Trotz Non, Nee und Not yet:Sag niemals nie!

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Nach zwei negativen Referenden und einem abgesagtem Votum scheint die EU-Verfassung nur noch auf den Todeskuss zu warten - meinen zumindest die zahlreichen Skeptiker. Doch noch ist die Verfassung nicht verloren.

Von Bernd Oswald

Ja, zwei Neins aus zwei Gründerstaaten der EU sind ein verdammt schwerer Schlag für die EU-Verfassung.

Ja, auch in Großbritannien ist ein "No" ziemlich wahrscheinlich.

Ja, es gibt noch weitere Wackelkandidaten.

Dennoch: Die EU-Verfassung wird leben! Wenn nicht jetzt, dann eben später, vielleicht auch erst in zehn Jahren. Momentan ist die Zeit wohl noch nicht reif für das Vertrags-Kompendium. Zu ambitioniert sind die Staats- und Regierungschefs in den letzten Jahren vorgegangen, zu viel haben sie ihren Bürgern zugemutet: eine neue Währung, zehn neue Mitglieder, einen höchst umstrittenen Beitrittskandidaten samt Identitätsdiskussion und nun noch eine Mammut-Verfassung. Und das alles in nur dreieinhalb Jahren.

Bisher wurde das meiste davon in den Parlamenten entschieden. Auch, weil die Regierungschefs oft wussten, dass es im Volk keine Mehrheit für all das geben würde. Zehn Staaten waren und sind bei der Verfassung nun so mutig, Volkes Stimme einzuholen. Zwei mussten bereits schmerzlich erfahren, dass viele Wähler ihrem Unmut über Euro und Erweiterung Luft gemacht haben.

Um die Verfassung ging es dabei so gut wie gar nicht. Die Inhalte wurden kaum diskutiert, viele Leute wissen nur oberflächlich - wenn überhaupt - Bescheid, was anders werden soll.

One vote fits all?

Die institutionellen Neuregelungen sind unbedingt notwendig, wenn der komplizierte EU-Apparat weiter funktionieren soll. Als Variante Eins ist es deswegen sehr gut denkbar, dass die Staatenlenker die neue Macht-Architektur aus der Verfassung herausnehmen und separat in jedem Mitgliedstaatt durch die Parlamente verabschieden. So wie in den Verträgen von Nizza und Amsterdam. Das wäre die kleine Lösung.

Variante zwei wäre ein vorläufiger Ratifizierungstopp, um die an sich fortschrittliche Verfassung nicht vollends zu killen. Wenn sich die EU-Phobie gelegt hat und eine sachlichere Diskussion einsetzt, könnte man einen neuen Anlauf wagen. Der Verfassungsvertrag lässt dafür auch ein Hintertürchen offen: Wenn mindestens 20 EU-Staaten die Verfassung bis Herbst 2006 ratifizieren, gibt es einen Sondergipfel. 20 Ratifizierungen könnte man als Momentum nehmen, um in den restlichen Staaten noch einen zweiten Anlauf zu wagen, entweder in einem zweiten Referendum oder - sicherer - in den Parlamenten.

Da ein Ratifizierungsmarathon in allen 25 Ländern extrem mühselig ist und die jeweiligen Ergebnisse die Entscheidungen in anderen Staaten stark beeinflussen können, sollten die Staats- und Regierungschefs den großen Wurf wagen: ein europaweites Votum am gleichen Tag. Dabei könnte man das Quorum nach Bedarf festlegen: Ein enges, bei dem es in jedem einzelnen Staat eine Mehrheit geben müsste oder ein weiteres, bei dem die absolute Mehrheit über die gesamte Union genügen würde. Letztere Lösung könnte allerdings dem Stigma Vorschub leisten, dass die EU sich über die Interessen ihrer Mitglieder hinweg setzt.

Klar ist, dass alle das gleiche Regelwerk brauchen. Eine Verfassung nur für einzelne Mitglieder kann und wird es nicht geben.

Variante drei schließlich wäre ein völliger Neubeginn, d.h. den aktuellen Verfassungsentwurf ad acta legen und ein neues Regularium aushandeln, um den Europäern etwas Unverbrauchtes präsentieren zu können. Das würde vermutlich Jahre dauern, und die Fragen nach der Verabschiedung würden sich genauso stellen.

Diese radikale Lösung wäre dann realistisch, wenn sich in den Hauptstädten die Einsicht durchsetzt, dass die Europäer mehr Mitsprache wollen - sei es direkt über Volksabstimmungen oder indirekt über ein wirklich wichtiges EU-Parlament.

Die Europäer haben den Ball wieder den Staats- und Regierungschefs zugespielt. Diese sollten ihn nicht ins Aus rollen lassen.

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