bielicki, Luisa Seeling, Ronen Steinke, Ulrike Nimz

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: