Türkei:Hunderttausende demonstrieren gegen die Regierung

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In Istanbul sind hunderttausende Türken gegen die Regierung von Ministerpräsident Erdogan auf die Straße gezogen. Mit rufen wie "Keine Scharia, keinen Putsch" stritten sie für eine Beibehaltung der säkularen Staatsordnung. Außenminister Gül hält derweil an seiner Präsidentschaftskandidatur fest.

Die Teilnehmer der Kundgebung riefen Parolen gegen die Präsidentschaftskandidatur von Außenminister Abdullah Gül und forderten den Rücktritt der Regierung. "Die Türkei ist laizistisch und wird es bleiben", skandierte die Menge, die den Kundgebungsplatz in ein Fahnenmeer aus roten Flaggen mit Stern und Halbmond verwandelte.

"Keine Scharia, keinen Putsch", lautete ein anderer Slogan, der auf die Krise zwischen Regierung und Militärführung um die Wahl eines neuen Staatspräsidenten abstellte.

Zu dem Massenprotest, dem zweiten innerhalb von zwei Wochen, hatten diesmal überwiegend Frauenorganisationen aufgerufen. Mitte April hatten in der Hauptstadt Ankara Hunderttausende gegen eine Kandidatur Erdogans für das Amt des Staatspräsidenten demonstriert.

Ungeachtet massiver Drohungen der Armeeführung hielt Außenminister Abdullah Gül am Sonntag jedoch an seiner Kandidatur für das Präsidentenamt fest.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ermahnte unterdessen den Beitrittskandidaten Türkei zur Einhaltung "demokratischer und rechtsstaatlicher Regeln". Führende EU-Politiker riefen die Armee auf, sich zurückzuhalten.

Nur wenige Stunden nach der ersten Wahlrunde, bei der Gül im Parlament von Ankara nur knapp die erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlte, hatte die Armee die Türkei in der Nacht zum Samstag mit ihrer ungewöhnlich deutlichen Warnung aufgeschreckt.

"Erklärung gegen die Regierung"

Die Streitkräfte, die in der Vergangenheit bereits drei Mal - 1960, 1971und 1980 - geputscht hatten, seien "Partei" in den Debatten, von denen die Präsidentenwahl geprägt sei, und würden die Trennung von Staat und Religion Laizismus) "entschieden verteidigen". Notfalls werde die Armee "ihre Haltung und ihr Vorgehen deutlich machen".

Die Reaktion der Regierung fiel nicht weniger hart aus. Das Militär sei der "Befehlsgewalt" des Ministerpräsidenten unterstellt, sagte Regierungssprecher Cemil Cicek am Samstag in Ankara. Die Erklärung des Generalstabs sei gegen die Regierung gerichtet und ein Versuch, die Justiz des Landes zu beeinflussen.

Äußerungen des Generalstabs gegen die Regierung "zu welchem Thema auch immer" seien in einem demokratischen Rechtsstaat inakzeptabel. "In einer demokratischen Ordnung ist allein schon der Gedanke daran befremdlich", sagte Cicek.

Während am Sonntag in Istanbul Hunderttausende für eine laizistische Türkei auf die Straße gingen, bekundete die Regierung ihre Entschlossenheit, den Wahlprozess fortzusetzen. "Es kann keine Rede davon sein, dass ich meine Kandidatur zurückziehe", sagte Außenminister Gül.

Der weitere Verlauf der Wahl hänge von der Entscheidung des Verfassungsgerichts ab, sagte Gül mit Blick auf die Beschwerde, die die parlamentarische Opposition nach dem ersten Wahlgang am Freitag eingereicht hatte. Das Gericht will sich an diesem Montag damit befassen.

Immer lauter wurde unterdessen die Forderung erhoben, als einzigen Ausweg aus der Krise die regulär Anfang November fälligen Parlamentswahlen umgehend vorzuziehen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft äußerte die Erwartung, "dass die Wahlen und das Verfassungsgericht nicht durch äußeren Druck beeinflusst werden". Die Entwicklung in der Türkei werde "mit großer Aufmerksamkeit" verfolgt, hieß es in Berlin.

Alle politisch Verantwortlichen müssten ihren Beitrag dazu leisten, dass die Präsidentenwahl "entsprechend der demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln der Verfassung durchgeführt werden".

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn erklärte: "Es ist wichtig, dass das Militär die Aufgaben der Demokratie der demokratisch gewählten Regierung überlässt", sagte Rehn in Brüssel. Der Generalsekretär des Europaparlaments, Terry Davis, forderte die türkische Armee auf, in ihren Kasernen zu bleiben.

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