Türkisch-Armenische Beziehungen:Der argwöhnische Bruder

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Der Entspannungsprozess zwischen der Türkei und Armenien gerät ins Stocken: Die gemeinsame Grenze bleibt vorerst geschlossen - weil ein drittes Land protestiert.

Die Türkei hat Pläne für eine Öffnung der Grenze zum lange verfeindeten Nachbarland Armenien nach wütenden Protesten aus Aserbaidschan vertagt. Unter Vermittlung der Schweiz einigten sich die Regierungen in Ankara und Eriwan zwar auf einen Fahrplan für eine politische Normalisierung. Doch die Schlagbäume an der gemeinsamen Staatsgrenze bleiben geschlossen.

Der Berg Ararat an der Grenze zwischen der Türkei und Armenien. (Foto: Foto: AP)

Nach dem Türkei-Besuch von US-Präsident Barack Obama Anfang April war ein Ende der türkischen Grenzblockade erwartet worden. In der strategisch wichtigen Kaukasus-Region, die für Europa das Tor zu Energievorkommen in Zentralasien werden soll, wäre das ein Durchbruch.

Das überwiegend muslimische Aserbaidschan, von der Türkei als Brudervolk verstanden ("Eine Nation, zwei Staaten"), läuft gegen die geplante Normalisierung Sturm. Armenien müsse erst die umstrittene Enklave Berg-Karabach räumen, lautet die Forderung.

Anfang der 1990er Jahre hatte das armenische Militär das überwiegend von Landsleuten bewohnte, zu Aserbaidschan gehörende Gebiet in einem der blutigsten Kriege der nachsowjetischen Zeit erobert und Zehntausende Menschen vertrieben.

Aus Protest gegen die türkisch-armenische Annäherung blieb der aserbaidschanische Staatspräsident Ilcham Alijew einer internationalen Konferenz in Istanbul fern. Dann wurde den Türken sogar mit einem Ende der Gasversorgung gedroht, wie türkische Zeitungen berichtet haben.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan stellte nun klar, dass es ohne Einigung über Berg-Karabach kein Abkommen geben werde. Die Reaktionen aus Aserbaidschan kritisiert er aber. "Wir haben die Aserbaidschaner auf jeder Konferenz in Schutz genommen", sagte er.

Politiker aus den Reihen von Erdogans islamisch- konservativer Regierungspartei AKP haben auf einen Besuch in Aserbaidschan verzichtet, eine Gruppe weiblicher Parlamentarier aus Baku strafte die AKP bei einem Türkei-Besuch mit Missachtung.

Denn in Ankara scheint der Wille für eine Normalisierung der Beziehungen zum christlichen Armenien vorhanden. Erdogans außenpolitischer Chefberater Ahmet Davutoglu ist der Architekt einer Politik, die nach einer Lösung der Konflikte mit den Nachbarstaaten der Türkei strebt. Sonst könne sich die Türkei nicht zu der gewünschten politischen und wirtschaftlichen Größe finden, sind die Anhänger dieser Lehre überzeugt.

"Eine weitere verpasste Chance"

Die Türkei und Armenien entzweit vor allem der Streit um die Bewertung der Gräueltaten, die 1915 im Osmanischen Reich an Armeniern begangen worden sind. Armenien verlangt, dies müsse als Völkermord eingestuft werden.

Die türkische Geschichtsschreibung hat die Armenier als Aggressoren dargestellt, die sich mit dem russischen Kriegsgegner verbündet hätten. Inzwischen sind die Türkei und Armenien übereingekommen, dass der Streit fast hundert Jahre später eine politische Annäherung nicht blockieren darf. Auch deswegen hat Obama in der Türkei erklärt, er werde das Wort Völkermord zunächst nicht verwenden.

Vartan Oskanian, der bis 2008 zehn Jahre lang Außenminister Armeniens war, fordert die Türkei nun zum Handeln auf. "Zwischen zwei feindlichen Staaten eingeklemmt, kann Armenien keine Zugeständnisse machen, dies ist unwahrscheinlich", schrieb der Politiker, dessen Familie selbst aus dem Süden Anatoliens stammt, in einem Kommentar.

"Die Türkei hat die historische Gelegenheit, die regionalen Beziehungen auf eine neue Ebene zu heben. Symbole und Gesten reichen nicht. Das Warten auf eine Lösung für Berg-Karabach ist keine Lösung. Es ist nur eine weitere verpasste Chance."

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