Tornado-Einsatz:Gelassen in die kalkulierbare Bedrohung

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Routiniert haben sich die ,,Tornado''-Besatzungen auf den Einsatz in Afghanistan vorbereitet - und ihre letzten Dinge geregelt.

Mathias Bölinger

So strahlend blau ist der Himmel über Jagel nicht oft. Glasklar ist die Sicht bis an den Horizont und die Aufklärungs-Tornados, die hier in Schleswig-Holstein stationiert sind, werden schöne deutliche Fotos von ihren Übungsflügen mitbringen.

Tornado-Piloten bereiten sich vor. (Foto: Foto: dpa)

Alexander S. wird demnächst noch oft in so einen strahlend blauen Himmel starten. Die Bilder werden dann allerdings nicht mehr die Kieler Förde oder die Deiche Mecklenburg-Vorpommerns zeigen, sondern Hinterhalte an den staubigen Straßen der afghanischen Provinz Kandahar oder Rebellenlager der Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Die erste Gruppe der Tornado-Piloten wird an diesem Montag an den Hindukusch verlegt.

,,Die Bedrohung ist kalkulierbar''

Alexander S. (um die Familien zu schützen, will die Bundeswehr die vollen Namen der eingesetzten Soldaten nicht öffentlich machen) ist im Mai bei der zweiten Gruppe dabei.

Für ihn wird es das erste Mal sein, dass er sein Flugzeug über Feindesland steuert. Es wird das erste Mal sein, dass er damit rechnen muss, dass Tausende Meter unter ihm jemand steht, der eine Stinger-Rakete geschultert hat und nichts lieber täte, als ihn vom Himmel zu holen. Angst? ,,Nein, wir sind gut genug vorbereitet'', wehrt S. entschlossen ab. ,,Die Bedrohung ist kalkulierbar.''

Nicht alle sehen das so. Im Bundestag stimmten 74 Abgeordnete der Regierungsparteien gegen den Tornado-Einsatz. Zwei Unionsabgeordnete und die Linksfraktion riefen sogar das Bundesverfassungsgericht an, weil das Mandat ihrer Ansicht nach gegen das Völkerrecht verstößt. Als das Gespräch auf die politische Debatte kommt, verzieht der Presseoffizier, der neben Alexander S. sitzt, nervös das Gesicht.

Dabei muss er sich keine Sorgen machen. ,,Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee'', erklärt Alexander S. diplomatisch. Und Diskussionen gehörten nun mal zum demokratischen Prozess. ,,Am Ende weiß man, dass die Bevölkerung hinter einem steht und kann ruhigen Gewissens in den Einsatz gehen.''

S. ist einer, den die Bundeswehr in Werbebroschüren für den Pilotenberuf abbilden könnte. Er ist groß, breitschultrig, sein Gesicht ist offen, freundlich, sein Auftreten entschlossen. Und die blonde Tolle auf dem Kopf sieht aus, als hätte sie mal eben der Flugwind so schmissig zur Seite geblasen. Einer, dem man ein Kampfflugzeug ebenso anvertrauen würde wie den eigenen Geldbeutel.

Die Worte ,,Verantwortung'' und ,,demokratische Legitimation'' sind ihm so geläufig wie ,,Guten Morgen'' oder ,,schönes Wetter heute''. Er gehe mit einer ,,positiven Grundstimmung in den Einsatz'', sagt er. ,,Mit der Zuversicht, wieder gesund zurückzukommen und die Mission erfolgreich abzuschließen.''

Nur wenn es um Persönliches geht, werden seine Sätze etwas umständlich. ,,Im Privaten möchte man natürlich noch mal Verwandte und Freunde treffen'', sagt er dann. Aber auch: ,,Man muss den Versicherungen Bescheid geben und sein Testament machen''.

Wenn man wissen will, warum es gerade Soldaten der Bundeswehr sind, die in 3000 Meter Höhe über das Stammesgebiet der Paschtunen in Südafghanistan düsen sollen, dann muss man Michael H. in einen der grünen Container folgen, die in einer klimatisierten Halle stehen, nicht weit von den Flugzeug-Hangars.

Hier werden die Bilder ausgewertet, die die Tornados von ihren Übungsflügen über Schleswig-Holstein mitbringen. Die Aufnahmen sind so genau, dass H. erkennen kann, ob der Falschparker am Südstrand von Eckernförde ein Golf 3 ist oder ein Golf 4. Keine andere Nato-Armee kann so genaue Bilder liefern.

Die Soldaten in dem grünen Container murren beim Anblick des Journalisten. ,,Das ist der letzte'', verspricht der Presseoffizier. Noch nie hat ein Auslandseinsatz auf einem Bundeswehrstützpunkt solchen Medienrummel verursacht.

Als Jagel nach dem Bundestagsbeschluss einen Medientag veranstaltete, schickten 47 Redaktionen ihre Vertreter, fünf Fernsehteams drehten auf dem Gelände. Seitdem verging kein Tag ohne Besuche von Journalisten.

Auf seinem Bildschirm im grünen Container deutet H. auf etwas, das aussieht wie ein Gebüsch. Daneben sind zwei Rechtecke. Eine Gefechtsstellung, die unter einem Tarnnetz versteckt ist. Die Rechtecke sind Lastwagen. Neben der Szenerie steht ein Bauerngehöft, wie man es in Schleswig-Holstein oft sehen kann. Die Orte auf den Bildern, die H. in seinem mobilen Labor in Masar-i-Scharif auswerten wird, wird er in Wirklichkeit nie sehen.

Zu gefährlich ist die Lage mittlerweile auch in Nordafghanistan geworden, als dass die Soldaten das Lager ohne militärische Notwendigkeit verlassen dürften. Vom Lagerkoller werde ihn schon die viele Arbeit abhalten, glaubt H. ,,Der Stundeneinsatz ist deutlich höher als hier beim täglichen Dienstbetrieb.''

Alles vorbereitet

Thorsten Poschwatta ist der Kommodore des Geschwaders. So heißen bei der Luftwaffe die Kommandeure. Bevor er am Montag aufbrechen wird, hat er seiner Frau noch gezeigt, wo die Unterlagen für die Versicherung abgeheftet sind und hat seinem zwölfjährigen Sohn das Rasenmähen beigebracht.

,,Der ist ja jetzt der Mann im Haus.'' Als Poschwatta 1981 zur Bundeswehr gekommen ist, hat er nicht damit rechnen müssen, dass er irgendwann den Rasen nicht mehr selbst mähen kann, weil er 8000 Kilometer entfernt einen Einsatz leitet. Damals herrschte noch der Kalte Krieg.

,,Man war sich sicher, dass das Prinzip der Abschreckung funktioniert'', erinnert sich Poschwatta. Doch seit den Balkan-Kriegen hat sich auch die Aufgabe der Tornado-Piloten gewandelt. Jahrelang waren sie schon im italienischen Piacenza stationiert, um mit der Infrarotkamera nach Hinweisen auf Massengräber in Bosnien oder nach Serben-Stellungen im Kosovo zu suchen. ,,Ich habe Soldaten, die schon viermal in Einsätzen waren'', sagt Poschwatta. ,,Das wird für uns hier langsam zur Routine.''

Erfahren, gut vorbereitet, routiniert - etwas anderes bekommt man nicht zu hören auf dem Stützpunkt in Jagel. Und doch könnte irgendwann der Moment kommen, für den man keine Erfahrung gesammelt hat. Noch nie zuvor hatte die Bundeswehr mit einem so unberechenbaren Gegner wie den Taliban zu tun.

Was, wenn wirklich deutsche Soldaten getötet werden?

Um deren Stinger-Raketen zu entgehen, dürfen die Tornados nicht unter 3000 Meter Höhe fliegen. Die Rettungstruppen der Verbündeten sind darauf trainiert, abgeschossene Flieger so schnell wie möglich zu bergen, um zu verhindern, dass sie als Geiseln in die Hände der Taliban fallen. Trotzdem: Was ist, wenn sie zu spät kommen? Was, wenn wirklich deutsche Soldaten bei einem Einsatz getötet werden?

,,Das ist ein Thema, mit dem wir uns natürlich befassen müssen'', sagt Poschwatta. ,,Auch wenn man es gerne zur Seite schiebt, weil man natürlich nicht möchte, dass das passiert.'' Bei den letzten Worten ist die Stimme des Kommodore ganz leise geworden.

© SZ vom 2.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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