Tödliche Entführungen:Snuff-Propaganda

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Früher sollten Geiselnahmen Kriege verhindern, im Irak haben die Entführer nur ein Ziel: Die Eskalation.

Petra Steinberger

Früher waren solche Aufnahmen teuer. Und verboten. Wer sie betrachtete, galt als pervers und machte sich strafbar. Man nannte diese Aufnahmen "Snuff Movies", und sie zeigten, wie ein Mensch live getötet wurde.

Einst ein Sicherheitspfand, jetzt eine Waffe der psychologischen Kriegsführung: Geiselnahmen im Irak. (Foto: Foto: Reuters)

Heute kann man sie im Internet herunterladen. Oder in den Nachrichten ansehen. Nicht in allen und nicht alles, es gibt trotz allem so etwas wie Anstand. Es wird gezeigt: die Enthauptung, Erschießung einer Geisel, einer von vielen, die irgendwo im Irak bei irgendwelchen Terroristengruppen auf ihre Hinrichtung warten.

Oder auf die Gnade ihrer Wächter. Denn um ihre Befreiung geht es in den seltensten Fällen, spätestens seit der amerikanische Reporter Daniel Pearl in Pakistan umgebracht worden ist.

Jetzt werden auch Frauen getötet

Das letzte Opfer ist eine Frau, Margaret Hassan, die britisch-irakische Leiterin der Hilfsorganisation Care. Dass sie, als Frau, eigentlich bis vor kurzem noch durch einen sozusagen subtil vorhandenen Ehrenkodex geschützt worden wäre.

Dass sie, als Hilfebringende, eigentlich als immun und unverletzlich gelten müsste nach Regeln, die in Zeiten aufgestellt wurden, als noch klassische Kriege geführt wurden; all das widerspricht nicht der Logik ihrer Hinrichtung. Im Gegenteil: Es entspricht dieser Logik genau.

Denn aus Geiseln als menschlichen Garantien für die Einhaltung von (oft auch erpresserischen) Abmachungen sind medienwirksame, symbolische Objekte der psychologischen Kriegsführung geworden - und je vertrauter wir mit ihnen sind, je mehr wir mit ihnen und ihrer Vorgeschichte verbinden, desto erfolgreicher ist ihr Einsetzen als Waffe.

Früher sollten Geiseln noch Kriege verhindern

Sie müssen "normale" Menschen sein, damit sich der Terror verbreitet, der den Willen einer Gesellschaft untergräbt, sich weiter zu beteiligen an Unternehmungen wie der Besatzung und dem Wiederaufbau beispielsweise des Irak.

Als Geiseln noch zwischen Völkern als Sicherheitsgarantie ausgetauscht wurden, sollten sie grundsätzlich den gegenteiligen Zweck erfüllen - sie sollten Kriege verhindern und Vereinbarungen sichern.

Das römische Reich holte sich häufig Geiseln aus den Herrscherfamilien angrenzender Völker - der spätere Hunnenherrscher Attila lebte als jugendliche Geisel am römischen Hof von Ravenna, Theoderich der Große musste zehn Jahre am byzantinischen Hof zubringen.

Später wurden Kriegsgefangene zu Geiseln gemacht, um sie aus dem Kampfgeschehen herauszuhalten und zugleich an ihnen zu verdienen - an den Höhergestellten jedenfalls, bei Leibeigenen und niederen Kämpfern kannte man meist keine Gnade.

Jedenfalls lag es zumeist im Interesse der Geiselnehmer, dass ihre Geiseln am Leben blieben, da man mit ihrer Freilassung ein immer noch materiell definiertes Ziel zu erreichen hoffte.

Materielle Ziele sind für die Entführer unwichtiger geworden

Spätestens seit dem Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts entfernten sich politisch motivierte Geiselnehmer immer weiter von diesen materiellen Zielen - auch eine Folge dessen, dass westliche Regierungen nicht mehr bereit waren, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.

Eine Studie der Rand Corporation kam bereits 1977 zu dem Schluss, dass "Geiselnahmen nicht irrational oder ineffektiv sind; es besteht eine Chance von 80 Prozent, dass die Terroristen dem Tod oder ihrer Gefangennahme entgehen; eine Chance von 50 Prozent, dass wenigstens einige ihrer Forderungen erfüllt werden; und die hundertprozentige Wahrscheinlichkeit von Öffentlichkeit und Werbung (...).

Die Politik ,Keine Konzessionen' wirkt keineswegs abschreckend, sondern beeinflusst eher die Art der Geiselnahme als ihre Häufigkeit - zum Ziel der Kidnapper wird Propaganda statt Konzessionen."

Niemand wird verlangen, dass Regierungen ihre Politik der Nicht-Kooperation mit Terroristen aufgeben sollen - doch stecken sie in einer No-Win-Situation: Jede rechtstaatliche Regierung muss alles in ihrer Macht stehende tun, um Leib und Leben ihrer Bürger zu schützen - was gegenüber Terroristen kurzfristig Zugeständnisse verlangen würde, die langfristig den gegenteiligen Effekt hätten.

Es müssen immer unschuldigere Geiseln entführt werden

Unmittelbar wird darum eine harte Politik meist die Empörung der Bevölkerung hervorrufen, der es um das Leben und die Freiheit der Geiseln geht. Jegliche Konzession wird jedoch, so die realistische Unterstellung, weitere Geiselnahmen heraufbeschwören.

Diese Logik ist es, die nach immer "unschuldigeren" Geiseln verlangt. Und nach immer grausameren Inszenierungen, bei denen das Flehen und das Sterben der Geiseln öffentlich inszeniert wird wie eine Reality Show.

So unzweideutig diese Inszenierungen Tragödien darstellen mit ihrem unausweichlichen Ende, so unweigerlich erwecken die Bilder flehender Opfer beim weltweiten Publikum die Illusion, es könnte doch noch mit seinem Mitleid das böse Ende abwenden - dieser ohnmächtige letzte Rest unaustilgbarer Hoffnung.

Olympia 1972 in München

Geiselnahmen wie in München während der Olympischen Spiele 1972 mit Forderung der Täter, einige Kampfgenossen zu befreien, sind eine Sache der Vergangenheit. Geiselnahmen wie die von Daniel Pearl oder Margaret Hassan und wie die vieler Iraker haben ein höheres Ziel:

Die totale Demotivierung, welche den Rückzug aller ausländischen Hilfsangebote zur Folge hat oder eine Erwiderung mit ähnlich brutalen Mitteln, mit Vergeltungsaktionen. Im Irak wird am Ende, wenn alle westliche Hilfe ausbleibt, die ganze Bevölkerung zur Geisel der Terroristen. Zweck der Snuff-Propaganda erreicht?

© SZ vom 18.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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