Türkei/Griechenland:Erdoğan provoziert und macht Zugeständnisse

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Erstmals seit 1952 ist ein türkischer Staatschef in Griechenland. Erdoğan irritiert bei der Grenzfrage, schlägt aber auch Brücken. Gemeinsame Bauprojekte sollen das Verhältnis der rivalisierenden Nachbarn verbessern.

Von Luisa Seeling, München

Dass es ein Besuch voller Fallstricke werden würde, war klar, schließlich ist das griechisch-türkische Verhältnis historisch vorbelastet. Die erste Irritation löste Recep Tayyip Erdoğan noch vor seiner Abreise nach Athen aus. In einem Interview mit dem griechischen Sender Skai TV stellte der türkische Präsident den Vertrag von Lausanne infrage, der den Grenzverlauf zwischen beiden Ländern regelt. In Athen legte er nach, im Beisein des griechischen Präsidenten Prokopis Pavlopoulos: Einige Details des Vertrages seien unklar, der Luftraum und die Seegrenze könnten "verbessert" werden. Pavlopoulos widersprach; der Vertrag erfordere "weder eine Revision noch eine Aktualisierung".

Im Lausanne-Abkommen wurden Griechenland 1923 praktisch alle Ägäis-Inseln vor der türkischen Küste zugeschlagen. Seitdem gibt es immer wieder Konflikte um den Grenzverlauf. Und das war nur einer von vielen heiklen Punkten, mit dem sich Erdoğan und seine Gastgeber befassen mussten. Dabei war die Reise von Beobachtern als positives Signal gewertet worden, denn immerhin handelt es sich um den ersten Besuch eines türkischen Staatschefs beim Nato-Partner seit 1952 (Erdoğan war allerdings schon 2004 und 2010 als Premierminister zu Gast in Griechenland gewesen).

Gemeinsame Bauprojekte sollen das Verhältnis der rivalisierenden Nachbarn verbessern

Im Gespräch mit dem linken griechischen Regierungschef Alexis Tsipras war Erdoğan denn auch bemüht, die Wogen zu glätten: Pläne für die Gebiete von Nachbarländern gebe es keine, versicherte er. Es gebe zwar Differenzen, sie könnten aber überwunden werden, wenn man sich darauf konzentriere, "das Glas halb voll zu sehen". Für Aufsehen sorgte vor allem Erdoğans Äußerung, er wünsche, dass jene Ereignisse nicht stattgefunden hätten, die zum Exodus der Griechen aus seinem Land geführt hatten. Damit spielte der türkische Präsident auf das Jahr 1955 an, als nach einem Pogrom rechtsradikaler Kräfte Zehntausende Griechen aus Istanbul flohen. Ein kaum verhohlenes Schuldeingeständnis, das vor ihm kein anderer türkischer Politiker gewagt hatte.

Potenziellen Zündstoff boten auch der Zypern-Konflikt und der Fall von acht Militärangehörigen, die nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei in Griechenland Zuflucht gefunden haben; griechische Gerichte hatten sich geweigert, die Männer an die Türkei auszuliefern.

Auch das europäisch-türkische Flüchtlingsabkommen sollte besprochen werden - hier haben Ankara und Athen ein gemeinsames Interesse, weil der Pakt beiden Seiten Vorteile bietet. Nicht zuletzt sollte es auch um Geschäftliches gehen, um gemeinsame Bau- und Infrastrukturprojekte: um den Fährverkehr und eine Schnellzugverbindung zwischen beiden Ländern, und - höchst symbolträchtig - eine Brücke zwischen dem griechischen Kipoi und dem türkischen Ipsala.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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